Dann waren sie endlich in Paris.
Diane warf einen Blick in den Rückspiegel. »Weit und breit kein schwarzer Citroën. Wir haben sie endgültig abgehängt. Wohin soll ich Sie bringen?«
Kelly schaute aus dem Fenster. Sie näherten sich der Place de la Concorde.
»Diane, warum setzen Sie mich nicht einfach ab und fahren schon mal weiter? Ab hier kann ich mir ein Taxi nehmen.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
»Seien Sie vorsichtig.«
»Sie auch.«
Zwei Minuten später saß Kelly in einem Taxi und war unterwegs zu ihrem Apartment. Sie konnte es kaum abwarten, wieder nach Hause zu kommen. In ein paar Stunden würde sie sich mit Sam Meadows zum Abendessen in dessen Wohnung treffen.
Kelly war zutiefst erleichtert, als das Taxi vor ihrem Apartmenthaus hielt. Endlich war sie wieder zu Hause. Der Portier öffnete ihr die Tür.
Kelly blickte auf und sagte: »Ich bin wieder da, Martin .«
Dann stockte sie. Der Portier war ihr völlig unbekannt.
»Guten Tag, Madame.«
»Guten Tag. Wo ist Martin?«
»Martin arbeitet nicht mehr hier. Er hat gekündigt.«
Kelly war betroffen. »Oh, das tut mir Leid.«
»Bitte, Madame, gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin Jérôme Malo.«
Kelly nickte.
Sie ging ins Foyer. Ein großer, schlanker Mann, den sie nicht kannte, stand neben Nicole Paradis an der Rezeption.
Der Fremde lächelte. »Guten Abend, Madame Harris. Wir haben Sie erwartet. Ich bin Alphonse Girouard, der Concierge des Hauses.«
Kelly blickte sich verdutzt um. »Wo ist Philippe Cendre?«
»Ah. Philippe und seine Familie sind nach Spanien gezogen.« Er zuckte die Achseln. »Eine neue berufliche Herausforderung, glaube ich.«
Kelly wurde mit einem Mal unruhig. »Und ihre Tochter?«
»Sie ist mit ihnen weggezogen.«
Habe ich Ihnen schon erzählt, dass meine Tochter an der Sorbonne angenommen wurde? Für uns ist ein Traum in Erfüllung gegangen.
Kelly versuchte so ruhig wie möglich zu klingen. »Wann sind sie weggezogen?«
»Vor ein paar Tagen. Aber machen Sie sich bitte keine Gedanken, Madame. Wir werden uns auch künftig gut um Sie kümmern. Ihr Apartment ist für Sie vorbereitet.«
Nicole Paradis, die an der Rezeption saß, blickte auf. »Willkommen daheim.« Aber ihr Blick besagte etwas anderes.
»Wo ist Angel?«
»Oh, der kleine Hund? Philippe hat ihn mitgenommen.«
Kelly konnte nur mühsam die Panik unterdrücken. Sie bekam kaum noch Luft.
»Wollen wir uns hinaufbegeben, Madame? Wir haben in Ihrem Apartment eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet.«
Ganz bestimmt. Kellys Gedanken überschlugen sich. »Ja, einen Moment noch«, sagte sie. »Ich muss nur noch kurz etwas holen.«
Ehe Girouard etwas sagen konnte, war Kelly draußen und rannte die Straße entlang.
Jérôme Malo und Alphonse Girouard standen auf dem Bürgersteig und hielten Ausschau nach ihr. Sie hatten sich überrumpeln lassen, und jetzt war es zu spät. Sie konnten sie nicht mehr aufhalten. Ohnmächtig mussten sie mit ansehen, wie sie in ein Taxi stieg.
Mein Gott! Was haben sie mit Philippe und seiner Familie gemacht? Und mit Angel?, fragte sich Kelly.
»Wohin, Madame?«
»Fahren Sie einfach los!« Heute Abend werde ich erfahren, was hinter dieser ganzen Sache steckt, dachte Kelly. Bis dahin muss ich noch vier Stunden totschlagen.
In seinem Apartment beendete Sam Meadows gerade ein Telefongespräch. »Ja. Mir ist klar, wie wichtig es ist. Ich werde mich darum kümmern ... Ich erwarte sie in ein paar Minuten zum Abendessen ... ja ... Ich habe bereits dafür gesorgt, dass jemand die Leiche beseitigt ... Vielen Dank. Das ist sehr großzügig, Mr. Kingsley.«
Sam Meadows legte den Hörer auf und warf einen Blick auf seine Uhr. Sein Gast müsste jede Minute eintreffen.
36
Nachdem Diane am Berliner Flughafen Tegel gelandet war, musste sie fünfzehn Minuten in der Schlange stehen, bis sie ein Taxi bekam. Endlich war sie an der Reihe.
Der Fahrer lächelte. »Wohin soll’s gehen?«
»Sprechen Sie Englisch?«
»Natürlich, gnädige Frau.«
»Zum Hotel Kempinski, bitte.«
»Jawohl.«
Fünfundzwanzig Minuten später stand Diane an der Rezeption des Hotels.
»Ich würde gern einen Wagen samt Fahrer mieten.«
»Aber gern, gnädige Frau.« Der Mann an der Rezeption blickte nach unten. »Ihr Gepäck?«
»Das kommt nach.«
»Wohin möchten Sie, gnädige Frau?«, fragte der Fahrer, als der Wagen eintraf.
Sie brauchte ein bisschen Zeit zum Nachdenken. »Fahren Sie bitte einfach eine Weile herum.«
»Gut. In Berlin gibt es viel zu sehen.«
Kelly kam aus dem Staunen kaum heraus. Sie wusste, dass im Zweiten Weltkrieg weite Teile Berlins durch Bomben und Straßenkämpfe zerstört worden waren, aber jetzt erlebte sie eine brodelnde, geschäftige Stadt mit reizvollen modernen Gebäuden und einer erfrischend lebhaften Atmosphäre.
Die Straßennamen allerdings kamen ihr absonderlich vor: Windscheidstraße, Regensburger Straße, Lützowufer ...
Der Fahrer erklärte ihr die Geschichte der Parks und Gebäude, an denen sie vorbeifuhren, aber Diane hörte kaum zu. Sie musste mit den Leuten an Sonja Verbrügges Arbeitsplatz sprechen und herausfinden, was sie wussten. Der Eintragung im Internet zufolge war Franz Verbrügges Frau tot und er selbst verschwunden.
Diane beugte sich nach vorn. »Kennen Sie ein Internet-Cafe?«, fragte sie.
»Selbstverständlich, gnädige Frau.«
»Würden Sie mich bitte hinbringen?«
»Es ist ausgezeichnet. Sehr beliebt. Dort kriegen Sie jede Information, die Sie möchten.«
Das will ich doch hoffen, dachte Diane.
Das Cyberlin-Cafe war nicht so groß wie das Internet-Cafe in New York, aber allem Anschein nach genauso ausgelastet.
Als Diane durch die Tür ging, kam eine Frau, die an der Anmeldung stand, auf sie zu. »In zehn Minuten ist ein Computer für Sie frei.«
»Ich würde gern mit dem Geschäftsführer sprechen«, sagte Diane.
»Ich bin die Geschäftsführerin.«
»Oh.«
»Und weswegen wollen Sie mit mir sprechen?«
»Ich möchte mich mit Ihnen über Sonja Verbrügge unterhalten.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Frau Verbrügge arbeitet nicht mehr hier.«
»Ich weiß«, sagte Diane. »Sie ist tot. Ich versuche herauszufinden, wie sie ums Leben gekommen ist.«
Die Frau musterte Diane mit durchdringendem Blick. »Es war ein Unfall. Als die Polizei ihren Computer sicherstellte, fand man ...« Ihr Gesicht nahm mit einem Mal einen verschlagenen Ausdruck an. »Wenn Sie einen Moment warten, rufe ich jemanden an, der Ihnen weiterhelfen kann. Bin gleich wieder da.«
Als Diane der Frau hinterherblickte, die eilends nach hinten ging, war ihr mit einem Mal nicht mehr wohl in ihrer Haut. Sobald sie außer Sicht war, stürmte sie nach draußen und stieg in den Wagen. Hier hatte sie keine Hilfe zu erwarten. Ich muss mit Franz Verbrügges Sekretärin sprechen.
In einer Telefonzelle suchte sie die Nummer der KIG heraus und wählte sie.
»KIG Berlin.«
»Könnte ich bitte mit Franz Verbrügges Sekretärin sprechen?«, sagte Diane.
»Wie lautet Ihr Name?«
»Susan Stratford.«
»Einen Moment bitte.«
In Tanners Büro leuchtete das blaue Lämpchen auf. Tanner lächelte seinem Bruder zu. »Diane Stevens ruft an. Mal sehen, ob wir ihr helfen können.« Er schaltete den Lautsprecher ein.
Die Stimme der KIG-Vermittlung drang aus dem Apparat. »Seine Sekretärin ist nicht hier. Möchten Sie vielleicht mit seiner Assistentin sprechen?«