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»Mylord Coroner soll seine Aufgabe zu Ende führen.«

Cranston verbeugte sich, ging zu Fitzroys Tisch und zog das Mundtuch weg. Er winkte den Arzt heran, und zusammen mit ihm und Bruder Athelstan untersuchte er sorgfaltig die Speisereste, den Weinbecher sowie Fitzroys Serviette und Messer. Die anderen schauten zu, scharrten unruhig mit den Füßen und redeten miteinander. De Troyes hörte sich trotz seiner Umständlichkeit aufmerksam alles an, was Athelstan zu sagen hatte, während sie alles auf dem Tisch beschnupperten, berührten und Proben davon kosteten.

»Nichts«, befand de Troyes schließlich. »Mylord Coroner, ich schlage vor, daß die Überreste all dieser Speisen mir überlassen werden. Es gibt Möglichkeiten, dergleichen zu prüfen - vielleicht, indem man es als Rattenköder auslegt. Aber bisher muß ich schließen, daß nichts auf Sir Thomas' Tisch vergiftet ist.«

Athelstan war ratlos. Er war sicher, daß niemand etwas angerührt hatte, nachdem Fitzroy zusammengebrochen war. Er und Cranston waren als erste bei dem Liegenden gewesen, und schon, als Fitzroy aufgesprungen war und sich an den Hals gegriffen hatte, hatte Athelstan die Männer rechts und links von ihm aufmerksam beobachtet. Weder Goodman noch Denny hatten Anstalten gemacht, etwas auf dem Tisch wegzunehmen oder auszutauschen. Sir John hatte die Tasche des Toten sorgfältig durchsucht, ohne aber etwas zu finden, was Fitzroys plötzlichen Tod durch Gift erklärt hätte.

Die Atmosphäre im Saal hatte sich spürbar verändert. Die Leute nahmen Abstand voneinander, als ihnen die volle Bedeutung der Ereignisse klar wurde. Sudbury sprach für sie alle.

»Mylord Gaunt«, begann er in empörtem Ton, »wir haben diesen Tag so freundschaftlich begonnen, aber binnen weniger Stunden sind zwei aus unserer Mitte tot, gemein hingemordet.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fauchte Clifford. »Die Schuld an diesen Todesfällen kann man doch nicht dem Regenten in die Schuhe schieben.«

»Ich beschreibe nur, was geschehen ist«, versetzte der Gildemeister geschmeidig.

»Euer Gnaden.« Entschlossen, die Situation in den Griff zu bekommen, wandte Gaunt sich an seinen Neffen. »Euer Gnaden«, wiederholte er, »Ihr solltet Euch zur Ruhe begeben. Sir Nicholas!« Er funkelte den königlichen Hauslehrer an.

»Wir gehen jetzt«, erklärte Richard. »Aber, liebster Onkel, im Rathaus wurden zwei Morde begangen. Jemand muß dafür zur Rechenschaft gezogen werden.« Der junge König machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Rosensaal, gefolgt von Hussey und dem Arzt.

Gaunt wartete, bis sie gegangen waren. »Räumt den Saal!« befahl er dann dem Offizier.

»Sir«, warf der Truchseß ein, »das Bankett ist noch nicht zu Ende. Soll ich den Nachtisch auftragen lassen?«

Gaunts wütender Blick beantwortete seine Frage, und der Truchseß und die übrigen Bediensteten eilten hinaus. Leise befahl Clifford den Bogenschützen und Soldaten, ebenfalls zu verschwinden. Kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen, als ein lautes Klopfen sie ihn wieder öffnen ließ. Athelstan sah draußen einen livrierten Diener, der ein paar Worte murmelte und Clifford ein Pergament in die Hand drückte. Clifford schloß die Tür wieder, trat in die Mitte des Raumes und las, was auf dem Pergament stand; dann reichte er es dem Regenten. Gaunt studierte es, und Wut loderte in seinem Gesicht.

»Setzen!« befahl er. »Ich habe Neuigkeiten für Euch!«

Alle gehorchten, auch Cranston und Athelstan. Gaunt nahm auf dem Stuhl des Königs Platz und hielt das Stück Pergament vor sich. Sie warteten, bis vier Bogenschützen auf Cliffords Befehl hereingekommen waren, Fitzroys Leiche ohne große Umstände in ein Leintuch gewickelt und so sorgfältig wie einen Haufen Müll hinausgeschleppt hatten. Gaunt schaute in die Runde der stummen, aufmerksamen Gäste.

»Ich habe hier eine Proklamation!« Seine Stimme wurde zu einem Brüllen. »Von dem verbrecherischen Verräter, der sich Ira Dei nennt!« Er warf Clifford das Pergament zu.

Der Edelmann strich es glatt. »›Sir Thomas Fitzroy‹«, las er dann vor, »›Hingerichtet für Verbrechen wider das Volk. Gezeichnet, Ira Dei.‹« Er blickte auf, und Athelstand spürte die Angst bei allen Gästen Gaunts. Sogar Cranston, der nicht so leicht einzuschüchtern war, senkte den Kopf.

»Was ist das?« murmelte Goodman. »Wer ist dieser Übeltäter, der die Größten der Stadt niederstrecken kann?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Athelstan und versuchte, die Atmosphäre der Angst zu vertreiben. »Aber jetzt stehen drei Dinge fest. Erstens: Fitzroy wurde ermordet. Zweitens: Der Mord wurde von dem Mann begangen, der sich Ira Dei nennt - oder in seinem Auftrag.« Er schwieg und warf Cranston einen Seitenblick zu.

»Und drittens?« fragte Gaunt.

»Euer Gnaden, es liegt auf der Hand. Fitzroys Tod ist noch nicht bekanntgegeben worden. Diese Proklamation, die an die Rathaustür angenagelt war, beweist: Entweder befindet sich Ira Dei in diesem Raum und hat den Brief von einem seiner Schergen anbringen lassen, oder einer seiner Leute ist unter uns, und dieser ›Zorn Gottes‹, wie er sich nennt, hat das Pergament selbst angebracht.«

»Was ist mit der Wache?« fragte Cranston. »Als wir kamen, haben wir doch draußen die Garde gesehen.«

»Als das Bankett begonnen hatte, wurde sie ins Rathaus zurückbeordert.«

»Dann hat mein Schreiber offenbar recht«, stellte Cranston in scharfem Ton fest. »Wie Ihr es auch deuten mögt, Euer Gnaden: In Eurer Mitte befindet sich ein mörderischer Verräter!«

Schon bei Athelstans Worten hatten alle die Brauen hochgezogen. Als der Coroner sie jetzt wiederholte, brach große Bestürzung aus.

»Was redet Ihr da?« schrie Goodman und sprang auf; alle höfische Etikette war vergessen.

»Es ist unerläßlich!« rief der stutzerhafte Denny. »Euer Gnaden, wir müssen sofort das Gold inspizieren, das jeder von uns in der Truhe der Rathauskapelle hinterlegt hat!« Er zog den Schlüssel hervor, der an einer Silberkette an seinem Hals hing, ganz ähnlich dem, den Clifford dem toten Fitzroy abgenommen hatte.

»Der Meinung bin ich auch«, erklärte der rothaarige Sudbury, dessen Gesicht von dem Wein, den er trank, noch röter war als sein Schopf. »Euer Gnaden, das ist eine Katastrophe. In unser aller Interesse muß die Truhe sofort überprüft werden.«

Gaunt sah Clifford an, und der nickte. Der Regent nahm eine Silberkette ab, die er um den Hals trug. Der Schlüssel, der daran baumelte, blinkte im Kerzenschein.

»Es ist wohl am besten so«, pflichtete er bei.

Clifford rief die Wache, und angeführt von vier Soldaten mit Fackeln, marschierten Gaunt und seine jetzt bedrückten Gäste, dazu Cranston und Athelstan, durch die Gewölbegänge, die breite Holztreppe hinauf und in die kleine Rathauskapelle. Für einen Augenblick blieben sie im Eingang stehen, spähten in die Dunkelheit und schnupperten den Weihrauchduft; die Wache zündete Fackeln an und die Kerzen, die auf dem Hochaltar standen. Die Kapelle, ein kleines Juwel mit blankpolierten Marmorsäulen, Mosaikfußboden und bemalten Wänden, erwachte zum Leben. Der Marmoraltar war mit reinweißen Tüchern bedeckt. Sie gingen darauf zu. Gaunt zog die Tücher mit entschlossener Bewegung beiseite. Unter dem Altar stand eine lange, mit Eisenbändern verstärkte Holzkiste auf vier Säulen. Trotz der schlechten Beleuchtung konnte Athelstan die sechs Schlösser an der Seite erkennen.

»Herausziehen!« befahl Gaunt.

Zwei Soldaten zogen die Truhe vor, so daß sie vor dem Altar stand. Schon dieses Unternehmen verursachte Bestürzung, denn die Truhe war unerwartet leicht. Lautstark befahl Gaunt Ruhe, dann steckte er seinen Schlüssel ins Schloß und drehte ihn um; Clifford, der Fitzroys Schlüssel hatte, tat es ihm nach, und die übrigen Gildemeister folgten. Die Beschläge wurden heruntergeklappt und die Truhe geöffnet. Athelstan und Cranston spähten den anderen über die Schultern.