»In unseren goldenen Tagen«, flüsterte er, »da waren wir Greyhounds auf der Jagd! Junge Falken, die auf ihre Beute niederstießen! Ah, was für Zeiten!«
Cranston klopfte sich auf den umfangreichen Wanst, zog die Bettvorhänge zu und stapfte aus der Kammer; im Gehen warf er noch einmal einen Blick auf das aufgebrochene Schloß.
Wie ein Koloß stampfte er die Treppe hinunter und marschierte in den Söller, wo Lady Rosamund und ihr »Vetter« Albric auf der Fensterbank saßen und das Maschenspiel spielten. In ihrem schwarzen Damastkleid mit dem sorgfältig geordneten Schleier von gleicher Farbe sah Rosamund jetzt noch schöner aus; ihr schmales Gesicht war zu einer Art Trauermiene verzogen. Cranston funkelte sie nur an, und noch verächtlicher betrachtete er ihren jungen Liebhaber mit seinem glatten Gesicht, den schlaffen Lippen und dem kraftlosen Blick.
»Ihr seid fertig, Sir John?« Rosamund erhob sich, als der glatzköpfige, rotgesichtige Riese auf sie zukam. Sie erwartete, daß er zumindest ihre Hand küssen würde, aber Cranston packte sie und Albric bei den Handgelenken, zog beide von der Bank und mit harter Hand dicht zu sich heran.
»Ihr, Madam, seid ein mordendes Miststück! Nein, Ihr braucht nicht die Augen aufzureißen und um Hilfe zu schreien! Und Ihr, Sir…« Albric wich seinem Blick aus. »Sieh mich an, Kerl!« Cranston drückte noch fester zu. »Sieh mich an, du mieser Hurensohn!«
Albric hob den Blick.
»Du hast mitgemacht. Wenn du den Mut dazu hättest, würde ich dich zu einem Duell herausfordern und dir den Kopf abschlagen. Vergiß nicht, das Angebot wird bestehenbleiben.«
»Sir John, das ist doch …«
»Klappe!« grollte Cranston. »Da oben liegt der treueste Kamerad, den ein Mann sich nur wünschen kann. Ein guter Soldat, ein schlauer Kaufmann und der allerbeste Freund. Oliver mag ein schwaches Herz gehabt haben, aber er hatte den Mut eines Löwen und den Großmut eines Heiligen. Er hat dich angebetet, du bleiche Stute, und du hast ihm das Herz gebrochen. Du hast ihn betrogen. Ich weiß, daß du ihn ermordet hast. Gott allein weiß, wie du es gemacht hast, aber ich werde es herausfinden.« Cranston stieß die beiden zurück auf ihre Fensterbank. »Glaubt mir, ich werde euch beide tanzen sehen: in Smithfield, am Ende eines Stricks.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür.
»Cranston!« rief Rosamund.
»Ja, du Bestie«, antwortete er, ohne stehenzubleiben.
»Ich bin unschuldig am Tode meines Gemahls.«
Der Coroner machte ein unhöfliches Geräusch mit den Lippen.
»In zehn Tagen wird das Testament meines Gatten verlesen werden. All sein Besitz und Reichtum werden mir gehören. Ich werde diesen Reichtum dazu nutzen, Euch vor Gericht zu bringen, wegen Verleumdung und übler Nachrede.«
»In zehn Tagen«, versetzte Cranston, »sehe ich euch beide in Newgate. Den Toten dürft ihr hinausbringen, aber sonst nichts anrühren. Ich habe eine Liste von allem, was da ist!«
Cranston ging in den Korridor hinaus und bemühte sich, seinen Zorn im Zaum zu halten, als er das höhnische Gelächter hinter sich hörte. Inghams alter Gefolgsmann Robert stand an der Haustür; er war bleich wie die Wand.
»Sir John«, flüsterte er, »wie könnt Ihr beweisen, was Ihr da sagt?«
Eine Hand am Türriegel, blieb Cranston stehen und schaute dem Diener in das faltige, müde Gesicht.
»Ich kann und werde es tun«, brummte er. »Aber erzähle mir noch einmal, was gestern passiert ist.«
»Mein Herr war seit Tagen krank und erschöpft, er klagte über Schwindelgefühle im Kopf und Schmerzen in der Brust. Gestern abend stand er vom Essen auf und nahm seinen Weinbecher mit. Ich sah, wie er in die Speisekammer ging und eine kleine Dosis Fingerhut in den Krug gab, die er später mit Wein mischen wollte, wie sein Arzt es ihm verordnet hatte. Dann ging er zu Bett. Er verschloß seine Kammertür, und weil ich mir Sorgen machte, stand ich davor Wache.« Die Stimme des Mannes zitterte. »Ich dachte, ich lasse ihn ausschlafen, aber als die Glocken von St. Mary Magdalen zum Vormittagsgebet läuteten, versuchte ich doch, ihn zu wecken. Ich rief die Diener, wir brachen die Tür auf. Den Rest kennt Ihr.«
»Konnte niemand ihn vor den Ratten bewahren?« fragte Cranston erbost.
»Sir John, das Haus ist voll von ihnen. Lady Rosamund haßt Katzen und andere Tiere.«
Sir John klopfte ihm auf die Schulter. »Deinem Herrn wird Gerechtigkeit werden, dafür sorge ich. Jetzt bete für seine Seele und kümmere dich um seinen Leichnam. Einer meiner Amtsdiener wird kommen und das Zimmer versiegeln.«
Sir John trat auf die Milk Street hinaus. Er ging in die Kirche von St. Mary Magdalen und zündete fünf Kerzen vor der lächelnden Jungfrau mit dem Kinde an.
»Eine für Maude, zwei für die Kerlchen«, flüsterte er und dachte an die prächtigen, stämmigen Söhne, die jetzt schon sechs Monate alt waren. »Eine für Athelstan«, fuhr er fort, »und eine für Sir Oliver, Gott schenke ihm die ewige Ruhe.«
Sir John kniete nieder, schloß die Augen und sagte drei Avemaria auf, bevor er merkte, wie durstig er war.
Schwerfällig wanderte er aus der Kirche, die Milk Street hinunter und in die verlassene Cheapside. Die Standbesitzer hatten für heute geschlossen, ihre Ware in die Vorderräume ihrer Läden geschafft, die Stände abgebaut und die breite Straße den Knochen- und Lumpensammlern überlassen. Eine Hure hielt träge nach Kundschaft Ausschau, Köter balgten sich, und fette Straßenkatzen konnten ihr Glück kaum fassen, als Myriaden von Ratten die Berge von Müll und menschlichem Abfall plünderten. Ein paar Kesselflicker und Hausierer versuchten immer noch, Geschäfte zu machen; sie brüllten Sir John gutmütige Schmähungen zu, und der zahlte es ihnen mit gleicher Münze heim, während er schnurstracks seiner Lieblingsschenke zustrebte, dem Heiligen Lamm Gottes.
In der stickigen, anheimelnden Wärme des Schankraums hellte Sir Johns Miene sich auf. Ein Büttel saß auf Cranstons Lieblingsstuhl mit der hohen Lehne am offenen Fenster mit Blick auf einen freundlichen Garten. Sir John hustete nur, und der Bursche huschte davon wie ein erschrockenes Kaninchen. Sir John setzte sich, klopfte auf den Tisch und betrachtete beifällig das dunkel polierte Holzwerk und die weiß verputzten Wände seiner allerheiligsten Trinkstätte. Er schmatzte und stieß das rautenförmige Gitterfenster ein Stück weiter auf, um den Duft der Kräuterbeete zu genießen. Manche Leute mieden das Heilige Lamm; sie behaupteten, es sei über einem alten Leichenhaus erbaut, und angeblich spukten hier Geister und Gespenster. Aber für Cranston war es sein zweites Zuhause, und die Wirtsfrau verehrte ihn beinahe wie einen Heiligen.
Vor Jahren war sie einmal von einem Betrüger übers Ohr gehauen worden, der behauptete, er könne Rotwein und Weißwein aus demselben Faß zapfen. Dummerweise hatte sie einer Vorführung zugestimmt. Der Mann hatte ein Loch in die Wand des Fasses gebohrt und sie aufgefordert, es mit dem Finger zuzuhalten, während er das zweite Loch bohrte, aus dem der Weißwein kommen sollte. Und dann hatte die unglückselige Frau dagestanden und beide Löcher im Faß zuhalten müssen, während der Gauner sich aus ihrer Geldbörse bediente. Sie war vor Schreck wie gelähmt gewesen, denn wenn sie die Finger herausgezogen hätte, wäre das ganze Faß ausgelaufen und hätte den Schankraum knöcheltief unter Wein gesetzt, und außerdem wäre sie zum Gespött der Leute geworden.
Zum Glück war Sir John gekommen. Er hatte dem Schurken eine Kopfnuß verpaßt, ihr geholfen, das Faß zu verstopfen, und als der Kerl wieder zu sich gekommen war, hatte Cranston ihn mit heruntergelassener Hose draußen vor die Schenke gestellt und ihm ein Schild um den Hals gehängt, das ihn als Lügner und Betrüger bezeichnete.
Eben diese Wirtin kam jetzt geschäftig auf ihn zu mit einem großen Becher Rotwein in der einen und einer Schüssel Zwiebelsuppe in der anderen Hand. Geistesabwesend lächelnd dankte Sir John ihr. Er nahm einen Schluck Wein und überlegte, wie er eine andere Betrügerin, die mörderische Rosamund, ihrer gerechten Strafe zuführen könnte. Olivers einsamer Leichnam dort oben in der trostlosen Kammer ging ihm nicht aus dem Kopf, dazu die kichernde Ehefrau und der speichelleckerische »Vetter« im Söller darunter.