Выбрать главу

Cranston trommelte mit den Fingern auf den Tisch und bemühte sich, seine Panik zu verbergen. Unter buschigen Augenbrauen hinweg schaute er Athelstan an, der immer noch ganz gefaßt aussah.

»Lord Adam hat recht«, bekräftigte der Bürgermeister. »Ich stimme Euch ja zu, Sir John, aber habt Ihr einen handfesten Beweis dafür, daß Clifford den Dolch abgeschossen und die Leckerei neben den Teller gelegt hat?«

»Den haben wir«, sagte Athelstan. »Wir haben das Gold. Eine derartige Menge kostbarer Barren kann man nicht so leicht durch die Stadt transportieren oder auf dem freien Markt verkaufen.« Er sah den Regenten an. »Euer Gnaden, wenn Ihr Eure Soldaten zu Mylord Cliffords Haus schickt, dann, so meine ich, werdet Ihr das Beweismaterial finden. Ihr müßt nach einem Jagdbogen oder eher noch nach einer eigens präparierten Armbrust suchen. Nach Dolchen von der Art, wie sie gegen Mountjoy und Sturmey verwendet wurden. Und vor allem nach den sechs Goldbarren, die Mylord Clifford so geschickt aus der Truhe entwendet hat. Der Diebstahl blieb unbemerkt. Niemand würde auch nur im Traum darauf kommen, daß jemand einen zweiten Satz Schlüssel haben könnte; sollte der Raub also entdeckt werden, dann würde man dem armen Sturmey die Schuld geben. Das Dumme mit dem Gold ist nur: Was fängt man damit an, wenn man es einmal an sich genommen hat? Man kann es nur irgendwo sicher verstecken.«

Athelstan ging zu Clifford und blieb vor ihm stehen. »Warum?« fragte er.

Der junge Mann starrte ihn an.

»In der Logik«, fuhr der Ordensbruder fort, »und in der Mathematik ist die Suche nach einem gemeinsamen Faktor der erste Grundsatz. Ihr wart in Sturmeys Skandal verwickelt. Ihr hattet die nötige Geschicklichkeit, um Mountjoy zu töten. Nur Ihr kanntet die Sitzordnung an dem Abend, als Fitzroy starb.« Athelstan stählte seine Züge, denn was nun kam, war reine Spiegelfechterei. »Und schließlich: Ira Dei selbst hat Euch verraten.«

Clifford erschrak. »Wie das?«

Dann stöhnte er auf, als er begriff, was für einen schrecklichen Fehler er begangen hatte.

Gaunt schnippte mit den Fingern und befahl dem Gardehauptmann: »Nimm dir zehn Bogenschützen, und stell Cliffords Haus auf den Kopf! Sperr seine Diener ein! Wenn nötig, foltere sie!«

»Das ist nicht nötig.« Bleich wie ein Gespenst richtete Clifford sich auf. »Was hat es noch für einen Sinn?« murmelte er. »Das Spiel ist gespielt, und jetzt ist es vorbei.« Er leckte sich die Lippen. »Mylord Gaunt, Ihr mögt mich für einen Verräter halten, aber ich bin es nicht mehr als jeder andere hier im Raum. Ein paar Kaufleute, die die Armen ausquetschen wie einen feuchten Lappen. Brave Männer, die sonntags in die Kirche stolzieren und montags alle denkbaren schmutzigen Sünden begehen. Wölfe im Schafspelz!«

»Und was ist mit mir?« unterbrach ihn Gaunt. »Ich habe Euch vertraut.«

»Mylord Regent, Ihr vertraut niemandem. Und seht Ihr nicht das Unwetter, das sich zusammenbraut?« Er stieß mit dem Finger nach Gaunt. »Geht nicht auf die Jagd, Mylord. Reitet statt dessen durch die dreckigen Gassen von Southwark oder in die Dörfer in South Essex. Die Menschen werden Euch nachschauen, wenn Ihr vorüberreitet, und in ihren Augen wird die Wut lodern. Das Unwetter kommt!« Clifford machte eine schwungvolle Handbewegung. »Dieses ganze Kartenhaus wird einstürzen, ausgebrannt vom Keller bis zum Dachboden!« Er wischte sich den Speichel aus dem Mundwinkel. »Um Himmels willen!« schrie er Gaunt an. »Glaubt Ihr, ich sei der einzige? Ist Euch nicht klar, daß hier im Saal Leute sind, die bereits wissen, wie sie ihre Segel zu setzen haben, wenn der Sturm kommt?« Hingerissen von seiner eigenen Raserei, hielt Clifford inne.

Athelstan sah sich rasch um und schaute in die verschlagenen, heimlichtuerischen Gesichter der Gildeherren. Clifford war ein Mörder, aber er hatte recht. Gaunt wäre ein Narr, wenn er einem von ihnen Vertrauen schenken wollte.

»Ihr seid ein Verräter!« kreischte Goodman und sprang auf. »Ein Verräter und ein Schurke! Ein heimtückischer Mörder!«

»Ach, um Gottes willen!« brüllte Clifford, sprang ebenfalls auf und schüttelte die Hand eines Soldaten ab. »Mountjoy war ein raffgieriger Dämon, Fitzroy ein korrupter Vielfraß. Und was Sturmey betrifft - den habt Ihr ausgesucht, Mylord Bürgermeister, nicht ich.«

»Führt ihn ab!« befahl Gaunt.

Clifford drehte sich um und spuckte in Richtung des Regenten.

»›Als Adam grub und Eva spann‹«, schrie er, »›wo war da der Edelmann?‹« Denkt daran, Mylord, wenn sie Euren Palast beim Savoy niederbrennen!«

»Halt!« Goodman hatte seine Fassung als erster wiedergewonnen und plusterte sich jetzt in rechtschaffenem Zorn auf. »Woher wissen wir, daß dieser Mann nicht Ira Dei ist?«

Clifford warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Du dummer Hanswurst«, zischte er heiser. »Bist du wirklich so dämlich? Ich bin nicht Ira Dei. Aber vielleicht sitzt er trotzdem hier in diesem Raum?«

Gaunt wiederholte seinen Befehl. Soldaten führten Clifford hastig hinaus, und andere machten sich marschbereit, um Cliffords Haus von unten bis oben zu durchsuchen.

Cranston und Athelstan lehnten sich zurück und schauten zu, wie die Gildeherren, glücklich über die Aussicht, Gerechtigkeit zu erfahren, und noch glücklicher, weil sie wahrscheinlich ihr Gold zurückbekommen würden, einander darin überboten, Clifford zu verdammen und dem Regenten ihre Loyalität zu beteuern. John von Gaunt spielte mit, aber Athelstan sah, daß Cliffords Worte ins Schwarze getroffen hatten: Die Offenbarung, daß er einen Verräter gefördert hatte, war sehr schmerzhaft gewesen. Gaunt, der kaum seinem eigenen Schatten vertraute, war jetzt noch zurückgezogener und mißtrauischer. Er saß auf seinem Stuhl und empfing schweigend den Beifall seiner Kaufmannsfürsten. Er schien gar nicht zu bemerken, wie Athelstan und Cranston sich verabschiedeten und das Rathaus auf leisen Sohlen verließen.

»Gott sei Dank, das ist vorbei!« schnaufte Cranston. »Wir hatten sehr wenig Beweise, Bruder.« Er warf einen Seitenblick auf den ernsten Ordensbruder. »Du hast ihn sauber in die Falle gehen lassen.«

»Nein, Sir John, er ist sich selbst in die Falle gegangen. Er war der gemeinsame Faktor bei all diesen Todesfällen.« Athelstan verzog das Gesicht. »Und ihn zu überführen - das war eine bekannte Methode, Mylord Coroner, die mein alter Lehrer, Bruder Paul, oft benutzt hat; er behauptete, er habe sie von der Inquisition gelernt.« Athelstan streckte die Glieder. »Es ist eine Tatsache, Sir John, daß ein Mann, der in Wut gerät, weder das Rasen seiner Gedanken noch das Plappern seiner Zunge zügeln kann.«

Sie überquerten die geschäftige Cheapside; nach der Spannung im Rathaus allerdings erschien ihnen der Marktplatz still und heiter, und Cranston machte sich kaum die Mühe, wie üblich mit Falkenaugen nach seinen sogenannten »Freunden aus der Unterwelt« Ausschau zu halten.

»Komm, Athelstan. Selbst der Herrgott würde jetzt sagen, daß ich einen Becher Roten verdient habe -und mein Schreiber einen Humpen Ale.«

Sie betraten den von gastlicher Fröhlichkeit erfüllten Schankraum des »Heiligen Lamm Gottes«, und eine Zeitlang tranken sie nur und sannen über das Drama nach, dessen Zeugen sie geworden waren.

»Woher wissen wir, daß er nicht Ira Dei ist?« fragte Cranston schließlich.

»Oh, ich glaube, da hat er die Wahrheit gesagt.« Athelstan schüttelte den Kopf. »Weiß Gott, Sir John, er hat recht. Da braut sich ein Unwetter zusammen, und wenn es losbricht, wird diese Stadt nie wieder so sein wie früher.«

*

Drei Tage später verließ Athelstan den Tower, und als er das Gedränge um Billingsgate und die Bridge Street sah, beschloß er, mit dem Boot vom Wollkai auf dem Fluß nach Southwark zu fahren. Die Sonne ging unter wie eine Feuerkugel und tauchte den Fluß in blitzendes Rot, während er sich durch die Gassen seinen Weg hinunter zum Kai bahnte. Er war müde und wollte nach Hause zu seiner Kirche, aber zugleich war ihm unbehaglich, denn er war sicher, daß ihm jemand folgte. Ab und zu spähte er durch eine Gasse, sah den Fluß funkeln, hörte von fern die Rufe der Bootsleute und widerstand dem Drang zu rennen. Er mußte nur immer weitergehen, und die gewundenen, verschlungenen Gassen würden ihn zum Wollkai hinunterbringen. Endlich erblickte er die Treppe, an der die Bootsleute auf Kundschaft warteten. Er wollte schon schneller gehen, als plötzlich eine dunkle Gestalt aus einem Hauseingang trat, verhüllt und maskiert. Athelstan sah einen Dolch blinken und blieb stehen.