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»Ein sehr vornehmer Ort«, flüsterte der Ordensbruder.

»Vergiß nicht, Bruder«, murmelte Cranston, als sie sich setzten, »heute abend speisen wir mit einem Mörder!«

Vier

Cranston saß auf seinem Stuhl im Rosensaal und umschloß einen Weinbecher liebevoll mit beiden Händen.

»Bin das erste Mal hier«, raunte er Athelstan zu.

Der Ordensbruder musterte seinen dicken Freund besorgt. Wenn Cranston einen richtigen Rausch hatte, war er beängstigend unberechenbar. Er konnte einschlafen oder auch anfangen, diesen mächtigen Männern Vorträge zu halten. Aber im Augenblick schien der Coroner ganz ruhig zu sein, und Athelstan, der sparsam gegessen und getrunken hatte, schaute sich beifallig im Rosensaal um.

Der Raum war kreisrund und erinnerte ihn an das Bild eines griechischen Tempels, das er einmal in einem Stundenbuch gesehen hatte. Die Decke war eine Kuppel mit geschickt verzierten, blankpolierten Stichbalken, die sich in der Mitte zu einer riesigen hölzernen und mit Blattgold belegten Rose trafen. Die Wände und die dunklen Tür- und Fensternischen waren aus behauenem Stein, und zwischen den Stützpfeilern aus Porphyr spannten sich Brokatbanner mit dem Königswappen oder den Insignien des Hauses Lancaster. Auf dem Marmorboden lag ein Teppich mit einer roten Rose in der Mitte, von der purpurne und weiße Strahlen ausgingen; am Ende eines jeden stand der Name eines der Ritter aus König Arthurs Tafelrunde. Über jedem Namen saß ein Gast an einem separaten Tisch, einer kleinen, mit silberweißem Tuch bedeckten Eichenholztafel. Auf dem Platz König Arthurs saß der junge Richard. Sein goldenes Haar war kunstvoll frisiert, und er trug ein silbernes Band um die blasse Stirn. Gekleidet war der junge König von Kopf bis Fuß in purpurroten Damast.

Athelstan achtete nicht auf die Gespräche, die ihn umschwirrten; er betrachtete Richard, der ohne mit der Wimper zu zucken in den Saal starrte. Schließlich merkte er, daß der Bruder ihn anschaute, und er lächelte und zwinkerte boshaft. Athelstan grinste verlegen und wandte den Blick ab. Er hatte keine Angst vor Gaunt, der in scharlachroten Gewändern zur Rechten des Königs saß, aber er wußte, wie eifersüchtig der Regent auf die offensichtliche Zuneigung war, die der König Sir John Cranston und auch seinem Secretarius, Bruder Athelstan, entgegenbrachte. Der junge König wandte sich Hussey zu seiner Linken zu und plauderte mit ihm. Dabei hielt er in einer freundschaftlichen Geste das Handgelenk seines Lehrers umfaßt. Cranston war inzwischen bei seinem achten Becher Rotwein angekommen, aber jetzt schaute er doch Athelstan an und zog eine Grimasse: Daß der König bei einem formellen Bankett jemanden berührte, war ein Verstoß gegen die Etikette und zugleich das Zeichen höchster königlicher Gunst.

Athelstan blickte zu Gaunt hinüber und war scharfsichtig genug, um den Hauch von Ärger zu sehen, der über das schwermütige Gesicht des Regenten huschte, obwohl Gaunt es zu verbergen versuchte, indem er sich über den sauber gestutzten, goldblonden Bart strich.

»Wie ich schon sagte«, flüsterte Cranston dem Ordensbruder ziemlich geräuschvoll ins Ohr, »da gibt's kein Liebesgesäusel mehr. Hussey ist jetzt der Favorit des Königs und noch dazu sein Lehrer. Ein Mann von der Universität«, fügte er hinzu. »Was Hussey und der König wohl von Gaunts Freundschaft mit den Gildemeistern halten? Sieh dir diese Mistkäfer nur an!«

Athelstan drückte Cranstons Arm. »Sir John, dämpft Eure Stimme. Habt Ihr gut gegessen?«

Cranston lächelte. »So würde ich's mir im Paradies wünschen! Um Gottes willen, Bruder, sieh dir bloß diesen Reichtum an!«

Athelstan betrachtete seinen Becher, den Teller und die Messer; alles war aus purem Gold und Silber. Der Becher, den er beim Essen kaum angerührt hatte, war mit einem Vermögen an Edelsteinen besetzt; sie stammten aus der Beute, die Gaunt von seinen Kriegszügen in Frankreich mitgebracht hatte.

»Was haben wir denn bis jetzt gegessen, Bruder?«

»Neunaugen, Lachs, Hirsch, Eberbraten, Schwan und Pfau«, zählte Athelstan grinsend auf. »Und der Nachtisch kommt noch.«

Er wollte Sir John weiter necken, als plötzlich Fitzroy, der Gildemeister der Fischhändler, aufsprang und an seinem pelzbesetzten Kragen zerrte; sein sonst immer rotes Gesicht war jetzt violett angelaufen, und er hustete und würgte. Die übrigen Gäste starrten ihn erstaunt an. Niemand rührte sich, als Fitzroy gegen die Tischkante taumelte, eine halbe Drehung machte und krachend zu Boden fiel.

Trotz seines vollen Bauchs sprang Cranston auf und eilte zu ihm, gefolgt von Athelstan. Fitzroy lag ausgestreckt auf der Seite; Augen und Mund standen offen, aber Athelstan fühlte kein Leben, als er an der bräunlichen Kehle nach dem Puls tastete. Er schob dem Mann den Finger in den Mund und vergewisserte sich, daß die Zunge frei lag; möglicherweise war Fitzroy ja daran erstickt. Er verbarg seinen Ekel und schob die Finger weiter hinein, aber die Kehle des Mannes war nicht blockiert. Cranston betastete Fitzroys Handgelenk, dann sein Herz.

»Er ist hinüber«, knurrte er. »Tot wie einer von seinen verdammten Fischen, Gott hab ihn selig.«

Die anderen stürzten unter Schreien und Rufen herbei, auch der junge König. Seinen jungen Jahren zum Trotz, drängte Richard sich kraftvoll vor.

»Ist der Mann tot, Sir John?«

»Gott schenke ihm die ewige Ruhe. Jawohl, Sire.«

»Und was ist der Grund?«

Athelstan zuckte die Achseln. »Ich bin kein Arzt, Euer Gnaden. Ein Schlaganfall vielleicht.«

»Neffe, Ihr solltet nicht hier sein.« Gaunt schob sich heran und legte dem jungen Richard eine beringte Hand auf die Schulter.

»Aber wir bleiben, Onkel, bis die Todesursache ermittelt ist. Du da, Mann!« Der König nickte einem der königlichen Bogenschützen zu, der an der Tür auf Posten stand. »Geh und hole Master de Troyes.«

Gaunt schluckte seinen Ärger herunter, nickte dem Soldaten zu und bestätigte so den Befehl seines Neffen. Athelstan starrte den Toten an.

»Das war kein Schlaganfall, Sir John«, sagte er leise. »Ich glaube nicht, daß Fitzroy eines natürlichen Todes gestorben ist.«

Die übrigen protestierten lautstark, aber Sir John hockte sich neben Athelstan nieder und hielt schweigengebietend einen Finger an den Mund.

Athelstan beugte sich über den Toten und schnupperte an seinem Mund. Er roch Wein, Braten und den bittersüßen Duft von etwas anderem, das ihn an eine verwelkende Rose mit einer starken Wermutnote erinnerte.

»Hat Fitzroy vor dem Essen über Unwohlsein geklagt?« fragte Sir John unvermittelt.

Bremmer, Sudbury, Marshall, Denny und Goodman standen beieinander und schüttelten die Köpfe.

»Er war bester Gesundheit«, quiekte Denny.

»Familie?« fragte Sir John, der immer noch neben der Leiche hockte.

»Eine Frau und zwei verheiratete Söhne. Aber sie sind alle nicht in der Stadt.«

Cranston nickte. Wie Lady Maude, verließen viele der Frauen führender städtischer Beamter und Kaufleute in den warmen Sommermonaten die Stadt und zogen hinaus in die kühlen Landhäuser. Athelstan blickte auf und betrachtete diese klugen, undurchschaubaren Männer eingehend. Einer von ihnen war seiner Meinung nach ein Giftmischer. Er stand auf, stieg über den Leichnam hinweg und setzte sich an Fitzroys Tisch. Der Silberteller enthielt Fleisch und andere Essensreste. Zwei Weinbecher standen da, jeder zu etwa einem Drittel voll mit rotem oder weißem Wein. Athelstan griff nach der goldgesäumten Serviette und betrachtete sie gründlich; er roch daran und dann auch an den Bechern und den Speiseresten. Es wurde still im Saal, und als er aufblickte, stellte er fest, daß alle ihn neugierig beobachteten.

»Was ist los, Bruder?« Gaunts Stimme war von Mißtrauen erfüllt.