Greenburg schaute sie verdutzt an. »Entschuldigung, aber ich verstehe nicht, was .«
»Der Autoentführer. Ich habe die 911 angerufen und .«
Sie sah die Miene des Detectives. »Es geht gar nicht um den Überfall, oder?«
»Nein, Ma’am.« Greenburg schwieg einen Moment.
»Darf ich reinkommen?«
»Bitte sehr.«
Greenburg ging in die Wohnung.
Sie blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Worum geht es? Ist irgendetwas passiert?«
Er brachte kaum ein Wort heraus. »Ja. Tut mir Leid - ich muss Ihnen leider eine schlechte Nachricht überbringen. Es geht um Ihren Mann.«
»Was ist passiert?« Ihre Stimme bebte.
»Er hatte einen Unfall.«
Diane fröstelte mit einem Mal. »Was für einen Unfall?«
Greenburg holte tief Luft. »Er wurde letzte Nacht getötet, Mrs. Stevens. Wir haben seine Leiche heute Morgen unter einer Brücke am East River gefunden.«
Diane starrte ihn eine ganze Weile an, dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Da muss eine Verwechslung vorliegen, Detective. Mein Mann ist in der Arbeit, in seinem Labor.«
Die Sache war schwerer, als er erwartet hatte. »Mrs. Stevens, ist Ihr Mann letzte Nacht nach Hause gekommen?« »Nein, aber Richard arbeitet häufig die Nacht über durch. Er ist Wissenschaftler.« Sie wurde zusehends aufgebrachter.
»Mrs. Stevens, wussten Sie, dass Ihr Mann Verbindungen zur Mafia hatte?«
Diane wurde kreidebleich. »Zur Mafia? Sind Sie wahnsinnig?«
»Wir haben .«
Diane schnappte nach Luft. »Zeigen Sie mir Ihren Ausweis.«
»Natürlich.« Detective Greenburg zückte seinen Dienstausweis und zeigte ihn ihr.
Diane warf einen kurzen Blick darauf, dann versetzte sie Greenburg eine schallende Ohrfeige. »Werden Sie etwa dafür bezahlt, dass Sie in der Gegend herumfahren und anständige Bürger erschrecken? Mein Mann ist nicht tot! Er ist in der Arbeit.« Sie schrie ihn an.
Greenburg schaute ihr in die Augen und sah, dass sie unter Schock stand, es nicht wahrhaben wollte. »Mrs. Stevens, möchten Sie, dass ich jemanden vorbeischicke, der ein Auge auf Sie hat und ...?«:
»Sie brauchen jemanden, der ein Auge auf Sie hat. Und jetzt raus mit Ihnen.«
»Mrs. Stevens ...«
»Augenblicklich!«
Greenburg holte eine Visitenkarte heraus und legte sie auf den Tisch. »Hier ist meine Nummer, für den Fall, dass Sie mit mir reden möchten.«
Tja, dachte Greenburg, als er hinausging, das hab ich ja klasse hingekriegt. Ich hätte genauso gut sagen können:
»Sind Sie die Witwe von Mr. Stevens?«
Als Detective Greenburg weg war, schloss Diane die Wohnungstür ab und atmete tief durch. Dieser Trottel! Klingelt an der falschen Tür und will mir Angst machen. Ich sollte mich über ihn beschweren. Sie sah auf ihre Uhr. Richard wird bald heimkommen. Wird höchste Zeit, dass ich das Abendessen zubereite. Sie wollte eine Paella machen, sein Leibgericht. Diane ging in die Küche und fing mit den Vorbereitungen an.
Weil Richards Arbeit strenger Geheimhaltung unterlag, störte ihn Diane nie im Labor, und wenn er sich nicht meldete, wusste sie, dass er erst spät nach Hause kommen würde. Um acht Uhr war die Paella fertig. Sie kostete sie und lächelte zufrieden. Sie war ihr genauso gelungen, wie Richard sie mochte. Als er um zehn Uhr immer noch nicht da war, stellte Diane die Paella in den Kühlschrank und klebte eine Nachricht an die Tür: Liebling, Abendessen ist im Kühlschrank. Weck mich auf wenn du heimkommst. Richard war stets hungrig, wenn er nach Hause kam.
Mit einem Mal fühlte sich Diane wie ausgelaugt. Sie zog sich aus, schlüpfte in ihr Nachthemd, putzte sich die Zähne und ging zu Bett. Ein paar Minuten später schlief sie tief und fest.
Um drei Uhr morgens wachte sie schreiend auf.
2
Erst als der Morgen dämmerte, hörte Diane auf zu zittern. Sie hatte das Gefühl, als dringe ihr die Kälte bis ins Mark. Richard war tot. Sie würde ihn niemals wiedersehen, nie wieder seine Stimme hören, sich nie mehr an ihn schmiegen können. Es ist meine Schuld. Ich hätte diesen Gerichtssaal nie betreten dürfen. Ach, Richard, verzeih mir ... bitte verzeih mir ... Wie soll ich bloß ohne dich zurechtkommen? Du warst mein Ein und Alles, mein ganzer Lebensinhalt, undjetzt habe ich nichts mehr.
Sich wollte sich am liebsten einrollen.
Sie wollte verschwinden.
Sie wollte sterben.
Verzweifelt lag sie da und dachte an die Vergangenheit, daran, wie Richard ihr Leben verändert hatte ...
Diane West war in Sands Point, New York, aufgewachsen, einer ruhigen Wohngegend für wohlhabende Familien. Ihr Vater war Chirurg, die Mutter Künstlerin, und Diane hatte mit drei Jahren angefangen zu zeichnen. Sie ging auf das St.-Paul’s-Internat und danach aufs College. Dort hatte sie im ersten Jahr eine kurze Beziehung mit ihrem charismatischen Mathematiklehrer. Er erklärte ihr, dass er sie heiraten wollte, weil sie die einzige Frau auf der Welt für ihn sei. Als Diane erfuhr, dass er eine Frau und drei Kinder hatte, wurde ihr klar, dass er entweder an Gedächtnisschwund litt oder nicht zählen konnte, und sie wechselte daraufhin ans Wellesley College.
Sie verschrieb sich voll und ganz der Kunst und malte in jeder freien Minute. Als Diane ihren Collegeabschluss machte, verkaufte sie bereits die ersten Bilder und erwarb sich einen Ruf als vielversprechende Künstlerin.
Im darauf folgenden Herbst hatte sie in einer Galerie an der Fifth Avenue ihre erste Ausstellung, die prompt ein voller Erfolg wurde. Paul Deacon, der Galerist, war ein wohlhabender, belesener Afroamerikaner, der Dianes künstlerisches Können erkannte und sie von Anfang an förderte.
Als sie anlässlich der Vernissage inmitten der Menschentrauben im Salon stand, eilte Deacon mit breitem Lächeln zu ihr. »Herzlichen Glückwunsch! Wie haben bereits einen Großteil der Bilder verkauft! In ein paar Monaten machen wir die nächste Ausstellung, sobald du so weit bist.« Diane war begeistert. »Das ist ja wunderbar, Paul.«
»Du hast es verdient.« Er tätschelte ihr die Schulter und wieselte davon.
Diane schrieb gerade ein Autogramm, als ein Mann hinter sie trat und sagte: »Ich mag Ihre Kurven.«
Diane erstarrte. Wütend fuhr sie herum und öffnete den Mund zu einer scharfen Erwiderung, als er fortfuhr.
»Sie haben die Eleganz eines Rossetti oder Manet.« Er betrachtete eines ihrer Bilder an der Wand.
Diane konnte sich im letzten Moment noch beherrschen.
»Oh.« Sie betrachtete den Mann genauer. Dem Äußeren nach zu schließen, war er etwa Mitte dreißig. Er war rund eins achtzig groß, sportlich gebaut, hatte blonde Haare und hellblaue Augen. Er trug einen hellbraunen Anzug, ein weißes Hemd und eine braune Krawatte.
»Ich - danke Ihnen.«
»Wann haben Sie mit der Malerei angefangen?«
»Als Kind. Meine Mutter war Malerin.«
Er lächelte. »Meine Mutter war Köchin, aber ich kann trotzdem nicht kochen. Ich weiß, wie Sie heißen. Ich bin Richard Stevens.«
In diesem Augenblick kam Paul Deacon mit drei Paketen zu ihnen. »Hier sind Ihre Bilder, Mr. Stevens. Viel Freude damit.«
Er reichte sie Richard Stevens und ging wieder weg.
Diane blickte ihn überrascht an. »Sie haben drei Bilder von mir gekauft?«
»In meiner Wohnung hängen noch zwei.«
»Ich - ich fühle mich geschmeichelt.«
»Ein großes Talent erkenne ich gleich.«
»Vielen Dank.«
Er zögerte. »Tja, Sie sind vermutlich beschäftigt, also mach ich’s kurz .«