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Er schaute in die Runde, und sein Herz zog sich vor Mitgefühl zusammen, als er die schmalen, schmutzigen Gesichter sah, die geflickten Kleider und die zerfetzten Sandalen. Sie saßen im Kreis, auch Bonaventura fehlte nicht, und Athelstan versuchte ihnen zu erklären, daß Gott überall sei.

Hin und wieder warf er einen verstohlenen Blick auf Pikes Sohn Thomas, der so dicht neben Watkins schöner Töchter Petronella saß, wie es nur ging. Athelstan betrachtete das rabenschwarze Haar des Mädchens, die glatte weiße Haut und die seegrünen Augen. Wie hatten Watkin und seine füllige Frau nur ein so schönes Kind hervorbringen können? Thomas war so sehr verliebt in sie, daß er Athelstan kaum eines Blickes würdigte.

»Weiter, Pater!« rief Crim.

»Natürlich.« Athelstan rieb sich die Augen. Die Mühen des vergangenen Tages hatten ihn müde gemacht. »Natürlich ist Gott überall; Er sieht alles und hört alles.«

»Ist er auch in meiner Hand?« fragte Crim.

»Natürlich.«

Crim schlug die Hände zusammen. »Dann sitzt er fest. Ich habe ihn!«

»Nein, nein«, erklärte Athelstan lachend. »So ist das nicht, Crim.«

»Aber Ihr habt gesagt, er ist überall.«

»Crim.« Athelstan lehnte sich zurück und verzog schmerzlich das Gesicht, als sein Knie knackte. »Gott ist wie die Luft, die wir atmen. Er ist in uns, ist ein Teil von uns, und zugleich ist er außerhalb von uns. Wie die Luft: Du atmest sie ein, und sie ist gleichzeitig in deiner Hand.«

Mugwort, der Glöckner, kam in die Kirche gestürmt, und Athelstan verzog das Gesicht, als der kleine, koboldhafte Mann in der Turmnische verschwand und wie ein Dämon am Glockenseil zu zerren anfing, um den mittäglichen Angelus zu läuten. Athelstan sprach das Gebet, erhob sich und klopfte seine Kutte ab.

»Ihr könnt jetzt spielen gehen. Crim, nicht aus dem Weihwasserbecken trinken. John und James!« Er schaute die beiden Kesselflickersöhne mit gespielter Strenge an; die beiden glichen sich wie ein Ei dem anderen mit ihren schmutzigen Gesichtern und dem fettigen Borstenhaar. »Der Taufbrunnen ist keine Burg. Ihr könnt draußen auf der Treppe spielen, aber nicht in der Kirche. Petronella und Thomas, bleibt bitte noch einen Augenblick hier.«

Die übrigen Kinder grinsten hinter vorgehaltenen Händen, und unter viel »Oooh« und »Aaah« trieb Athelstan sie zur Kirche hinaus. Daß die beiden ein Liebespaar waren, war in der Pfarrgemeinde wohlbekannt - das heißt, nur ihre Eltern wußten nichts.

»Pater?«

»Ja, was gibt's?« Athelstan schaute in das angestrengte, bleiche kleine Gesicht, das ihn unter der geteerten Spitzkappe hervor anspähte. »Was gibt's, Roland?«

Der kleine Junge flüsterte etwas, und Athelstan mußte sich niederhocken, um besser zu hören. Der Sohn des Rattenfängers Ranulf ließ ausrichten, daß sein Vater sich dringend mit ihm treffen wolle.

»Ja, ja«, sagte er dann und richtete sich auf. »Sag deinem Vater, wir sprechen uns morgen.«

Er biß sich auf die Unterlippe, um sein Lächeln zu verbergen. Der Kleine war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten; beide hatten die gleichen Gesichtszüge wie die Nager, denen sie nachstellten. Der Junge rannte davon, den übrigen nach, und Athelstan ging durch das Kirchenschiff zurück zu den beiden jungen Turteltauben, die vor dem Lettner saßen.

»Pater.« Thomas stand auf. »Ihr müßt bald mit unseren Eltern sprechen.«

»Warum?« Nervös schaute Athelstan das Mädchen an. »Ist etwas passiert?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

»Pater«, sagte sie flehend, »wir sind gekommen und haben Euch unser Geheimnis verraten. Ihr habt ins Buch des Blutes geschaut und festgestellt, daß keine Verwandtschaft zwischen uns besteht, außer, daß Thomas' Ururgroßonkel mit einer Verwandten meiner Großmutter verheiratet war.« Das Mädchen zählte die Punkte an den Fingern ab. »Wir sind bereit, uns unterrichten zu lassen. Thomas hat eine gute Stellung beim Hafenmeister in Dowgate, und ich kann sehr gut sticken. Pater, ich war es, die diese Altartücher gemacht hat. Warum also kann nicht das Aufgebot bestellt werden?«

Athelstan hob die Hand. »Gut. Ich werde am kommenden Sonntag nach der Messe mit euren Eltern sprechen. Vielleicht kommen sie alle auf einen Becher Wein zu mir nach Hause, um die gute Nachricht zu feiern?«

Das starre Lächeln blieb auf seinem Gesicht, als die beiden Verliebten vor Freude aufsprangen und Hand in Hand durch das Kirchenschiff liefen.

»Oh Gott!« flüsterte er. »Nur noch fünf Tage Zeit, bis Sonntag der Bürgerkrieg ausbricht.«

»Ich sollte wohl besser auch dasein.«

Athelstan lächelte. »Benedicta«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Wie lange bist du schon hier?«

»Lange genug, um zu hören, wie Ihr mit Euch selbst sprecht, Pater.«

Athelstan drehte sich um und ging durch die Kirche auf die Witwe zu, die dastand, eine Hand an eine Säule gelehnt. Sie sah elegant und schön aus wie immer. Das glatte, olivfarbene Gesicht, von einer sahnegelben Haube umrahmt, diese Augen, die spöttisch, heiter, tränenfeucht, großzügig, traurig und seelenvoll blicken konnten, und diese Lippen… Athelstan schob die Hände in die Ärmel seiner Kutte, kniff sich in den Arm und dachte an die Worte der Schrift: »Und wenn du ein Weib nur begehrst mit den Augen des Herzens …«

»Benedicta, was führt dich her?«

Sie lächelte schalkhaft. »Wie geht's mit dem Backen für das Herbstfest voran?«

»Das ist meine kleinste Sorge«, antwortete Athelstan bedrückt.

Er erzählte von seinem Besuch im Rathaus am Tag zuvor und unterbrach sich nur, als Benedicta bei der Beschreibung Cranstons und seiner beiden Wolfshunde zu lachen anfing. Als er von den Mordtaten sprach, wurde ihr Gesicht ernst.

»Ihr solltet auf der Hut sein, Pater«, murmelte sie. »Der Tratsch breitet sich in Southwark aus wie Feuer auf einem trockenen Stoppelfeld. Man redet von einer großen Revolte, von Angriffen auf Steuereintreiber, und Pike, der Grabenbauer, führt auch wieder was im Schilde.«

»Sagt dir der Name Ira Dei etwas, Benedicta?«

»Ich habe gehört, daß man ihn sich zuraunt, und auch von der Großen Gemeinschaft des Reiches wird getuschelt. Pike, der Grabenbauer, weiß Bescheid.« Sie lächelte verschmitzt. »Zumindest behauptet er das. Aber Pike hat mehr Bier als Bosheit im Leib.«

»Ich hatte Cranston erwartet«, sagte Athelstan und schaute zur Tür. »Einer seiner alten Kameraden ist ermordet worden, und die Stadtväter verlangen nicht nur ihre Mordfälle aufgeklärt zu sehen und ihr Gold zurückzubekommen, sie wollen auch wissen, warum den Verrätern, die auf der London Bridge aufgespießt stehen, Gliedmaßen abgeschnitten und gestohlen werden.«

»Das ist ein schweres Paket Sorgen«, sagte Benedicta. »Aber, Pater, ich muß diese Bürde noch vergrößern.«

»Wieso?« fragte er scharf.

»Gestern abend kam eine Frau in die Kirche.« Benedicta machte schmale Augen und versuchte, sich an den Namen zu erinnern. »Eleanor Hobden, so hieß sie.«

Athelstans Herz wurde schwer.

»Sie behauptet, ihre Tochter sei besessen«, fuhr Benedicta fort. »Sie sagt, sie will Euch heute nach der Vesper zu sich nach Hause holen. Was bedeutet das, Pater?«

Athelstans dunkle Augen schauten betrübt, aber sie widerstand dem Drang, seine Hand zu nehmen oder seine Wange zu streicheln.

»Sorgen«, murmelte der Priester. »Benedicta, wenn ich heute abend dort hingehe, willst du mitkommen?«