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Der Hausdiener eilte davon. Athelstan und Cranston gingen zur Haustür und warteten auf die vier Soldaten der Stadtwache. Cranston erteilte ihnen flüsternd ein paar Anweisungen, dann ging er mit seinem Gefährten hinaus, während Rosamunds Zorn sich zur Hysterie steigerte. Rasend vor Wut kreischte sie Cranston und Athelstan hinterher, als die Soldaten sie und Albric in die Ketten legten, die sie mitgebracht hatten.

Draußen auf der Straße blieb Cranston stehen. Seine Augen schwammen in Tränen. »Ich bringe kein Wort hervor«, sagte er, schüttelte Athelstan und dann Ranulf förmlich die Hand und wischte sich eine Träne ab. »Kommt. Bei Olivers Totenmesse war ich nicht dabei, aber zu seinem Grabtrunk will ich euch einladen.« Er deutete auf Ferox, der jetzt friedlich in seinem Käfig döste. »Und unser kleiner Freund hier darf betrunken nach Hause gehen.«

Zehn

Eine Stunde später taumelte Ranulf ziemlich betrunken - mit einem Frettchen, das nicht minder beschwipst war - aus der Taverne zum Mond und Käfig hinaus und murmelte, er müsse jetzt zurück nach Southwark.

Cranston schaute dem Rattenfänger nach und wurde gefühlvoll.

»Ein feiner Mann, Bruder. Ich habe deine Gemeinde immer eine Sünderbande genannt, aber da geht ein prächtiger Mann.«

»Sünder sind wir alle«, antwortete Athelstan. »Aber weiß Gott, wenn ich an Mistress Rosamund denke, so ziehe ich doch eine feine Grenze zwischen denen, die aus Schwäche straucheln, und denen, die aus Bosheit sündigen.«

»Womit wir wieder bei den Morden im Rathaus wären, was?« trompetete Cranston und behielt dabei den Reliquienhändler im Auge, der in einer Ecke der Schankstube seinen unrechtmäßig erworbenen Gewinn verzehrte.

Athelstan berichtete kurz von seiner Unterredung mit Pike, dem Grabenbauer. Cranston hörte zu, schmatzte und schnupperte, als würzige Düfte aus der Küche hereinwehten.

»Pike soll sich vorsehen«, grollte er dann. »Ein Mann, der mit den Füßen rechts und links von einer Flamme steht, verbrennt sich leicht die Eier. Ach, übrigens, da wir gerade von Gefahren reden: Hat Lady Benedicta dieses kleine Teufelsweib abgeholt?«

»Inzwischen, Sir John, müßte sie eigentlich wohlbehalten bei den Minoritinnen sein.«

»Schlimme Sache, das«, murmelte Cranston. »Weißt du, Bruder, in diesem Haus gab es etwas Böses.«

»Nun, damit ist es aus«, erklärte Athelstan halbherzig; er mußte Cranston recht geben, hatte aber wegen des Geschehenen immer noch Gewissensbisse. »Aber zu dieser Sache im Rathaus …« Er strich mit der Fingerspitze über den Rand seines Bechers. »Euch ist klar, Sir John, daß diese Morde anders sind als die, die wir sonst untersucht haben? Ihr wußtet, daß Sir Oliver ermordet worden war. Jemand im Hause hatte ihn umgebracht. Das gleiche galt für die anderen Verbrechen, die wir aufgeklärt haben, sei es der Fall im Hause Springall oder der Mord an Sir Ralph Whitton im Tower am vergangenen Weihnachtsfest.« Athelstan redete sich warm. »Wißt Ihr, Sir John, solche Verbrechen haben ihren Ursprung nicht in bösem Blut, sondern in heißem Blut. Ein politischer Mord aber ist etwas anderes. Da ist kein persönlicher Groll im Spiel, keine boshafte Freude angesichts der Vernichtung des Feindes, sondern reine Zweckmäßigkeit. Und damit haben wir es jetzt zu tun: Der Tod Mountjoys und Fitzroys wurde kalten Blutes beschlossen und sollte Lord Gaunts Pläne stören.«

Athelstan rieb sich die Lippen, und bevor Cranston noch mehr Wein bestellen konnte, schickte er den Schankburschen wieder weg. »Bedenkt, Sir John, ein Mord ist wie ein Schachspiel. Man macht einen Zug, und der Gegenspieler macht einen Zug. Früher oder später begeht einer einen Fehler, oder es eröffnet sich ein Weg, der zur Wahrheit und zum Ende des Spiels

führt. Aber hier könnte jeder unser Gegenspieler sein.« Athelstan strich sich ein paar Krümel von der Kutte. »Drei Morde«, murmelte er. »Wir wissen, daß sie tot sind, aber wir wissen wenig mehr. Wie wurde Fitzroy vergiftet, wenn er doch aß und trank, was alle anderen aßen und tranken? Wie konnte Mountjoy in der Abgeschiedenheit seines eigenen Gartens erstochen werden? Und Sturmey? Gerade noch steht er am Kai - und im nächsten Augenblick schwimmt er mit einem Dolch in der Brust in der Themse.« Athelstan verstummte, als lautes Schnarchen seine Worte beantwortete. Er sah Sir John an, und der hatte den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen. Ein seliges Lächeln lag auf seinem Gesicht. »Sir John! Herr im Himmel!« flüsterte Athelstan und stieß ihn an. »Man findet nicht mal Eure Rippen, so fett seid Ihr!«

»Füllig«, erwiderte Sir John, öffnete die Augen und leckte sich die Lippen. »Ich bin füllig, Athelstan.« Er tippte sich an die rote, fleischige Nase. »Vergiß nicht, Bruder, der Lord Coroner mag dösen, aber er schläft niemals. Was willst du wissen?«

»Sturmey … Ihr wußtet etwas aus seiner Vergangenheit?«

»Weiß Gott! Aber ich komme nicht drauf«, knurrte Cranston und stand auf. »Wir müssen noch einmal in seine Werkstatt gehen.«

»Ich dachte, Gaunts Leute hätten sie versiegelt?«

»Ja, aber ich habe die Erlaubnis des Regenten, die Siegel zu entfernen, wenn Lord Clifford dabei ist.«

»Ich hatte gehofft, ich könnte nach Southwark zurück.«

»Kannst du aber nicht. Gottes Werk will hier getan werden. Komm schon, Bruder.«

Athelstan folgte Cranston hinaus und sah, wie der Coroner absichtlich den heftig trinkenden Reliquienhändler anrempelte.

»Ich hasse solche Mistkerle!« raunte er, als sie vor der Schenke standen. »Wenn es nach mir ginge, würde die ganze Bande aus der Stadt verjagt. Sie verkaufen soviel Holz vom wahren Kreuz Christi, daß man daraus eine ganze Flotte von Schiffen bauen könnte.«

Athelstan sah, daß der Coroner schlechte Laune bekam; er hakte sich bei ihm unter und lenkte das Gespräch behutsam in ruhigere Gewässer mit der Frage, wann Lady Maude wohl zurückkehren werde. Bald hatten sie Lord Cliffords Haus gefunden, ein hübsches, dreigeschossiges Gebäude in der Parchment Lane. Aber der junge Edelmann war nicht da.

»Er ist zum Arzt gegangen«, erklärte ein livrierter Diener und führte sie in einen kleinen, behaglichen Söller. »Aber er erwartet Euch, Sir John.«

Athelstan lehnte die angebotene Erfrischung höflich ab, aber Cranston ließ sich nicht zweimal bitten. Er lehnte sich auf dem gepolsterten Sessel zurück, nippte am Rotwein und bewunderte unverhohlen den Luxus im Zimmer. Athelstan, der im stillen betete, Sir John möge nicht zuviel trinken, betrachtete gleichfalls die Rüstung, die geschmackvoll ringsum an den Wänden verteilt war: ein paar gekreuzte Handschuhe, ein Schild, zwei Hellebarden sowie etliche verschnörkelte und wunderschön geschnitzte Bögen und Armbrüste.

»Ein reicher Mann«, bemerkte Athelstan.

»Natürlich«, antwortete Sir John. »Ich habe mit seinem Vater gedient; er hat eine Gruppe von Bogenschützen nach Frankreich geführt. Ein wilder Soldat, möge er in Frieden ruhen -, und jetzt verfolgt sein Sohn so hohe Ziele.«

Athelstan warf einen Blick auf die dicken Wollteppiche, die den glänzenden Eichenboden bedeckten, und das Silber auf der blanken Tischplatte, funkelnd im Sonnenlicht, das durch ein buntes Glasfenster hereinfiel. Warum wollten Männer wie Lord Adam, der so viel hatte, immer noch mehr haben? Seine Betrachtungen wurden jäh unterbrochen, als Clifford hereingestürmt kam. Er warf einem Diener seinen Mantel zu und kam herüber, um ihnen freundlich die Hand zu schütteln. Athelstan sah die Schrammen und Blutergüsse im Gesicht des jungen Mannes und merkte auch, wie steif er die Schultern hielt.

»Seid Ihr schlimm verletzt?« fragte der Bruder, als die Begrüßung vorüber war.

Clifford grinste und verzog dann das Gesicht. »Ein paar Schrammen und blaue Flecken im Gesicht. Das Schlimmste ist eine Dolchwunde in der Schulter.«