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»Cranston!«

Sir John drehte sich um. Gaunt stand auf der Altartreppe.

»Ihr wißt, daß die Gildemeister wiederkommen werden. Oh, sie werden vernünftig sein. Sie werden eine gewisse Frist setzen, bis sie ihr Gold und die Antwort auf ihre Fragen bekommen.« Er drohte mit dem Finger. »Auch ich brauche Antworten, Mylord Coroner. Innerhalb von höchstens zehn Tagen.« Er ließ die unausgesprochene Drohung in der Luft hängen. Cranston machte auf dem Absatz kehrt und marschierte aus der Rathauskapelle.

Fünf

Draußen blieb Cranston stehen und schaute zum Mond hinauf. »Der Teufel soll auf sie pissen!« fluchte er. »Verdammte Säcke! Was für stinkende Scheißkübel! So eine Sauerei! Diese dreckigen, käferköpfigen, fettbäuchigen, verräterischen Schweine!«

Athelstan lächelte. »Mylord Coroner, Ihr sprecht von unseren Brüdern in Christo, den Gildemeistern?«

»Jawohl, Mönch, von denen spreche ich.« Cranston zerrte seinen wunderbaren Weinschlauch unter dem Mantel hervor und trank in herzhaften Zügen. »Oh Gott!« schnaufte er. »Was für eine Sauerei! Wie wurde Fitzroy ermordet, Bruder? Er hat das Gift nicht vor dem Essen genommen, und an seinen Speisen und seinem Besteck fanden sich keine Spuren irgendeiner Droge.«

Athelstan schüttelte den Kopf. »Ihr seid mir voraus, Sir John. Ich denke immer noch über Mountjoys Tod nach.« Der Ordensbruder spähte über die dunkle Cheapside zu den Laternenhörnern an den großen Kaufmannshäusern, und er dachte an die Worte seines alten Lehrers Pater Paul. »Die Wurzel aller Sünden«, hatte der alte Bruder gedröhnt, »ist der Stolz. Und das Gegenteil von Liebe ist nicht Haß oder Gleichgültigkeit, sondern Macht. Macht verdirbt, und das Streben nach Macht ist ein Weg, der geradewegs in die Hölle führt.«

Und auf diesem Weg sind wir jetzt, dachte Athelstan; hier drängen sich mächtige Männer mit unstillbarer Gier nach den besten Dingen im Leben. Wir alle sind Mörder, schloß er, und ihn fröstelte trotz der warmen Nachtluft. Er fühlte sich wie ein maskierter Schwertkämpfer, der im Stockfinstern in ein Turnier gestoßen wurde, bei dem es von Mördern wimmelte. »Ich will nach Hause«, flüsterte er, ehe er sich versah.

Cranston sah ihn verwundert an. »Aber du bist doch hier zu Hause, Bruder.«

Athelstan lächelte und schüttelte seine Gedanken ab. »Aye, Sir John, aber wir müssen noch einen Schlosser besuchen. Sagt, warum hat Euch Sturmeys Name nachdenklich gemacht?«

Cranston bekreuzigte sich und nahm noch drei Schluck aus seinem Weinschlauch; dann verstopfte er ihn wieder, hakte sich bei Athelstan unter und führte ihn in die Poultry hinauf.

»Ich weiß es nicht«, knurrte er. »Aber der Name läßt ein Glöckchen läuten. Das braucht seine Zeit, Bruder.«

Athelstan hielt sich die Nase zu, denn in diesem Teil der Cheapside stank es immer nach totem Geflügel. Er versuchte, nicht auf die Ratten zu achten, die zwischen den Jauchegruben in der Mitte der Straße hin und her huschten und nach saftigen Bissen stöberten, nach Innereien und den abgeschlagenen Köpfen von Hühnern, Wachteln, Rebhühnern und Regenpfeifern. Zwei weiße Federn schwebten zur Erde, und Athelstan mußte an Engel denken.

»Engel gibt es hier nicht«, murmelte er.

»Da hast du verdammt recht!« bekräftigte Cranston.

Sie fuhren zusammen und sprangen beiseite, als plötzlich zwei alte Frauen mit einem Schubkarren um die Ecke kamen; auf dem Karren lag der Leichnam einer alten Vettel. Athelstan machte ein Kreuzzeichen in die Luft. Eines der beiden alten Weiber drehte sich um und kicherte.

»Hin ist sie«, krähte sie. »An der Ruhr gestorben, und jetzt ab in die Kalkgruben mit ihr.«

»Ich wünschte, ich könnte dem ein Ende machen«, bemerkte Cranston. »Sie werden die Tote irgendwo auf eine Kirchentreppe legen.«

Der Karren rumpelte davon, und die beiden gingen weiter in Richtung Mercery. Zwei Huren standen an der Ecke einer Gasse; ihre safrangelben Kleider und roten Perücken leuchteten wie Signalfeuer in der Finsternis.

»Holla, ihr Damen!« rief Cranston. »Ihr kennt das Gesetz?«

»Welches Gesetz?« erwiderte die größere der beiden. »Wir beten hier nur.«

»Das ist Cranston!« zischte die kleinere, und die beiden Damen der Nacht flüchteten wie Glühwürmchen durch die düstere Gasse.

Athelstan und Cranston bogen in die Lawrence Lane ein, die wie ein dunkler Tunnel wirkte, weil die Häuser zu beiden Seiten so gebaut waren, daß man in den obersten Stockwerken mühelos ans Fenster gegenüber klopfen konnte.

»Gib acht, wo du hintrittst!« warnte Cranston.

Athelstan blickte zu Boden und sah, daß die Gosse in der Straßenmitte übergelaufen war und das Kopfsteinpflaster mit stinkendem Dreck überzogen hatte. Es roch nach Schwefel, den irgendein braver Bürger ausgeschüttet haben mußte, um den Gestank zu bekämpfen. Dunkle Gestalten lösten sich aus den Hauseingängen. Cranston schlug seinen Mantel über die Schulter nach hinten und zog seinen langen walisischen Spitzdolch.

»Guten Abend, ihr Böckchen! Ich bin John Cranston, der Coroner.«

Die unheimlichen Schatten verschwanden.

Sie gingen weiter; Cranston blieb hier und da stehen, um zu den Ladenschildern hinaufzuschauen, die über ihnen an Stangen hingen. Kurz bevor die Lawrence Lane in die Catte Street mündete, blieb er stehen und deutete auf eine Tafel, die an rostigen Ketten knarrte. Darauf stand »Peter Sturmey, Schlosser«. Cranston trat zurück und blickte nach oben. Er sah Kerzenschein in einem der oberen Stockwerke, und so hämmerte er an die Tür.

»Verpißt euch!« schrie jemand von der anderen Straßenseite.

Athelstan und Cranston sprangen schnell beiseite, als der stinkende Inhalt eines Nachttopfes geflogen kam.

»Hau ab!« brüllte Cranston zurück. »Ich bin Beamter der Justiz!«

»Von mir aus kannst du der König selbst sein!« erwiderte die Stimme, aber man hörte, wie das Fenster zugeschlagen wurde, und Cranston hämmerte weiter an die Tür.

Endlich wurde seine Hartnäckigkeit belohnt. Sie hörten Schritte, die mit einer Kette gesicherte Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und das blasse Gesicht einer Magd erschien gespenstisch im Kerzenschein.

»Wer ist da?« fragte sie. »Was gibt es? Habt Ihr Nachricht von meinem Herrn?«

»Mach auf«, sagte Cranston. »Sei ein braves Mädchen. Ich bin der Coroner der Stadt, und dies ist Bruder Athelstan. Wir haben mit deinem Herrn zu reden.«

Die Kette wurde gelöst, und die in einen Mantel gewickelte Magd trat zurück, um sie einzulassen. Der Kerzenschein im Hausflur ließ tanzende, flackernde Schattengestalten zum Leben erwachen.

»Ich will zu deinem Herrn«, wiederholte Cranston sanft.

»Sir, er ist nicht hier. Er ist heute nachmittag fortgegangen und nicht zurückgekommen.«

Athelstan schloß die Augen. »Oh Gott«, flüsterte er.

»Was ist denn?«

Ein zerzauster Junge mit schlaftrunkenem Blick und dem Antlitz eines Engels kam plötzlich aus einer Kammer in den Flur; in der Hand hielt er eine Laterne, die fast so groß war wie sein Kopf.

»Und wer bist du, Sir?« fragte ihn Cranston.

»Perrot«, sagte der Junge. »Master Sturmeys Lehrjunge.«

Er kam näher. Athelstan schätzte ihn auf dreizehn oder vierzehn Sommer, und wieder fühlte er sich an einen Engel erinnert, den Huddle in St. Erconwald an die Wand gemalt hatte.

»Der Meister ist fort«, sagte der Junge ungerührt. »Er ist kurz nach Mittag weg und nicht zurückgekommen.«

»Und die Herrin des Hauses?«

»Die ist auch fort und kommt nicht wieder.«

»Wieso nicht?«

»Weil sie vor fünf Jahren gestorben ist.«

Athelstan grinste und zog einen Penny aus seiner Börse. Er ließ ihn durch die Luft wirbeln, und der Junge fing ihn geschickt auf.