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Zwei Tage nachdem Tanner den Brief erhalten hatte, erschien in den Zeitungen ein Artikel, in dem bekannt gegeben wurde, dass Tanners ehemalige Braut Edmond Barclay geheiratet hatte, einen Milliardär und Medienmogul. Tanner Kingsley wirkte nahezu unverändert - er war nur ein bisschen launischer und arbeitete noch verbissener als zuvor. Jeden Morgen zog er sich zwei Stunden lang zurück und beschäftigte sich mit einem Projekt, über das er strengstes Stillschweigen bewahrte.

Eines Abends hielt Tanner einen Vortrag bei MENSA, einer Gesellschaft, in die nur Menschen mit einem hohen Intelligenzquotienten aufgenommen wurden. Da zahlreiche Angestellte der KIG dort Mitglied waren, hatte er die Einladung angenommen.

Als Tanner am nächsten Morgen in die Firmenzentrale kam, wurde er von einer der schönsten Frauen begleitet, die seine Mitarbeiter jemals gesehen hatten. Sie wirkte südländisch, wie eine Latina, und hatte dunkle Augen, einen braunen Teint und eine sensationelle Figur.

Tanner stellte sie seinen Mitarbeitern vor. »Das ist Sebastiana Cortez. Sie hat gestern Abend einen großartigen Vortrag bei MENSA gehalten.«

Tanner wirkte mit einem Mal viel gelöster. Er nahm Sebastiana mit in sein Büro, wo sie über eine Stunde lang blieben. Anschließend speisten sie in Tanners privatem Esszimmer zu Mittag.

Einer der Angestellten zog per Internet Erkundigungen über Sebastiana Cortez ein. Demnach war sie eine ehemalige Miss Argentinien, war mit einem bekannten Geschäftsmann verheiratet und wohnte in Cincinnati, Ohio.

Als Sebastiana und Tanner nach dem Essen in sein Büro zurückkehrten, konnten die Mitarbeiter im Vorzimmer über die Gegensprechanlage, die noch immer eingeschaltet war, Tanners Stimme hören.

»Keine Sorge, meine Liebe. Wir werden schon eine Möglichkeit finden.«

Die Sekretärinnen scharten sich um die Gegensprechanlage und horchten gespannt, was die beiden miteinander beredeten.

»Wir müssen vorsichtig sein. Mein Mann ist sehr eifersüchtig.«

»Kein Problem. Ich sorge dafür, dass wir miteinander in Kontakt bleiben können.«

Jeder, der auch nur halbwegs bei Verstand war, konnte sich ausmalen, was da drin vor sich ging. Die Sekretärinnen mussten sich mit aller Macht zusammennehmen, um nicht laut loszukichern.

»Ich finde es schade, dass du schon nach Hause musst.«

»Ich auch. Ich wünschte, ich könnte bleiben, aber es lässt sich nicht ändern.«

Als Tanner und Sebastiana aus dem Büro kamen, verhielten sie sich wieder mustergültig. Die Mitarbeiter ließen sich nichts anmerken, hatten aber ihre spitzbübische Freude an der Vorstellung, dass Tanner keine Ahnung davon hatte, dass sie wussten, was vor sich ging.

Am Tag nach Sebastianas Abreise bestellte Tanner ein vergoldetes Telefon mit digitalem Zerhacker und ließ es in seinem Büro anschließen. Seine Sekretärin und die Assistentinnen hatten die ausdrückliche Anweisung, unter keinen Umständen an diesen Apparat zu gehen.

Fortan rief Tanner fast täglich von dem vergoldeten Telefon aus an, und am Ende eines jeden Monats verreiste er übers Wochenende, hängte noch ein, zwei Tage an und kehrte sichtlich erholt zurück. Er verriet seinen Mitarbeitern nicht, wo er gewesen war, aber sie wussten ohnehin Bescheid.

»So ein Rendezvous muss doch was Schönes sein«, sagte eine seiner Assistentinnen zur anderen, als sie sich in seiner Abwesenheit miteinander unterhielten.

Tanner war offenbar frisch verliebt, und sein ganzes Verhalten hatte sich spürbar verändert. Alle waren froh darüber.

19

Immer wieder gingen Diane Stevens die gleichen Worte durch den Kopf: Ron Jones hier. Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass ich Ihre Papiere erhalten habe und dass wir Ihrem Wunsch gemäß umdisponiert haben ... Wir haben Ihren Mann vor einer Stunde eingeäschert.

Wie konnte dem Bestattungsinstitut ein derartiger Fehler unterlaufen? War sie vor lauter Trauer so durcheinander gewesen, dass sie sich dort gemeldet und darum gebeten hatte, Richard einzuäschern? Niemals. Und eine Sekretärin hatte sie nicht. Das Ganze war einfach unbegreiflich. Irgendjemand in dem Bestattungsinstitut musste etwas missverstanden und ihren Auftrag mit einem anderen verwechselt haben.

Unterdessen hatte man ihr die Urne mit Richards Asche bringen lassen. Sie stand da und starrte sie an. War Richard wirklich da drin? ... Richard, mit seinem Lachen ... Richard, der sie in die Arme schloss ... mit seinen warmen Lippen, die sich an ihre pressten ... Richard, der so klug gewesen war, immer zu einem Spaß aufgelegt ... »Ich liebe dich« zu ihr sagte ... Richard mit all seinen Träumen, Leidenschaften und tausend anderen Dingen mehr - und all das in diesem kleinen Gefäß?

Diane wurde aus ihren Gedanken gerissen, als das Telefon klingelte.

»Mrs. Stevens?«

»Ja ...«

»Hier ist das Sekretariat von Tanner Kingsley. Mr. Kingsley wäre Ihnen sehr verbunden, wenn er einen Gesprächstermin mit Ihnen vereinbaren könnte.«

Das war vor zwei Tagen gewesen, und jetzt ging Diane durch die Eingangstür der KIG und begab sich zur Rezeption.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, sagte die Empfangsdame.

»Diane Stevens. Ich habe einen Termin mit Tanner Kingsley.«

»Oh, Mrs. Stevens! Wir alle trauern um Mr. Stevens. Was für eine schreckliche Sache. Einfach furchtbar.«

Diane schluckte. »Ja.«

Tanner sprach mit Retra Tyler. »Ich habe nachher zwei Besprechungen. Ich möchte, dass beide von Anfang bis Ende aufgezeichnet werden.«

»Ja, Sir.«

Er blickte seiner Assistentin hinterher, als sie das Büro verließ.

Kurz darauf summte die Gegensprechanlage. »Mrs. Stevens ist hier, Mr. Kingsley.«

Tanner drückte auf einen der Knöpfe an der elektronischen Schaltkonsole auf seinem Schreibtisch, worauf Diane Stevens auf einem der Bildschirme an der Wand auftauchte. Sie hatte ihr blondes Haar nach hinten gekämmt und zu einem Knoten gebunden und trug einen weiß-blau gestreiften Rock und eine weiße Bluse. Sie wirkte blass.

»Schicken Sie sie bitte rein.«

Diana kam herein, und Tanner stand auf. »Danke, dass Sie gekommen sind, Mrs. Stevens.«

Diane nickte. »Guten Morgen.«

»Nehmen Sie bitte Platz.«

Diane ließ sich auf einem Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtisches nieder.

»Ich muss Ihnen wohl nicht eigens sagen, wie sehr wir alle über den brutalen Mord an Ihrem Mann schockiert sind. Ich versichere Ihnen, dass derjenige, der dafür verantwortlich ist, so schnell wie möglich seiner gerechten Strafe zugeführt werden wird.«

Asche ...

»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«

»Ja?«

»Hat Ihr Mann hin und wieder mit Ihnen über seine Arbeit gesprochen?«

Diane schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Wir haben das streng von unserem Privatleben getrennt, weil es dabei um so viele technische Dinge ging.«

Im Überwachungsraum am anderen Ende des Flurs hatte Retra Tyler unterdessen ein Gerät zur Stimmerkennung, einen Stimmen-Stress-Analysator und einen Videorecorder eingeschaltet und zeichnete das gesamte Gespräch auf, das in Tanners Büro stattfand.

»Ich weiß, wie schwer es für Sie sein muss, über diese Dinge zu sprechen«, sagte Tanner. »Aber inwieweit wussten Sie darüber Bescheid, dass Ihr Mann mit Drogen zu tun hatte?«

Diane starrte ihn an. Sie war so verblüfft, dass es ihr die Sprache verschlug. Es dauerte eine Weile, bis sie die richtigen Worte fand. »Was ... was wollen Sie damit sagen? Richard hätte sich niemals auf Drogen eingelassen.«