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»Was ist passiert?« fragte Athelstan neugierig.

»Nun, der Exorzist begann mit seinem Ritual, und der Junge veränderte sich plötzlich. Er wurde wild und schimpfte, und er verfluchte den Exorzisten mit jedem Gossenwort, das er kannte. Nun gibt es da eine Stelle in der Zeremonie, wo der Exorzist…«

»Die feierliche Anrufung?« half Athelstan.

»Richtig. Er ruft den Teufel feierlich an und fragt ihn, bei welchem Namen er genannt werde. Die Stimme des Jungen, die sonst hoch und dünn klang, wurde plötzlich tief und voll. ›ICH BIN DER HERR DER SCHWEINE‹, antwortete er.« Cranston schüttelte den Kopf. »Dann wurde es dunkel im Chor, und alles stank ganz widerlich und verfault. Der Exorzist kam zum Ende des Rituals, wo er den Dämon, der von dem Jungen Besitz ergriffen hatte, befiehlt, auszufahren, und der Dämon antwortete: ›WO SOLL ICH HIN? WO SOLL ICH HIN?«‹ Cranston hielt inne und zügelte sein Pferd.

»Weiter, Sir John, bitte.«

»Nun, es war noch ein zweiter Zeuge dabei, ein junger Anwalt von den Advokateninnungen in der Chancery Lane. Er hatte dem ganzen Vorgang halb spöttisch zugeschaut, und als der Dämon rief: ›WO SOLL ICH HIN? WO SOLL ICH HIN?., da flüsterte dieser schlaue junge Kerl plötzlich: ›Na, er kann zu mir kommen..«

Sir John drehte sich im Sattel um. »Bruder, das ist nicht gelogen. Der besessene Knabe warf sich rückwärts und fiel in eine todesähnliche Ohnmacht. Ich hörte ein Rauschen wie von einem riesigen Vögel, der auf seine Beute herabstößt, und der junge Advokat wurde plötzlich in die Luft gehoben und gegen eine Säule geschleudert. Er war tagelang bewußtlos.« Cranston trieb sein Pferd weiter.

»Warum erzählt Ihr mir das, Sir John? Wollt Ihr mir Angst machen?«

»Nein.« Cranstons Gesicht blieb ernst. »Nur dieses eine Mal habe ich so etwas miterlebt und dabei eine Lektion gelernt. Bruder, ich kann gut unterscheiden zwischen den wahren Mächten der Finsternis und den zahllosen Gaukeleien der Scharlatane. Glaub mir, ich habe alles gesehen. Stimmen in der Nacht, Fußspuren auf staubigen Treppen, Klirren im Keller.« Er grinste. »Also vertraue nur auf den alten John Cranston, Bruder. Bring du dein Ol und dein Weihwasser auf alle Fälle mit, aber laß den alten John tun, was er für richtig hält.«

Acht

Cranston und Athelstan hatten St. Erconwald bald erreicht. Während der Coroner es sich im Hause des Priesters gemütlich machte, schloß Athelstan die Kirche auf und kniete am Lettner nieder, um sein Stundengebet zu sprechen. Er hatte Mühe, sich auf die Worte des Psalmendichters zu konzentrieren, und die Worte »Ein Meer von Plagen« ließen ihn nicht los. Er hielt inne und dachte an die Probleme, die ihn und Cranston erwarteten, und an die Möglichkeit, daß der Regent sogar in dieser kleinen Pfarrgemeinde von St. Erconwald seine Spitzel hatte. Der Bruder hockte sich auf die Fersen und schaute zum Kruzifix hinauf. Er hoffte, die Prüfung heute abend würde die erste und die letzte sein; im stillen gelobte Athelstan, dann alle seine Kräfte diesem Ira Dei und den schrecklichen Mordtaten zu widmen, die im Rathaus und anderswo begangen worden waren.

Er spähte zu der neuen, wunderschön gemeißelten Statue des Hl. Erconwald hinüber, des Schutzheiligen seiner Pfarrei, und er lächelte. Erconwald war ein großer Bischof in London gewesen, ein Mann, der in dieser betriebsamen Stadt mit vielen Problemen zu kämpfen hatte, bevor er sich in die Einsamkeit eines Klosters in Barking zurückzog. Voller Mitgefühl betrachtete der Bruder das starre, fromme Gesicht und war so in Gedanken versunken, daß ihn eine sanfte Berührung an der Schulter zusammenfahren ließ.

»Pater, es tut mir leid.«

Athelstan drehte sich um und sah Benedicta, die besorgt auf ihn herabblickte.

»Pater, Ihr habt doch gesagt, ich soll zur Vesper wieder herkommen?«

Athelstan rieb sich die Augen und lächelte. »Benedicta, schön, daß du gekommen bist. Warte hier.«

Er stieg die Altarstufen hinauf, öffnete das Tabernakel und nahm die Heiligen Öle heraus und aus der Sakristei eine Flasche mit Weihwasser und ein Aspergillum. Er tat alles in eine kleine Ledertasche und kam wieder in die Kirche.

»Ich nehme an«, sagte er mit gespielter Strenge, »daß in der Pfarrei alles in Ordnung ist?«

»Still wie das Meer vor dem Sturm«, neckte sie.

Sie verließen die Kirche, schlössen ab und gingen hinüber zu Cranston, der mit weit offenem Mund und zurückgelegtem Kopf auf Athelstans einzigem Stuhl saß und schnarchte, was das Zeug hielt, während Bonaventura zusammengerollt auf seinem breiten Schoß ruhte.

»Oh, du dummer Kater«, flüsterte Athelstan und hob ihn behutsam herunter, ehe er Cranston wachrüttelte.

Der Coroner erwachte wie üblich mit einem Schmatzen, begrüßte Benedicta und ging dann auf Athelstans Drängen in die Speisekammer, um sich Hände und Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen. Erfrischt kehrte er zurück und dröhnte, nun sei er bereit, es mit dem Teufel und jedem anderen aufzunehmen.

Die drei verließen St. Erconwald, ein jeder versunken in seine Vorstellung von dem, was geschehen würde, und sie wanderten durch die engen Gassen und Sträßchen von Southwark. Es war kurz vor der Abenddämmerung. Geschäfte und Stände waren geschlossen, und die Menschen gingen nach Hause. Die Geschäfte des Tages waren getan, und die wilden Nachtfalken von Southwark, die wüsten Zecher und Bewohner der Unterwelt, würden erst aus ihren Rattenlöchern kommen, wenn es vollends dunkel wäre. Bevor sie die breite Hauptstraße überquerten, die zur London Bridge führte, blieben sie stehen und sahen zu, wie ein Trupp Ritter zu Pferde vorüberzog, strahlend bunt in ihren vielfarbigen Wappenmänteln. Mächtige Kriegshelme schwangen an den Sattelhörnern. Knappen und Pagen folgten ihnen mit Schilden und Lanzen sowie zwei Reihen von staubigen Bogenschützen, die von Southwark zur alten Straße nach Süden, nach Dover, marschierten.

»Jetzt sind viele von denen unterwegs«, bemerkte Cranston. »Die Franzosen greifen inzwischen alle wichtigen Häfen am Kanal an, und der Regent braucht verzweifelt Soldaten. Wenn er noch mehr aus Hedingham und den anderen Burgen nördlich von London abzieht, könnte das schließlich den Aufstand auslösen.«

Cranston sah zu, wie die Bogenschützen vorübermarschierten, abgehärtete Männer mit kurzgeschnittenen Haaren und wettergegerbten Gesichtern, Veteranen, die mit jedem Bauernaufstand kurzen Prozeß machen würden.

»Was wirst du tun?« fragte er Athelstan plötzlich. »Ich meine, wenn der Aufstand kommt?«

Der Bruder verzog das Gesicht. »Ich werde Benedicta fortschicken und jeden, der aus dem Auge des Wirbelsturms entfliehen will. Und dann werde ich in meiner Kirche bleiben.«

Auch Athelstan betrachtete die Soldaten. Sie erinnerten ihn an seinen Bruder Francis und an sich selbst, als sie mit den englischen Truppen ihren kurzen und ruhmlosen Feldzug nach Frankreich unternommen hatten. Er war heimgekehrt und hatte Francis in irgendeinem Massengrab zurückgelassen. Wie immer, wenn er an seinen Bruder dachte, schloß Athelstan die Augen und flüsterte ein kurzes Totengebet für den Frieden seiner Seele.

Sie setzten ihre Reise fort und erreichten schließlich das schmale, dreistöckige Haus der Hobdens. Athelstan schaute daran hinauf. Er sah eine einzelne Kerze in einem Fenster im Obergeschoß brennen, und ihn fröstelte.

»Christus und alle seine Engel mögen uns beschützen!« flüsterte er und klopfte an die Tür.

»Keine Angst!« drängte Cranston. »John Cranston ist da.«

»Ja«, flüsterte Benedicta. »Ich glaube, Engel gibt es in allen Formen und Größen.«