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»Habt Ihr Angst?« fragte sie halb scherzend.

»Nein, nein. Aber ich werde auch Sir John bitten, mich zu begleiten. In solchen Fällen kann das Salz des gesunden Menschenverstandes oft mehr nützen als der Segen eines Pfaffen.«

»Hab' ich dich endlich erwischt, Mönch!«

Athelstan und Benedicta fuhren erschrocken herum. Cranston stand barhäuptig und breitbeinig in der Kirchentür und strahlte sie an.

»Oh Gott«, flüsterte Athelstan, »er war wieder an seinem wunderbaren Weinschlauch.«

»Hab' ich dich endlich erwischt!« dröhnte Cranston noch einmal und kam auf sie zu. Dann blieb er stehen und spähte umher. »Wo ist der verfluchte Kater?«

»Auf der Jagd.«

»Gut.« Cranston kam herbei, schlang einen Bärenarm um Benedicta und drückte ihr einen schmatzenden Kuß auf die Wange. »Reizendes Mädchen«, flüsterte er. Dann grinste er Athelstan an. »Sie wird jemandem ein reizendes Weib sein.«

»Sir John Cranston!« rief Benedicta in gespieltem Zorn.

»Halt den Schnabel, Weib!« neckte er. »Bruder, du mußt mitkommen.«

»Oh nein, Sir John - wohin?«

»Nach Billingsgate, Botolph Wharf. Gerade ist Sturmeys Leiche aus dem Fluß gefischt worden - mit einem Messer tief in der Brust, ganz ähnlich dem, das bei Mountjoy benutzt wurde. Anscheinend ist er gestern nachmittag verschwunden.«

»Was wollte er in Billingsgate?«

»Weiß der Himmel!« Cranston schmatzte und schaute sich bewundernd in der Kirche um. »Allmählich sieht es hier aus wie in einem Gotteshaus, und nicht mehr wie in einer Scheune.«

Athelstan zwinkerte Benedicta zu, drehte sich um und führte Sir John zur Tür. »Wie geht es Gog und Magog?«

»Die fressen, als käme morgen das Ende der Welt.«

Cranston blieb stehen, warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Boscombe ist sein Gewicht in Gold wert, aber auch er kann mir nichts weiter über Mountjoys Tod sagen. Was er mir indessen erzählt hat« - Cranston lachte wieder -, »ist, daß Gog und Magog den armen Leif einen Baum hinaufgejagt haben. Der dumme Trottel wollte stundenlang nicht wieder herunterkommen.«

Sein Gesicht wurde ernst. »Gaunt und die Gildeherren haben mich heute morgen zum Bericht befohlen. Sie haben mich daran erinnert, daß ich nur zehn Tage Zeit habe, um das Gold zu finden und den Mörder zu fangen.«

»Bestehen sie darauf?«

»Ja. Lord Clifford soll ebenfalls herausfinden, was er kann.«

»Sonst…?« fragte Athelstan neugierig.

»Was meinst du damit, Mönch?«

»Ich meine, was passiert, wenn die zehn Tage um sind?«

»Gaunt verliert seine Verbündeten, sein Gold und seine Macht.«

Cranston blieb stehen und betrachtete den Taufbrunnen. Er studierte die Steinmetzarbeiten, die den Rand schmückten. Johannes der Täufer stand bis zu den Hüften in einem Jordan, der den Coroner eher an die Themse erinnerte als an einen Fluß in Palästina. »Diese Gildeherren… Lady, ich bitte um Vergebung« - und er neigte auch den Kopf in Richtung Tabernakel -, »aber sie sind mordgierige Gauner! Wadenbeißer, Bauernfanger, Hunde mit steinernen Herzen und Eselsköpfen!« Er atmete aus. »Wie große Aspikklumpen saßen sie da: der glubschäugige Goodman, der glatzköpfige Marshall, der Stutzer Denny und Sudbury mit einem Gesicht, das ein Schwein in Verzweiflung stürzen würde. Was mich wütend macht, Mönch …«

»Ordensbruder, Sir John!«

»Wie gesagt, Mönch: Was mich wütend macht, ist die Tatsache, daß einer dieser Mistkerle ein Mörder ist, vielleicht sogar mehrere. Ich weiß es. Es muß so sein!«

Cranston hätte seine Litanei von Flüchen fortgesetzt, aber Athelstan führte ihn hinaus auf die sonnenüberflutete Treppe von St. Erconwald. Er schloß die Kirchentür und auch seine Haustür, packte seine Satteltasche und den Beutel mit seinem Schreibzeug und ging in den Stall, um Philomel zu holen. Cranston nahm noch zwei tiefe Züge aus seinem Weinschlauch, vergaß die »pockenkranken Gildemeister« und wandte sich wieder seinen ewigen Späßen mit Benedicta zu.

Endlich gelang es Athelstan, den widerstrebenden Philomel zu satteln. Er hängte seine Tasche ans Sattelhorn und stieg vorsichtig auf.

Sir John holte sein eigenes Pferd, das auf dem Friedhof graste, und schwang sich mit solcher Wucht in den Sattel, daß Athelstan schmerzlich zusammenfuhr. Kein Wunder, dachte er, daß Crim den Coroner nur den »Pferdezermalmer« nannte. Athelstan trieb Philomel an; er war nicht der beste Reiter und wäre beinahe gegen Sir John geprallt. Der Ordensbruder funkelte die grinsende Benedicta wütend an und warf ihr die Schlüssel zur Kirche und seinem Haus zu.

»Wirst du alles im Auge behalten, Lady?«

Benedicta biß sich auf die Lippe, um nicht zu lachen, und nickte.

»Und zur Vesper kommst du wieder her?«

Wieder nickte sie.

Philomel setzte sich in Gang; gefolgt von Cranston warf Athelstan Benedicta eine Kußhand zu. Dann verließen beide den Kirchhof und ritten zur London Bridge hinunter.

»Was gibt's denn zur Vesper?« fragte Cranston unvermittelt.

»Da treffen wir den Teufel, Sir John. Ihr, ich und Benedicta.«

Cranstons Rülpser klang wie ein Fanfarenstoß. »Verflucht, was soll das heißen, Mönch?«

»Abwarten.«

Jedes weitere Gespräch erwies sich als unmöglich. Es war Markttag, und die Straßen von Southwark waren voller Menschen; Athelstan mußte immer wieder Pfarrkindern zuwinken.

»Grüß Euch, Mylord Coroner!« blökten Pike, der Grabenbauer, und Tab, der Kesselflicker, die mit Alekrügen in den Händen vor einer Schenke hockten.

»Haut bloß ab!« brüllte Cranston zurück; ihr spöttischer Ton entging ihm nicht.

Sie kamen an der Taverne zum Gescheckten vorbei. Cranston warf sehnsüchtige Blicke durch die dunkle Tür und schloß die Augen, als er den Duft der würzigen Pasteten schnupperte, die dort gebacken wurden. Aber Athelstan weigerte sich anzuhalten. Schließlich mußten sie doch absteigen, um durch das Gedränge um einen Ausrufer zu gelangen, der die Neuigkeiten des Tages bekanntmachte.

»Die Franzosen sind in Rye gelandet und haben die Kirche niedergebrannt! Der Lord Sheriff ist tot, in seinem eigenen Garten ins Herz gestochen, genau wie Sir Thomas Fitzroy tot ist und verwest wie viele der Fische, die er einst verkaufte! Eine Hexe ward gesehen, wie sie flog über St. Paul, und ein Knabe mit zwei Köpfen geboren in einem Haus bei Clerkenwell!«

Immer weiter sang der Ausrufer und rezitierte, was er erfahren hatte, eine Mischung aus Halbwahrheiten und Lügen. Athelstan und Cranston zogen weiter. Bei der Brücke machten die Gemüsehändler gute Geschäfte; den Blick starr auf die Ware gerichtet, gingen die Leute vorbei und runzelten nachdenklich die Stirn. Auf den Ständen türmten sich die verschiedensten Gemüse und Früchte: dunkelrote Liebesäpfel, Bündel von weiß glänzendem Lauch, Sellerie mit rosigen Strünken und hellgrünen Spitzen, die weißen Knollen der Pastinaken und Kastanien in sattbrauner Schale. Die Händler brüllten: »St.-Thomas-Zwiebeln!« und »Lauch, ganz frisch aus dem Garten!« Träger drängten sich mit zusammengebissenen Zähnen durch das Gedränge; ihre Wämse waren durchgeschwitzt, und unter überquellenden Kiepen halb gebückt kämpften sie sich voran. Ein Vogelhändler, dessen Stiefel rot vom Staub des Ziegelfeldes waren, stand neben einem Stapel von Käfigen und bot Hänflinge, Dompfaffen, Goldfinken und sogar Nester mit Eiern feil. Ein kleines Mädchen in schwarzen Lumpen verkaufte Brunnenkresse aus einem kleinen Faß. Sie sah so jämmerlich aus, daß Athelstan für zwei Pence bei ihr kaufte; Philomel mampfte die Kresse im Handumdrehen weg.

Cranston und Athelstan bahnten sich ihren Weg durch das Treiben, vorbei an Ständen mit Käsekuchen, Kämmen, alten Hüten und Schweinsfüßen; ein Klingenhändler, der Beile schärfte, beschimpfte einen Marktbeamten, der bei ihm Steuern kassieren wollte. Vor einer Schenke saß das Marktgericht und regelte den Betrieb des Marktes - oder versuchte es wenigstens. Die Luft war schwer vom Qualm und Gestank der Gerberei und der dichtgedrängten, schwitzenden Menschenleiber.