Ein Mann in einer grünen Uniform mit roten und goldenen Litzen, einem schwarzen Gürtel, schwarzen Schuhen und einem schwarzen Barett trat vor ihnen auf die Fahrbahn und hob die Hand. Er deutete zum Straßenrand.
»Das ist die ETA«, murmelte Kelly leise vor sich hin. »Wir dürfen nicht anhalten. Weiß Gott, wie lange die uns hier warten lassen.«
Der Uniformierte kam zu ihrem Wagen und beugte sich herab. »Ich bin Capitan Iradi. Steigen Sie bitte aus.«
Diane schaute ihn an und lächelte. »Ich würde Ihnen ja gern helfen, aber wir sind mit unserem eigenen Kampf beschäftigt.« Sie trat das Gaspedal durch, lenkte den Wagen um das brennende Auto herum, wich den schreienden Schaulustigen aus und raste davon.
Kelly hatte die Augen geschlossen. »Haben wir jemanden gerammt?«
»Alles bestens.«
Als Kelly die Augen wieder aufschlug und in den Seitenspiegel blickte, erstarrte sie. Ein schwarzer Citroën Berlingo fuhr hinter ihnen, und sie konnte den Mann am Lenkrad erkennen.
»Das ist Godzilla!«, stieß Kelly hervor. »Er sitzt in dem Auto hinter uns.«
»Was? Wie konnte er uns so schnell finden?« Diane trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Trotzdem holte der Citroën allmählich auf. Diane warf einen Blick auf den Tacho. Der Zeiger stand bei 175 Stundenkilometer.
»So schnell darf man wahrscheinlich nicht mal auf der Rennstrecke in Indianapolis fahren«, sagte Kelly nervös.
Rund anderthalb Kilometer weiter vorn sah Diane den Kontrollpunkt der spanisch-französischen Grenze.
»Schlagen Sie mich«, sagte sie.
Kelly lachte. »Ich habe doch bloß Spaß gemacht, weil ...«
»Schlagen Sie mich«, herrschte Diane sie mit drängendem Tonfall an.
Der Citroën kam näher.
»Was wollen Sie ...?«:
»Machen Sie schon!«
Halbherzig versetzte Kelly ihr eine Ohrfeige.
»Nein. Schlagen Sie fest zu.«
Mittlerweile befanden sich nur noch zwei andere Autos zwischen ihnen und dem Citroën.
»Schnell«, rief Diane.
Kelly wand sich innerlich, als sie die Faust ballte und Diane auf die Wange schlug.
»Fester.«
Wieder schlug Kelly zu. Diesmal riss der Diamant an ihrem Ehering Dianes Wange auf, die sofort blutete.
Kelly schaute Diane entsetzt an. »Tut mir Leid, Diane. Ich wollte nicht .«
Sie hatten die Grenzstation erreicht. Diane trat auf die Bremse.
Der Grenzposten kam zu ihrem Wagen. »Buenas tardes, Senoras.«
»Guten Tag.« Diane wandte den Kopf nach links, damit der Posten das Blut sehen konnte, das ihr über die Wange lief.
Entgeistert schaute er auf die Wunde. »Senora, was ist passiert?«
Diane biss sich auf die Lippe. »Das war mein Exmann. Er schlägt mich immer. Ich habe schon eine gerichtliche Verfügung gegen ihn erwirkt, aber ich ... ich komme nicht gegen ihn an. Er stellt mir ständig nach. Er ist da hinten. Ich weiß, dass es sinnlos ist, Sie um Hilfe zu bitten. Niemand kann ihn aufhalten.«
Mit grimmiger Miene wandte sich der Posten um und musterte die Wagen, die vor der Kontrollstelle warteten. »In welchem Auto sitzt er?«
»In dem schwarzen Citroën. Zwei Wagen weiter hinten. Ich glaube, er will mich umbringen.«
»Aha, tatsächlich?«, knurrte der Posten. »Fahren Sie weiter, Senoras. Wegen dem brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen.«
Diane schaute ihn an und sagte: »Oh, danke. Vielen Dank.«
Kurz darauf passierten sie die Grenze und fuhren nach Frankreich.
»Diane .«
»Ja?«
Kelly legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es tut mir ja so Leid .« Sie deutete auf Dianes Wange.
Diane grinste. »Dadurch sind wir Godzilla losgeworden, nicht wahr?« Sie warf Kelly einen kurzen Blick zu. »Sie weinen ja.«
»Nein. Tu ich nicht.« Kelly schniefte. »Das liegt nur an der verdammten Wimperntusche. Was Sie da gemacht haben . Sie sind nicht nur das hübsche Frauchen, was?«, fragte Kelly, während sie Dianes Wunde mit einem Taschentuch abtupfte.
Diane blickte in den Rückspiegel und verzog das Gesicht.
»Nein, nicht mehr.«
Als Harry Flint zu der Kontrollstation kam, erwartete ihn der Grenzposten bereits. »Steigen Sie bitte aus.«
»Dafür habe ich keine Zeit«, sagte Flint. »Ich hab’s eilig. Ich muss .«
»Steigen Sie aus.«
Flint schaute ihn an. »Warum? Was ist los?«
»Bei uns ist eine Meldung eingegangen, dass ein Wagen mit diesem Kennzeichen Drogen geschmuggelt hat. Wir müssen Ihr Fahrzeug auseinander nehmen.«
Flint funkelte ihn an. »Sind Sie verrückt? Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich’s eilig habe. Man schmuggelt doch keine Drogen in ...« Er verstummte und lächelte. »Schon kapiert.« Er griff in seine Tasche und reichte dem Posten einen Hundertdollarschein. »Bitte sehr. Nehmen Sie’s, und vergessen Sie die Sache.«
»José!«, rief der Posten.
Ein Capitän in Uniform kam aus dem Wachhäuschen. Der Posten reichte ihm den Hundertdollarschein. »Das ist ein Bestechungsversuch.«
»Steigen Sie aus dem Wagen«, sagte der Capitan zu Flint.
»Sie sind wegen versuchter Bestechung festgenommen. Fahren Sie auf den Parkplatz .«
»Nein. Sie dürfen mich jetzt nicht festnehmen. Ich bin mitten in .«
»Und wegen Widerstands.« Er wandte sich an den Posten.
»Rufen Sie Verstärkung.«
Flint holte tief Luft und warf einen Blick nach vorn. Der Peugeot war bereits außer Sicht.
Er wandte sich an den Capitan. »Ich muss telefonieren.«
Zu ihrer Linken erstreckte sich das Meer, und rechts ragten die Ausläufer der Pyrenäen auf, als Diane und Kelly durch die südwestfranzösische Küstenebene fuhren. Bayonne lag unmittelbar vor ihnen.
»Sie sagten, Sie haben einen Freund in Paris?«, erinnerte sich Diane.
»Ja. Sam Meadows. Er hat mit Mark gearbeitet. Ich habe das Gefühl, dass er uns weiterhelfen kann.« Kelly griff in ihre Handtasche, holte ihr neues Handy heraus und wählte eine Nummer in Paris.
»KIG«, meldete sich die Vermittlung.
»Könnte ich bitte Sam Meadows sprechen?«
Kurz darauf hörte Kelly seine Stimme.
»Hallo.«
»Sam, Kelly hier. Ich bin auf dem Weg nach Paris.«
»Mein Gott! Ich bin außer mir vor Sorge um dich. Ist alles in Ordnung?«
Kelly zögerte. »Ich glaube schon.«
»Das ist der reinste Albtraum«, sagte Sam Meadows. »Ich kann’s immer noch nicht fassen.«
Ich auch nicht, dachte Kelly. »Sam, ich muss dir etwas sagen. Ich glaube, Mark wurde ermordet.«
»Das glaub ich auch.« Bei seiner Antwort lief es ihr eiskalt über den Rücken.
Kelly brachte kaum ein Wort heraus. »Ich muss erfahren, was passiert ist. Kannst du mir helfen?«
»Ich glaube, darüber sollten wir nicht am Telefon sprechen, Kelly.« Er war um einen beiläufigen Tonfall bemüht.
»Ich ... ich verstehe.«
»Warum reden wir nicht morgen Abend miteinander? Wir können bei mir zu Abend essen.«
»Gut.«
»Um sieben?«
»Ich komme vorbei«, sagte Kelly.
Sie stellte das Telefon ab. »Morgen Abend werde ich mehr wissen.«
»Ich fliege unterdessen nach Berlin und rede mit den Leuten, die mit Franz Verbrügge zusammengearbeitet haben.«
Kelly war mit einem Mal schweigsam.
Diane warf ihr einen Blick zu. »Was ist los?«
»Nichts. Es ist nur - wir sind so ein tolles Team. Ich darf gar nicht daran denken, dass wir uns trennen. Wieso fahren wir nicht zusammen nach Paris und ...?«:
Diane lächelte. »Wir trennen uns doch nicht, Kelly. Wenn Sie mit Sam Meadows gesprochen haben, rufen Sie mich an. Wir können uns in Berlin treffen. Bis dahin sollte ich einiges erfahren haben. Wir haben unsere Handys. Wir können jederzeit in Verbindung bleiben. Ich bin schon ganz gespannt darauf, was Sie morgen Abend erfahren.«