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Als sie das Rathaus verlassen hatten, klatschte er entzückt in die Hände.

»Die Mistkerle haben Angst«, prustete er. »Oh Gott, Bruder, man kann ihre Angst geradezu riechen.«

»Was ist«, fragte Athelstan, »wenn diese Morde mehr mit lange zurückliegenden Verbrechen zu tun haben als mit dem Ehrgeiz des Regenten oder den finsteren Plänen eines Ira Dei?«

Cranston schüttelte den Kopf. »Nein, Athelstan, diese Leute sind machtgierig. Sie stecken bis zum Hals im Laster. Korruption ist ihnen zur zweiten Natur geworden. Alte Sünden spielen hier eine Rolle, aber nur als Mittel, nicht als Ursache. Denke an meine Worte.« Cranston grinste. »Ich habe den Apfelbaum geschüttelt. Weiß der Himmel, was nun herunterfallen wird.«

Der Coroner schaute auf den Markt. »Wir wollen die Sache jetzt auf sich beruhen lassen«, meinte er. »Morgen ist Samstag, und ich muß ein wenig mit Lady Maude tändeln. Du hast mein Manuskript?«

Athelstan nickte.

»Behalte es. Studiere es aufmerksam, Bruder.«

Athelstan versprach es. Sir Johns Abschiedsgrüße dröhnten ihm noch in den Ohren, als er durch die Mercery und über die London Bridge zurück nach Southwark wanderte.

Benedicta erwartete ihn im Pfarrhaus. Sie sah ein wenig bedrückt aus.

»Ich habe das Mädchen Elizabeth und ihre Pflegerin Anna zu den Minoritinnen gebracht. Die Schwestern waren gut und freundlich und halten die beiden für hysterisch. Elizabeth bezeichnet ihren Vater und ihre Stiefmutter als Mörder; sie behauptet, die Wahrheit sei ihr von ihrer Mutter im Traum offenbart worden. Pater, was wird mit ihnen passieren?«

Athelstan ließ sich müde auf einen Schemel fallen und schüttelte den Kopf.

»Benedicta, ich weiß es nicht. Ich danke dir für das, was du getan hast, aber was die Zukunft birgt, weiß nur Gott.«

Sie ging in die Speisekammer und kam mit einem Krug Ale zurück. »Ihr seht müde aus.« Sie drückte ihm den Krug in die Hände. »Kommt«, sagte sie, »trinkt, und eßt auch etwas. Wollt Ihr Brot und ein wenig Dörrfleisch? Ich werde soviel vorbereiten, daß es für uns beide reicht.«

Verlegen ob ihrer Fürsorglichkeit, murmelte Athelstan seinen Dank und blieb sitzen; er starrte in die matten Flammen. Benedicta machte sich in der Küche zu schaffen und deckte den Tisch. Dabei erging sich die Witwe absichtlich in einer Litanei von Klatschgeschichten über die Pfarrgemeinde, um Athelstan von dem abzulenken, was er so treffend als sein »Meer von Sorgen« beschrieben hatte. Während des Essens versuchte er, ihr zu antworten, aber er war müde, und sein Kopf brummte von allem, was er an diesem Tag gesehen und gehört hatte. Benedicta verabschiedete sich; sie werde morgen zur Messe wiederkommen. Athelstan sah ihr nach; dann ließ er den Kopf auf die Arme sinken und schlief ein.

Als er aufwachte, war es dunkel. Er fror und war verkrampft, und so fachte er das Feuer wieder an. Er wollte gerade in die Speisekammer gehen, als ein leises Klopfen ihn zusammenzucken ließ.

»Wer ist da?« rief er. Als er keine Antwort bekam, holte er seinen Knüppel aus der Ecke und legte die Hand auf den Türriegel. »Wer ist da?« wiederholte er und versuchte, seine Bangigkeit zu unterdrücken. Er spitzte die Ohren, hörte aber nur das leise Rauschen der Bäume auf dem Friedhof und den gespenstischen Ruf einer Eule. Er öffnete die Tür und spähte ins Dunkel hinaus. Als er hinaustreten wollte, stieß sein Fuß gegen etwas. Er bückte sich und hob einen kleinen Laib Brot auf, an dem ein Fetzen Pergament hing. Athelstan sah sich noch einmal um, schloß die Tür von innen und verriegelte sie wieder; er zündete die Kerze an und las, was auf das Pergament gekritzelt war.

»Ziehst du dir zu den Zorn Gottes, so wirst du dir zuziehen das Brot der Bitternis.«

Athelstan nahm den kleinen Brotlaib in die Hand und schnupperte vorsichtig daran. Er sah das Salz, das daraufgestreut war, und roch den bitteren Duft eines zerstoßenen Krauts. Er las noch einmal, was auf dem Pergament stand, dann warf er Blatt und Brot ins Feuer. »Das Brot der Bitternis«, murmelte er, und das treffende Zitat aus dem alten Testament ließ ihn leise lächeln. Eine Zeitlang saß er da und starrte in die Kerzenflamme. Ira Dei hatte ihm geantwortet, hatte ihn verspottet, weil er wußte, daß Athelstan nur auf Geheiß seines Feindes John von Gaunt mit ihm Verbindung aufnehmen wollte. Der Ordensbruder dachte an die Konfrontation zwischen Cranston und den Gildemeistern, die er an diesem Tag miterlebt hatte. Wahrscheinlich hoffte der Coroner, daß er Ira Dei mit seinen Worten zu einem dummen Fehler verleiten könnte.

Athelstan rieb sich die Augen. »Naja«, brummte er, »Cranston und ich haben jetzt seine Antwort.« Und müde stieg er die Treppe zu seiner kleinen Schlafkammer hinauf.

Zwölf

Athelstan erwachte am nächsten Morgen frisch und mit neuen Kräften. Er wusch und rasierte sich, wechselte die Kutte, fütterte Bonaventura und frühstückte rasch. Dann ging er hinüber in die Kirche, um das Requiem für die Mutter der Schweinehirtin Ursula zu lesen.

Benedicta erwartete ihn am Lettner, als er aus der Sakristei kam.

»Was gibt's, Benedicta?«

»Es tut mir leid, Euch zu stören, Pater, aber ich habe eine Nachricht von den Minoritinnen erhalten. Ihr sollt hinkommen. Elizabeth Hobden hat letzte Nacht versucht, sich aufzuhängen.«

Athelstan schluckte einen Fluch herunter; er wolle nur die Kirche abschließen, sagte er, und werde in einer halben Stunde auf den Stufen von St. Mary Overy auf sie warten. Rasch vergewisserte er sich, daß alles sicher verschlossen war, schüttete dem schnarchenden Philomel Hafer und Heu hin und eilte dann hinunter zu Benedicta.

»Was enthielt die Nachricht sonst noch?« fragte er atemlos, als sie zur London Bridge eilten.

»Nichts, Pater. Anscheinend wiederholte das Mädchen unentwegt dieselbe Geschichte. Spät nachts hörte eine Schwester dann ein Krachen aus ihrer Zelle, und als sie nachschaute, sah sie, daß das Mädchen versucht hatte, sich mit ihrem Bettlaken zu erhängen.«

Unter dem Tor zur London Bridge blieb Athelstan stehen und schaute hinauf zu den abgeschlagenen Verräterköpfen, die dort aufgespießt waren. Benedicta folgte seinem Blick.

»Pater, was um alles in der Welt… ?«

Athelstan zuckte die Achseln. »Ich finde es schwer zu glauben, Benedicta, daß Cranston tatsächlich jemanden jagt, der solche grausigen Dinge stiehlt.«

Sie verschränkte die Arme und starrte in den Dunst über der Flußmitte.

»Manchmal hasse ich diesen Ort«, murmelte sie. »Ich habe schon daran gedacht, irgendwohin aufs Land zu ziehen - wo es friedlich und sauber ist.«

»Das darfst du nicht.« Athelstan biß sich gleich auf die Lippe. Dann sah er sie an. »Wenn du fortgingest, Benedicta, würde ich dich vermissen.«

»Sehr wahr.« Sie grinste. »Und wer würde sich um Euch und Cranston kümmern?«

Sie hasteten über die Brücke und nach Eastchepe, folgten den Gassen zur Mark Lane und nach Aldgate und bogen dann nach rechts in die Straße, die zu den schimmernden Sandsteingebäuden des Minoritinnenklosters führte. Die Sonne ging auf, und Athelstan wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Wir hätten reiten sollen«, brummte er. »Der Himmel allein weiß, warum ich hier bin.«

»Sie hat doch sonst niemanden.«

»Aye«, knurrte er. »Das genügt als Grund.«

Die Nonnen begrüßten ihn freundlich und bestanden darauf, daß er und Benedicta sich im Refektorium erfrischten, bevor die Novizenmeisterin, eine stämmige, aber sehr freundlich blickende Nonne, ihnen erzählte, was in der vergangenen Nacht geschehen war.