Rosamund Ingham schlug mit einer Hand die Kapuze ihres Mantels zurück; die andere ruhte leicht auf dem Arm des schlaffgesichtigen Albric. Ihr Blick war so herrisch und hart wie der Eleanor Hobdens. Cranston sah, wie ähnlich die beiden Frauen einander waren: schön, aber mit erbarmungslosen Augen und einem sauren Zug um den Mund. Er legte die Hand wieder auf den Türriegel.
»Ich habe gefragt, was ihr wollt?«
»Sir John, laßt uns in Ruhe. Wie Ihr wißt, wird mein Mann morgen früh beerdigt. Ihr werdet wohl nicht dabei sein?«
»Nein, das werde ich nicht! Ich habe Sir Oliver geliebt wie einen Bruder. Ich werde nicht in Gegenwart seiner Mörder vor Gott stehen!«
»Das ist eine Lüge!«
»Es ist die Wahrheit, und ich werde es beweisen.«
»Und wenn Ihr es nicht tut« - Rosamund reckte das Kinn vor -, »dann sehen wir uns vor Gericht, Sir John.«
»Verpißt Euch!« Seine Hand legte sich auf den Dolchgriff, als er sah, daß Albric einen Schritt vortrat.
»Nur zu«, höhnte Cranston. »Zieht Euer Schwert, und ich werde Euch am Hosenlatz kitzeln.«
Rosamund winkte ihren Liebhaber zurück. »Entfernt die Siegel vom Zimmer meines Manns«, verlangte sie. »Und laßt uns in Ruhe, sonst…«
Cranston trat vor. »Sonst, Mylady?«
Rosamund verzog höhnisch das Gesicht. »Ich fordere Euch auf, Sir John. Und ich werde Euch nicht noch einmal auffordern.«
»Gute Nacht, Mylady.« Er stieß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu.
Freudig schnuppernd trat er in die Küche. Gerade zog Boscombe mit hochrotem Gesicht eine golden überkrustete Pastete aus dem Backofen neben dem Herd.
»Genau rechtzeitig, Sir John«, strahlte der kleine Mann. »Rindfleischpastete, gewürzt mit Lauch und Zwiebeln. Ein Glas Rotwein?«
Sir John strahlte. »Philip, wenn du eine Frau wärst, würde ich dich morgen heiraten.«
Er wusch sich die Hände in einer Schüssel Rosenwasser und setzte sich an den Tisch.
»Du bist noch nicht in den seligen Stand der ehelichen Gnade eingetreten?«
Boscombe schüttelte den Kopf. »Keine Frau wollte mich haben, Sir John, und Sir Gerard war ein überaus harter Herr.«
»Wenn du das glaubst«, erwiderte Cranston, »dann hast du Lady Maude noch nicht kennengelernt.«
Gerade wollte er den Becher heben, als plötzlich Gog und Magog, die im Garten gelegen hatten, in die Küche stürmten. Gog warf Cranston vom Stuhl, und Magog sprang gewandt wie ein Falke im Flug in die Höhe und riß Boscombe die Pastete aus den Händen. Fluchend rappelte sich Cranston auf, aber jetzt hatten die beiden Hunde die Pastete, und ehe er sie zu fassen bekam, hatten die beiden sie schon verschlungen. Boscombe stand jammernd da. Cranston starrte die Hunde an; wenn Tiere dankbar grinsen konnten, dann taten die beiden das jetzt, dessen war er sicher.
»Brave Jungs«, sagte er leise.
Die beiden Hunde hatten ihren unerwarteten Festschmaus beendet und sprangen hoch, um ihm das Gesicht zu lecken und die Ohren zu zwicken. »Genug ist genug!« brüllte Cranston und stieß sie weg.
Er schaute zu Boscombe hinüber, dem die Tränen über die Wangen strömten. Er ging zu ihm und tätschelte ihm die Schulter, daß der Mann beinahe hingefallen wäre.
»Hör schon auf, Mann«, knurrte er. »Wenigstens haben sie gut gegessen.«
Die beiden Hunde leckten sich die Schnauzen und betrachteten voller Bewunderung ihren neuen Herrn, der so großzügig mit seinem Essen umging. Wie Steinfiguren saßen sie da, als Cranston ihnen warnend mit dem Finger drohte.
»Versucht das niemals«, ermahnte er sie, »mit Lady Maude«
Die beiden Hunde schienen die Bedeutung des Wortes »Maude« zu spüren, und Gog warf sogar einen furchtsamen Blick zur Tür. Aber es war nur Leif, der sich da ins Haus stahl, angelockt von dem schweren, würzigen Duft.
»Zeit zum Abendessen, Sir John?«
Cranston grinste. »Da mußt du schon mehr Glück haben.«
Leif sah nervös die Hunde an. »Aber Sir John, ich habe den ganzen Tag kaum etwas gegessen.«
»Herr des Himmels!« Cranston ging in die Diele und holte seinen Mantel, und da ihm Rosamund Inghams drohende Blicke noch vor Augen standen, schnallte er auch seinen Schwertgurt um. »Komm, Boscombe. Du auch, Leif, du fauler Schurke! Wir gehen ins »Lamm Gottes‹.«
Die beiden Hunde wollten ihnen folgen.
»Nein, nein, seid brave Jungs. Hiergeblieben!«
Die beiden Tiere kauerten sich nieder, und Cranston schob den protestierenden Boscombe und den willigeren Leif vor sich her zur Tür.
»Sollten wir nicht abschließen?« fragte Boscombe, als sie auf der Cheapside waren.
»Hör mal zu, Mann«, erwiderte Cranston. »Was glaubst du, was diese braven Jungs machen würden, wenn irgendein Nachschwärmer versuchen wollte, da hineinzuspazieren?«
Boscombe grinste.
»Jetzt kommt«, drängte Cranston. »Diese Pastete hat köstlich geduftet. Ich will dir deine gerechte Belohnung geben.«
Zwei Stunden später, angefüllt mit Rotwein und der Zwiebelpastete der Wirtin, verließ Cranston das »Heilige Lamm Gottes«, den einen Arm um Boscombe, den anderen um Leif gelegt, und schaute über die Cheapside.
»Ihr wart also in Poitiers?« fragte Boscombe.
»Oh ja«, sagte Cranston. »Schlanker und hübscher war ich damals …«
Er sprach nicht weiter, denn er hatte einen leisen Hilfeschrei aus einer nahen Gasse gehört. Ohne auf Boscombes Warnungen zu achten, und dem Rotwein, den er getrunken hatte, zum Trotz, schoß er pfeilschnell in die Dunkelheit. Er sah zwei Gestalten in Schwarz, die mit erhobener Fackel über einem Dritten standen, der am Boden lag. Cranston sah Stahl blinken und hörte erneut ein mitleiderregendes Stöhnen. Er schlang sich den Mantel um den linken Arm und stürmte vorwärts wie ein wütender Bulle.
»Aidez! Aidez!« brüllte er den gebräuchlichen Hilfeschrei.
Die beiden Gestalten blickten auf, und er wußte sofort, daß hier etwas nicht stimmte. Sie wichen nicht zurück; sie hatten Masken auf den Gesichtern, und das »Opfer« sprang plötzlich auf. Cranston blieb schwer atmend stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Man lernt nie aus«, knurrte er und verfluchte sich dafür, daß er in eine altbekannte Falle gerannt und einem mutmaßlichen Opfer zu Hilfe geeilt war, nur um selbst in einen Hinterhalt zu tappen. Rasch sah er sich um und die Gasse hinauf, wo Boscombe und Leif langsam herankamen.
»Lauft zurück!« brüllte er.
Er zog sein Schwert und wich langsam zurück. Er wagte nicht, sich umzudrehen und zu rennen. Er könnte ausrutschen, oder ein fliegendes Messer könnte ihn zur Strecke bringen. Außerdem war er alt und fett, und die drei Angreifer bewegten sich geschmeidig wie makabre Tänzer auf ihn zu. Cranston zog sich weiter zurück und sprang unvermittelt zur Seite, um an einem schmalen Stützpfeiler an der Hauswand seinen Rücken zu schützen.
Die drei schwarzgekleideten Attentäter kamen näher. Jeder trug ein Schwert und einen Dolch. Im Näherkommen teilten sie sich, und Cranston erkannte sie als Berufsmörder, sehr viel gefährlicher als die Gassenratten, die der bloße Anblick von blankem Stahl in die Flucht schlagen würde. Er bemühte sich, beherrscht zu atmen. Wer mochte sie geschickt haben? Ira Dei? Cranston blinzelte. Nein, nein, das wäre allzu offensichtlich. Dann fiel ihm Rosamund Inghams haßerfülltes Gesicht ein, ihre unausgesprochenen Drohungen - und Wut verdrängte seine Angst.
Die drei glitten vorwärts; breitbeinig und mit ausgestreckten Armen vollführten sie den ausgeklügelten Tanz berufsmäßiger Kämpfer. Cranston behielt den mittleren im Auge und erhaschte einen kurzen Blick; dann wandte er sich den beiden Kumpanen zu, als bereiteten sie ihm größere Sorge.
»Na, kommt schon, ihr Böckchen!« höhnte er. »Jetzt habt ihr den alten John auf den Tanzboden geholt. Dann wollen wir doch auch ein Tänzchen wagen!«
Die beiden Mörder rechts und links rückten weiter vor. Cranston schaute weiter hin und her, aber er kannte die Sorte. Sie wollten ihn täuschen. Er schaute nach rechts und dann rasch geradeaus, als der mittlere Mörder vorsprang, das Schwert nach unten, den Dolch in die Höhe gereckt. Cranston schwang sein langes Schwert und ließ es in einem blinkenden Bogen nach vorn sausen. Der Mörder war tot, ehe er es recht begriffen hatte. Die spitze, scharfe Klinge von Cranstons Schwert hatte ihm die ungeschützte Luftröhre durchtrennt.