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Eine Zeitlang stand er mit dem Rücken zur Tür und bemühte sich, seine zitternden Knie zu beruhigen. Wer wagte es, ihn hier zu verhöhnen? Was würde Cranston tun, wenn er das erfuhr? Athelstan marschierte in die Speisekammer, goß einen Becher Wein ein und stürzte ihn hinunter, bevor er sich wieder an den Tisch setzte.

»Gottverdammt!« flüsterte er. Er klappte das Rechnungsbuch zu, räumte die übrigen Manuskripte beiseite und trug alles zu der großen, eisenbeschlagenen Truhe. Während er die Papiere hineinlegte und den Schlüssel im Schloß drehte, mußte er an den waghalsigen Raub im Rathaus denken. Hoffentlich war Sturmey noch am Leben. Wenn Cranston und er den Dieb fänden, würden sie auch den Mörder ausfindig machen. Er fuhr zusammen, als es laut an der Tür klopfte.

»Pater! Pater!«

Athelstan ging zur Tür und öffnete. Draußen stand Ursula, die Schweinehirtin; ihr sonst so heiteres rotes Warzengesicht war tränenüberströmt.

»Oh, Ursula«, sagte Athelstan. »Doch nicht etwa deine Sau? Ich kann nicht schon wieder kommen und sie segnen.«

»Nein, nein, Pater, es geht um meine Mutter. Sie stirbt!«

»Bist du sicher?« fragte Athelstan. »Ich habe Griselda schon mindestens dreimal die Letzte Ölung gespendet«

»Nein, Pater, sie sagt, sie stirbt. Sie kann es fühlen.«

»Dann komm.«

Athelstan schloß die Haustür und eilte hinüber zur Kirche. Drinnen war es kühl und dunkel und duftete nach Kerzentalg und Weihrauch. Das erste Morgenlicht beleuchtete Huddles Bilder an den Wänden, als Athelstan durch den Lettner in den Chor eilte. Er beugte das Knie und öffnete die Tabernakeltür, um das Viaticum und die Phiole mit dem Heiligen Ol herauszunehmen. Dann holte er Stola, Mantel, Zunder und eine Kerze aus der Sakristei und gab die Sachen Ursula, die im Vorraum der Kirche wartete. Er zündete die Kerze an, legte den Mantel um und schloß die Kirchentür ab; die Schweinehirtin beschirmte mit ihren großen, groben Händen die Kerzenflamme.

Er folgte Ursula durch die schmalen, gewundenen Gassen von Southwark zum Haus der Schweinehirtin, einer kleinen, zweigeschossigen Hütte hinter dem Kloster von St. Mary Overy. Wie immer räkelte sich die mächtige Sau, Ursulas Haustier und die Sonne ihres Lebens, vor dem Feuer, während Griselda in der anderen Ecke hinter einem Vorhang auf einem Strohsack lag, den Kopf zurückgelegt; ihre Hakennase ragte in die Luft, und ihre Augen waren halb offen. Athelstan hätte sie bereits für tot gehalten, wenn sich ihre knochige Brust nicht leise gehoben und gesenkt hätte. Athelstan hockte sich neben sie und stellte das Viaticum und das Heilige Ol auf einen dreibeinigen Schemel. Ursula blieb hinter ihm stehen und hielt die Kerze. Natürlich mußte auch die Sau sehen, was da vor sich ging, und als sie Athelstan erkannte, dessen Kohlbeet sie mit schöner Regelmäßigkeit plünderte, begann sie aufgeregt zu grunzen und zu schnüffeln.

»Ach, um Gottes willen, geh weg«, flüsterte er. »Ursula, um des lieben Herrgotts willen, gib ihr Kohl oder sonst etwas.«

»Sie ißt keinen Kohl«, versetzte Ursula knapp, packte die Sau beim Ohr und zog sie weg.

»Aye«, murmelte Athelstan bei sich. »Das verfluchte Vieh mag ihn nur, wenn er frisch ist!«

»Seid Ihr das, Pater?«

Athelstan beugte sich über die alte Frau; ihre Wangen waren eingefallen, die dicken, blutlosen Lippen geöffnet. Aber in den kleinen Knopfaugen leuchtete immer noch das Leben.

»Ja, Mutter Griselda, ich bin's, Athelstan.«

»Ihr seid ein guter Priester«, keuchte die Alte, »Ihr kommt, um die alte Griselda zu besuchen. Wollt Ihr meine Beichte hören, Pater?«

Athelstan grinste. »Wieso - was hast du denn angestellt, Mutter, seit ich sie dir das letzte Mal abgenommen habe? Wie viele junge Männer waren es diesmal?«

Die Lippen der Alten verzogen sich zu einem zahnlosen Lächeln.

»Was hast du denn Wollüstiges und Liederliches getan?« fuhr Athelstan fort und betrachtete die alte Frau. »Komm, Griselda, du hast längst deinen Frieden mit Gott geschlossen.«

Athelstan öffnete die goldene Pyxis, nahm die weiße Hostie heraus und schob sie der Sterbenden zwischen die Lippen. Dann salbte er ihr Haupt und Augen, Mund, Brust, Hände und Füße, während die Kiefer der Alten die dünne Oblate zermahlten. Endlich war er fertig. Ursula ging hinüber und schürte das kleine Feuer, und Griselda griff nach Athelstans Hand.

»Werde ich in den Himmel kommen, Pater?«

»Natürlich.«

»Wird mein Mann auch da sein?«

»Warum nicht?«

»Er hat die Weiber geliebt, Pater. In seiner Jugend war er schön wie die Sonne. Sein Haar war wie reifes Korn, und seine Augen blau wie der Himmel. Aber er war kein schlechter Mann, Pater, und ich habe ihn geliebt.« Sie hustete, und gelber Speichel rann ihr aus dem Mundwinkel. Athelstan nahm einen Lappen und tupfte ihr behutsam die Lippen ab.

»Gott weist keinen ab«, sagte er langsam, »der geliebt hat oder geliebt wurde.«

Die Alte hustete wieder. Athelstan sah sich um.

»Ursula, einen Becher Wasser!«

Doch da fühlte er, wie die Finger, die seine Hand umfaßten, sich lösten. Er schaute hinunter. Griseldas Kopf hatte sich zur Seite gesenkt. Er tastete nach dem Pulsschlag an ihrem Hals, aber da war nichts. Er sah Ursula an, die ihm den verschrammten Becher entgegenhielt. Tränen rannen ihr über die fetten Wangen.

»Sie hat uns verlassen«, sagte er leise. »Sie ist dahin. Uns vorausgegangen.«

Er blieb noch eine Weile, um Ursula zu trösten. Seinen Protesten zum Trotz bestand sie darauf, ihm eine dicke Speckseite zu geben. Mit Mantel und Stola unter dem einen und der Speckseite unter dem anderen Arm wanderte Athelstan zurück zu seiner Kirche.

Gerade erwachte Southwark zum Leben. Die Kleinhändler und Kesselflicker rumpelten mit ihren Handkarren zur Brücke hinunter, und schwitzende, fluchende Fuhrknechte plagten sich damit, ihre Ware, die sie vom Land hereinbrachten, über den Fluß zu schaffen, bevor die großen Märkte öffneten. Vor dem Hospital von St. Thomas bettelten zwei Aussätzige in schwarzen Lumpen um Almosen, während die Bezirksbüttel und Schergen nächtliche Ruhestörer, die sie erwischt hatten, an Händen und Füßen gefesselt zum Pranger hinunterführten. Zwei Betrunkene, die aus einem oberen Fenster gepißt hatten, hatte man Rücken an Rücken aneinandergebunden und ihnen die Hosen auf die Knöchel heruntergelassen; man würde sie durch die Straßen treiben und bis zur Mittagsstunde mit Abfall bewerfen lassen; dann würde ein Freund sie losschneiden dürfen. Die Behörden hatten offenbar auch ein Bordell ausgehoben; auf einem Karren saß eine ganze Ladung aneinandergefesselter Huren mit kahlgeschorenen Köpfen und mürrischen Gesichtern, die zum Fluß hinuntergebracht wurden, um ihre Strafe in Empfang zu nehmen. Ein gelber, magerer Hund knurrte Athelstan an; zähnefletschend sprang er nach dem Speck. Athelstan scheuchte ihn davon, bog in eine Gasse ein und klopfte bei Tab, dem Kesselflicker, an.

Seine grauhaarige Frau öffnete mit besorgter Miene. Athelstan drückte ihr die Speckseite in die Hände.

»Pater«, sagte sie leise, »das kann ich nicht.«

»Doch, das kannst du.« Er deutete auf die Kinder mit den schmutzigen Gesichtern, die an ihrem zerlumpten Rock hingen. »Und sie können es ganz gewiß. Aber du darfst Ursula nichts verraten.«

Er setzte seinen Weg fort und wollte gerade an seiner Kirchtür vorbeigehen, als er das Stück Pergament sah, das dort flatterte. Athelstan las die gekritzelten Worte:

Der Zorn Gottes wird brüllen aus den Wolken wie der Blitz.

Fluchend riß er das Blatt herunter und warf es in den Dreck; ohne auf Pikes Grüße zu achten, stapfte er wütend zu seinem Haus.

Sechs

Umringt von einer Schar junger Erwachsener und Kinder, saß Athelstan im Mittelschiff seiner Kirche. Es war ein Werktag; die Eltern waren zur Morgenmesse gekommen und gingen jetzt ihren Alltagspflichten nach. Athelstans Schule, wie Cranston es scherzhaft nannte, kam zweimal in der Woche vormittags für zwei Stunden zusammen; der Ordensbruder versuchte, der Jugend Lesen und Schreiben sowie die Grundlagen der Arithmetik und der Geometrie beizubringen. Natürlich bekamen sie auch Unterricht in ihrem Glauben, und Athelstan war überrascht, wie gewitzt und eifrig sich manche seiner Schüler zeigten.