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Cranston und Athelstan schauten zu, wie der Mann weiterschwadronierte, obwohl jetzt Soldaten in der Livree der Stadt und mit dem Wappen John von Gaunts aus den Gassen zum Tower strömten. Die Soldaten bahnten sich mit der flachen Schwertklinge einen Weg durch die Menge, um den wahnsinnigen Propheten zu verhaften. Der Pöbel leistete Widerstand, die Stimmung war verdrossen; Prügeleien brachen aus, und als Athelstan wieder hinschaute, war der Prediger mit seinem Flammenkreuz verschwunden.

»Kommt, Sir John, ich habe ein Geständnis zu machen.«

Er führte den Coroner weg von dem Tumult.

»Was gibt's, Bruder?«

»Dieser Anführer der Großen Gemeinschaft, Ira Dei - er hat mir eine Warnung zukommen lassen.« Und Athelstan berichtete ausführlich von seinem seltsamen Besucher und auch von der Proklamation, die an seiner Kirchentür gehangen hatte.

Mit schmalen Lippen hörte Cranston ihm zu. Er war so besorgt, daß er sogar seinen wunderbaren Weinschlauch vergaß.

»Wieso kommen sie zu mir?« fragte Athelstan schließlich.

Cranston blies die Wangen auf. »Aus Angst, und um dir zu schmeicheln, Bruder. Aus Angst, weil er weiß, daß du mein Schreiber und Secretarius bist.«

»Und das zweite, Sir John?«

Cranston grinste schief. »Für einen Pfaffen bist du ziemlich bescheiden, Athelstan. Hast du noch nicht gemerkt, wie sehr du bei den Armen und Unglücklichen in Southwark geachtet, ja, verehrt wirst?«

Athelstan errötete und schaute weg.

»Das ist doch lächerlich«, sagte er leise.

»Oh nein, das ist es nicht!« versetzte Cranston und ging weiter. »Vergiß Ira Dei, Bruder. Wenn der Aufstand kommt, dann werden es Priester sein wie du, John More und Jack Straw, die das gemeine Volk führen.«

»Ich werde mich in meiner Kirche verstecken«, gab Athelstan zurück. »Da wir gerade davon sprechen …« Er hielt vor St. Dunstan an und zog Philomels Zügel durch einen Haken an der Mauer.

»Was ist los, Bruder?«

»Ich will nachdenken, Sir John, und beten. Ich rate Euch, desgleichen zu tun.«

Murrend und fluchend band Cranston sein Pferd an, nahm einen großzügigen Schluck aus dem wunderbaren Weinschlauch und folgte Athelstan in den kühlen, dunklen Vorraum der Kirche.

In der Kirche brannten einige Fackeln, vor den Statuen der Hl. Jungfrau und der Hl. Joseph und Dunstan standen Kerzen; durch die bunten Glasfenster strömte Sonnenlicht und ließ die Bilder erstrahlen. Bewundernd schaute Athelstan zu den Fenstern hinauf.

»So eins möchte ich zu gern haben«, flüsterte er. »Nur eins für St. Erconwald.«

Während er die Fenster bestaunte, nahm Cranston einen winzigen Schluck aus seinem Weinschlauch und folgte dem Ordensbruder dann durch das Kirchenschiff zu einer Bank vor dem Lettner. Im Chorgestühl dahinter probten der Kantor und sein Chor die Michaelismesse. Athelstan setzte sich auf die Bank, schloß die Augen und lauschte den Worten.

»Ich sah einen großen Drachen, der erschien in den Himmeln; er hatte zehn Häupter und auf jedem Haupt eine Krone, und sein mächtiger Schweif fegte ein Drittel aller Sterne vom Himmel. Und dann sah ich Michael mit dem Drachen kämpfen.«

Triumphierend sang der machtvolle dreistimmige Chor die lateinische Schilderung vom großen Sieg des Erzengels Michael über den Satan.

Athelstan schloß die Augen und betete zu Gott um Hilfe gegen das Böse, dem er jetzt gegenüberstand: Mountjoy, blutüberströmt in dem schönen Garten; Fitzroy, der sein Leben bei John von Gaunt über den goldenen und silbernen Tellern aushauchte; Sturmey, den der Menschenfischer wie ein Stück Abfall aus dem Fluß gefischt hatte und dessen Leichnam nun da lag, ausgestellt wie ein toter Kabeljau oder Salm.

Er mußte an die Warnung denken, die ihm am Morgen überbracht worden war, und spürte, wie sein Zorn aufwallte. Der Mann, der sich Ira Dei nannte, war ein Lästerer! Wie konnte man Gott und Seinen gerechten Zorn mit Mord und bösem Totschlag in Verbindung bringen? All die Seelen, die da unvorbereitet und ohne Segen in die große Finsternis mußten! Und all das andere Böse in der Stadt? Das besessene Mädchen bei den Hobdens. Der Übeltäter, der die abgeschlagenen Köpfe der Verräter stahl. Und der Freund des alten Jack Cranston, heimtückisch ermordet und den Ratten zum Fraß überlassen. Was hatten diese Dinge mit Gottes Schöpfung zu tun? Mit den Sternen, die am Himmel kreisten? Mit dem grünen, fetten Gras der Wiese? Mit der einfachen Ehrlichkeit und Gottesfurcht vieler seiner Pfarrkinder? Leise murmelte Athelstan die Worte eines Mentors, Pater Pauclass="underline" »Gott ist niemals fern. Er kann nur durch uns handeln. Des Menschen freier Wille ist Gottes Tür zur Menschheit.« Was also war mit diesen Morden? Er bemühte sich, seine Gedanken zu steuern und nach einem alles durchziehenden Faden zu suchen. Der Gesang hörte auf, und er öffnete die Augen, als Cranston laut schnarchend rückwärts gegen die Bank stieß.

»Sir John, kommt!«

Cranston öffnete die Augen und schmatzte.

»Für mich einen großen Becher Roten!« brüllte er.

»Sir John, wir sind in der Kirche.«

Cranston rieb sich die Augen und kam schwerfallig auf die Beine.

»Mir fallt es schwer zu beten, Bruder. Ich will dir zeigen, was ich tue.«

Wie ein großer Bär tappte er in die Seitenkapelle und blieb vor der holzgeschnitzten Figur der Jungfrau Maria stehen, die ihre Arme um die Schultern des Jesusknaben gelegt hatte. Cranston warf zwei Münzen in eine eisenbeschlagene Kiste und fischte zehn Kerzen heraus, die er wie eine Reihe Soldaten auf dem großen Eisenleuchter vor der Statue aufstellte.

»Zehn Gebete«, murmelte er. »Eins für mich, eins für Lady Maude, eins für jedes der beiden Kerlchen, eins für Gog und Magog. Eins für dich, eins für Boscombe und Leif, eins für Benedicta, und eins für den alten Oliver.«

»Das sind neun, Sir John.«

»Ach ja.« Mit einem Kienspan zündete Cranston die letzte Kerze an. »Und eins für jeden anderen armen Scheißer, für den ich hätte beten sollen.« Er blies den Kienspan mit weindunstigem Atem aus und stürmte durch die Kirche zur Tür. »Das war's, Bruder. Für mich heißt es jetzt: Ab ins › Heilige Lamm Gottes‹!«

Sie banden ihre Pferde los und wanderten in das geschäftige Treiben der Cheapside. Sir John rechnete mit der üblichen hingerissenen Begrüßung in seiner Lieblingsschenke, aber er sah sich enttäuscht. Die Wirtin zeigte nur bebende Erwartung.

»Sir John, eine Nachricht vom Rathaus! Schon mindestens zweimal war ein Bote hier. Ihr sollt sofort kommen!« Ihre Stimme dämpfte sich ehrfürchtig. »Der Lord Regent selbst befiehlt Eure Anwesenheit!«

Fluchend und murrend bahnte Cranston sich den Weg durch die Cheapside zurück, und ein noch bedrückterer Athelstan trottete hinter ihm her. Im Rathaus führte sie ein Kammerdiener in einen kleinen Raum mit Blick auf den Garten, in dem Mountjoy ermordet worden war. Der Diener klopfte an die Tür und schob sie dann hinein. Cranston stolzierte durch die Tür und funkelte den Regenten an, der direkt gegenüber saß, zu beiden Seiten flankiert von Goodman und den Gildemeistern. Athelstan schaute hinauf zu den silbernen und goldenen Sternen, die an die blaue Decke gemalt waren, und betrachtete dann die Holztäfelung ringsum. Ein angenehmes, luxuriöses Zimmer, dachte er, in dem die Großen der Stadt ihre Pläne schmieden. Gaunt winkte sie zu zwei hochlehnigen Polsterstühlen.

»Sir John, setzt Euch. Wir warten schon.«

»Euer Gnaden«, raunzte Cranston und ließ seine Massen auf den Stuhl sinken, »ich war beschäftigt! Der Schmied Sturmey wurde …«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn Gaunt. »Ermordet. Von einem oder mehreren Unbekannten. Sein Leichnam liegt in einem Schuppen in Billingsgate. Und du, Bruder?« Die harten, schlauen Augen musterten Athelstan. »Der Verräter Ira Dei hat sich dir offenbart.« Gaunt lächelte, als er das überraschte Gesicht des Ordensbruders sah. »Wir haben Mittel und Wege, Bruder, um herauszufinden, was in unserer Stadt vor sich geht. Was Sturmey angeht, Sir John, so habt Ihr seine Werkstatt versiegelt, wenn ich recht verstehe?«