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»Hätte ein Arzt nichts bemerkt?«

»Eigentlich nicht. Zunehmende Magenkrämpfe, Kraftlosigkeit… außerdem können die meisten Ärzte ihren eigenen Arsch nicht von ihrem Ellbogen unterscheiden!« Cranston kratzte sich die rote Glatze. »Das große Geheimnis, Bruder, ist: Wieso wußte das Mädchen davon? Sie wußte nicht nur, daß ihre Mutter vergiftet wurde, sondern sie kannte sogar das Gift, das dazu benutzt wurde. Hat sie nicht gesagt, ihre Mutter habe es ihr im Traum erzählt?«

Athelstan nickte; ihn fröstelte in der kalten Brise, die vom Fluß heraufwehte.

»Glaubst du das?« drängte Cranston.

»Sir John, jeden Morgen nehme ich ein Stück Brot und verwandele es dem Glauben gemäß in den auferstandenen Leib Christi. Das glaube ich. Ein Kind wurde geboren in Bethlehem, das Mensch und Gott zugleich ist, und das glaube ich. Dieses Kind wächst zum Manne heran, der gekreuzigt wird und glorreich von den Toten aufersteht, und auch das glaube ich.« Athelstan schaute den Coroner an. »Und man lehrt mich, daß der Geist Gottes weht, wo er will, und daß Gottes Gerechtigkeit geschehen wird. Und wenn ich all das glauben kann, Mylord Coroner, dann kann ich auch die Geschichte der jungen Elizabeth glauben. Der menschliche Geist ist ein feinsinniges Ding, Sir John. Vielleicht hatte sie einen Verdacht, und damit war die Saat gelegt.« Athelstan blies die Wangen auf. »Weiß der Himmel, was dann geschah. Ihr ganzes Leben drehte sich um die Tatsache, daß ihre Mutter vergiftet worden war, und so verbündete sie sich mit der alten Amme. Vielleicht verstand diese ja auch etwas von Arzneien. Egal wie, sie dachten sich ein kleines Spiel aus, um den willensschwachen Walter zum Bekenntnis oder wenigstens zur Reue zu zwingen. Aber was fangen wir jetzt an, Sir John?«

»Oh, ich lasse sie ein paar Tage in ihrem eigenen Saft schmoren. Unterdessen werde ich das Mädchen bei den Minoritinnen besuchen.«

»Danke, Sir John. Und dann?«

»Wie gesagt: Dann gehe ich nach Hause und erlasse auf meinen Eid einen Haftbefehl gegen Walter und Eleanor Hobden. Meine Konstabier können ihn zustellen, und ehe sie viel älter sind, werden die Hobdens vor den königlichen Richtern in Westminster stehen.«

Athelstan dankte ihm noch einmal und versprach dem Coroner, das ganze Beweismaterial zu den Rathausmorden gründlich zu studieren. Dann trennten sie sich; Cranston ging zu den Minoritinnen, und Athelstan hinunter zur London Bridge.

*

»Ite missa est.« Segnend streckte Athelstan die Hand aus; die Sonntagsmesse war zu Ende. Er lächelte, als seine Pfarrkinder, die doch kaum Latein konnten, zurückbrüllten: »Deo gratias!«

Athelstan stieg die Altarstufen hinunter, beugte das Knie und folgte Crim in die Sakristei. Dann kam er wieder heraus, stellte sich in den Vorraum und schüttelte seinen Gemeindemitgliedern die Hände, als sie hinausgingen. Watkin und Pike, der Grabenbauer, blieben da, wie er sie vor der Messe gebeten hatte. Er verabschiedete Ranulf, den Rattenfänger, der immer noch strahlte, weil er Cranston geholfen hatte, Pemel, die Flamin, Ursula und ihre Sau, Tab, den Kesselflicker und die Kurtisane Cecily, die prachtvoll aussah in ihrem weizengelben Kleid.

»Du hast dich anständig benommen?« fragte Athelstan sie.

»Selbstverständlich, Pater!«

Also geschehen doch Wunder in Southwark, dachte er. Als letzter ging Jacob Arveid, der Deutsche, mit seiner hübschen Frau und seiner Kinderschar. Der Deutsche war ein fleißiger Pergamenthändler, der sich schon nach kurzer Zeit in einem schönen dreigeschossigen Haus mit Garten hinter dem Stadtpalast des Bischofs von Westminster eingerichtet hatte, allerdings immer noch Schwierigkeiten mit der Sprache hatte.

»Das waren hübsche Worte«, versicherte er Athelstan jetzt. »Eine sehr genaue Predigt. Ich danke Euch vom Herzen meines Grundes.«

»Meinst du nicht, vom Grunde deines Herzens?«

»Von da auch, Pater.«

Athelstan lächelte und sah zu, wie seine Gemeinde sich in der Gasse vor einem kleinen Stand versammelte, wo Tab, der Kesselflicker, Ale und Süßigkeiten verkaufte. Er ging durch die Kirche zurück in die Sakristei, wo ihn Watkin mit seiner furchterregenden Frau und Pike, der Grabenbauer, mit seiner gleichermaßen beeindruckenden Gattin erwarteten.

Oh Herr, betete Athelstan, bitte laß es friedlich abgehen. Er warf Pike, mit dem er sich vor der Messe heimlich getroffen hatte, einen kurzen Blick zu. Der Grabenbauer, der sich in des Priesters Schuld sah, hatte rasch zugestimmt, daß die Verlobung seines Sohnes mit der Tochter Watkins die beste Lösung sei. Dann hatte er aufmerksam zugehört, als Athelstan ihm eingeschärft hatte, was er sagen solle, wenn sie mit Watkin zusammenkämen.

»Nun, hier sind wir, Pater.« Watkin scharrte mit den großen, schmutzigen Stiefeln. »Ich weiß, weshalb Ihr uns sprechen wollt, wenn wir auch anscheinend als letzte gemerkt haben, daß unsere Tochter in Pikes Bengel verschossen ist.«

»Ein junger Mann«, widersprach Pikes Frau.

»Mir gefällt das überhaupt nicht«, meldete sich Pike zu Wort. »Ich sehe in dieser Verlobung keine Zukunft. Mein Sohn sollte sich weiter umschauen.«

»Was ist denn an meiner Tochter auszusetzen?« zischte Watkins Frau. »Meinst du, dein Sohn ist zu gut für sie?«

Athelstan lächelte bei sich, schwieg und sah zu, wie Watkin und seine Frau Pike erbittert angriffen. Danach gab es kaum noch Probleme. Erst entschuldigte Pike sich widerstrebend, und dann willigte er - anscheinend ebenso widerstrebend - ein, den Streit beizulegen; sein Sohn würde Watkins Tochter am ersten Sonntag nach Ostern heiraten. Alle gingen hinüber ins Pfarrhaus, um zur Feier des Tages einen Becher Wein zu trinken. Watkin stolzierte ins Haus wie ein erfolgreicher Rechtsanwalt vors Hofgericht. Er hatte den Namen seiner Familie gepriesen und den Ruf seiner Tochter verteidigt; er hatte seinen großen Rivalen, Pike den Grabenbauer, zur Räson gebracht und überredet, seinen Vorschlag anzunehmen. Athelstan schenkte den Wein ein, ohne Pike in die Augen zu schauen, und während sie auf das junge Paar tranken, betete er stumm, Watkin möge nie herausfinden, wie er überlistet worden war.

Als sie gegangen waren, nahm Athelstan ein kleines Frühstück zu sich und ging dann zurück in die verlassene Kirche, um sein Brevier zu beten. Danach räumte er den Küchentisch ab und legte sein Schreibzeug zurecht: Federkiel, Tintenhorn, Bimsstein und eine Rolle neues Pergament, die Cranston ihm geschenkt hatte. Als er damit fertig war, setzte er sich und schrieb alles auf, was er und Cranston über Ira Dei erfahren hatten und wie Mountjoy erstochen, Fitzroy vergiftet und Sturmey in Billingsgate plötzlich und gewaltsam zu Tode gebracht worden war. Die Zeit verging. Athelstan legte eine Pause ein und aß ein wenig Suppe, Dörrfleisch und Brot. Er ging zum Beten in die Kirche und spazierte dann auf dem Friedhof umher und dachte über das nach, was er geschrieben hatte. Er zeichnete einen neuen Plan vom Garten des Rathauses und eine Sitzordnung des Banketts, bei dem Fitzroy gestorben war. Ab und zu fiel ihm noch etwas ein, das er dann säuberlich einfügte.

Als es dämmerte, glaubte Athelstan, alles aufgeschrieben zu haben, und er begann, seine Notizen aufmerksam zu studieren. Lächelnd dachte er daran, wie seine Mutter in einem alten Umhang einen losen Faden gesucht und wie sie ihn, wenn sie ihn gefunden hatte, sorgfältig herausgezupft und die kostbare Wolle aufgeribbelt hatte. Aber hier fand sich nirgends ein loser Faden.

»Kaltblütiger Mord«, murmelte er bei sich. »Kein Verbrechen aus Leidenschaft, keine ungestüme Geste, die den Mörder verraten könnte.« Seine Liste enthielt nicht weniger als acht mögliche Schuldige, und wer Ira Dei war, blieb weiterhin ein Geheimnis.