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»Oh«, sagte er mit einem Lachen, das frische Milch hätte gerinnen lassen, »von spalten kann keine Rede sein. Hättest du den beiden ihren Willen gelassen, so hättest du deine Männer wohl nie in größerer Einigkeit erlebt.«

»Für die Dauer dieser Reise bist du einer meiner Männer, Styrmir.«

»Ich fürchte, die anderen sind nicht dieser Meinung.«

»Sie glauben, du belauschst sie, um sie beim König zu verleumden.«

Er hob eine Augenbraue. »So, so.«

»Ist es die Wahrheit?« fragte Grimma geradeheraus.

»Du glaubst, weil mich meine Geburt zu Thorhâls Berater gemacht hat, müßte ich ihm jedes Wort zutragen, das ich mitanhöre? Liebe Güte, ich müßte Ohren haben, so groß wie die Pechkessel oben am Portal, und eine Zunge, ausgefranst wie ein Pferdeschwanz!«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht bei euch, um Thorhâl über irgend etwas Bericht zu erstatten. Es war ganz allein mein Wunsch, mit euch zu gehen.«

»Du hast gewußt, daß du nicht willkommen bist.« Sie sah keinen Grund, ihm gegenüber unaufrichtig zu sein. »Meine Krieger mögen keine Männer, die -«

»Die keine Axt führen können.« Er lächelte. »Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?«

»Ich wollte sagen: Männer, die besser mit der Zunge als mit der Waffe umgehen können. Aber ich schätze, das läuft auf das gleiche hinaus.«

»Um ehrlich zu sein, Grimma, es ist mir gleichgültig, was deine Männer über mich denken. Diese Reise bedeutet mir mehr als mein Leben. Falls sie mich in eine Felsspalte stoßen, gut, dann ist es eben so. Das war es mir wert.«

»Niemand wird dich in eine Felsspalte stoßen«, widersprach sie zornig. »Nicht, solange ich hier den Befehl führe.« Dann erst wurde ihr klar, was er noch gesagt hatte. »Wie meinst du das, die Reise bedeutet dir mehr -«

»Als mein Leben.« Er nickte bestätigend. »Wir Königsberater werden in unsere Stellung hineingeboren, das weißt du. Ich hatte nie die Möglichkeit, den Umgang mit Axt oder Schwert zu erlernen.« Er klang verbittert, und das verwirrte sie. »Nie habe ich die Möglichkeit gehabt, irgend etwas zu erleben, das aufregender war als die täglichen Beratungen mit Thorhâl und dem Rest seiner Höflinge.«

»Dann bist du auf ein Abenteuer aus?« fragte sie irritiert.

»Auf ein Abenteuer, auf einen Marsch bis ans Ende der Welt, von mir aus auch auf den Tod.« Er schnaubte verbittert. »Auf alles, das sich vom öden Trott in Thorhâls Fußvolk unterscheidet.«

Grimma versuchte, ihre Einschätzung Styrmirs zu überdenken, ihn ganz neu einzuschätzen, als hätte sie ihn gerade erst getroffen, doch dazu ließ er ihr keine Zeit.

»Als ich Thorhâl mein Anliegen vorbrachte, wußte ich, daß deine Männer mich vom ersten Augenblick an verabscheuen würden«, fuhr er fort. »Ich habe es in Kauf genommen. Und ich kann ihr Verhalten verstehen, Grimma. Sie täuschen sich nicht, wenn sie mich für jemanden halten, den das Leben bei Hofe verweichlicht hat. Ich bin kein Krieger und werde nie einer sein. Aber wenn wir jemals von dieser Reise zurückkehren, und wenn es uns gelingt, das zu finden, was wir suchen, dann werde ich meinen Kindern dereinst erzählen können, was ich erlebt habe. An deiner Seite, Grimma, und an der Seite dieser Männer, die mich hassen. Und ich werde einen Grund haben, stolz zu sein auf etwas, das ich getan habe. Zum ersten und vielleicht zum einzigen Mal.«

Grimmas Blick huschte zurück zu den Lagerfeuern und den Kriegern, die dort murmelnd beieinander saßen. Ihre Augen verengten sich, als sie über das nachdachte, was Styrmir gesagt hatte. Sie hatte sich nie zuvor in einem anderen so getäuscht wie in ihm. Dafür schämte sie sich, und sie besaß genug Anstand, sich das einzugestehen.

»Ich entschuldige mich bei dir, Styrmir.«

Ein jungenhaftes Grinsen flimmerte wie der Feuerschein über seine Züge. »Du hast mir das Leben gerettet. Das ist kein Grund, sich zu entschuldigen.« Feixend fügte er hinzu: »Höchstens bei deinen Männern.«

Sie atmete tief durch. »Ich werde mit ihnen reden. Sollte noch einer die Stimme gegen dich erheben, wird er es bereuen.«

»Nein!« widersprach er scharf. »Tu das nicht. Sprich nicht mit ihnen über mich. Ich wollte mir mit dem, was ich dir erzählt habe, keinen Respekt erkaufen. Sollten deine Krieger je lernen, mich zu achten, so sollen sie gute Gründe dafür haben, keine, die du ihnen vorgibst.«

Grimma verstand, was er meinte, und nickte langsam. »Wirst du mir noch eine Frage beantworten?«

»Gewiß.«

»Du hast eben etwas aufgeschrieben.«

»Das tue ich jeden Abend.«

»Die Männer glauben, du hältst fest, worüber sie reden.«

»Da haben sie nicht einmal unrecht.«

»Erklär mir das.«

Lächelnd griff er nach seinem Rucksack und zog das Büchlein hervor. Aus der Nähe erkannte Grimma, daß es in das Leder grauer Fledermausschwingen gebunden war. Ein wertvolles Stück.

Styrmir drehte den handgroßen Band zwischen den Fingern. »Wie soll ich meinen Kindern erzählen, was ich erlebt habe, wenn ich die Hälfte davon vergessen habe? Deshalb schreibe ich alles auf. Das Aussehen des Tunnels, die Hindernisse auf unserem Weg, meine Gedanken, auch einiges vom Gerede der anderen. Und irgendwann, vielleicht, eine Beschreibung des Nordlandes, wie es sich den Augen eines Zwerges darbietet, der sein Leben lang nur das Innere des Hohlen Berges gesehen hat.«

Er schlug das Buch auf den vorderen Seiten auf und reichte es Grimma. Sie warf einen neugierigen Blick darauf, doch dann gestand sie kleinlaut: »Ich kann nicht lesen, Styrmir.«

Er lachte nicht, verzog nicht einmal das Gesicht. »Wenn du willst, werde ich dir daraus vorlesen.«

Sie nickte ihm zu, dankbar, daß er nicht über ihr Unvermögen spottete, so wie sie selbst sich in den vergangenen Tagen insgeheim über seine mangelnden Kampfkünste lustig gemacht hatte. »Ein andermal will ich dir gerne zuhören. Falls dein Angebot dann noch gilt.«

»Das wird es.«

Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, dann stand sie auf und ging zurück zum Feuer. Sie bat Styrmir nicht, mit ihr zu kommen. Er hätte doch nur abgelehnt.

In der sechsten Woche ihres Marsches durch die Dunkelheit entdeckten sie etwas, das ihnen wahrscheinlich das Leben rettete.

Grimma selbst führte die Vorhut des Trupps an, und so war sie eine der ersten, die sah, wie sich etwas Großes aus dem Dämmerlicht schälte, das nicht in die eintönige Ödnis des Tunnels gehörte.

Es war ein großer Holzkarren mit gesplitterter Achse. Seine Ladefläche war leer. Der Größe nach mußten ihn die Nordlinge während ihres Weges zum Hohlen Berg zurückgelassen hatten.

Sogleich machten sich die Zwerge daran, ihn mit ihren Äxten in kleine, tragbare Stücke zu zerlegen. Vor mehr als zwei Wochen war ihnen das Brennholz ausgegangen, und während der vergangenen Tage hatten sich die Stellen im Tunnel gehäuft, an denen sie Wasserflächen durchwaten mußten. Unter ihnen war keiner, der sich dabei nicht erkältet hatte, und ihnen allen klebte die Kleidung feucht und klamm an den Körpern.

Jetzt aber, nachdem sie den Wagen bis aufs letzte Stück zerkleinert hatten, gab Grimma den Befehl, große Feuer zu schüren und Hosen und Wämser zu trocknen. Bald schon war ihnen zum erstenmal seit vielen Tagen wieder warm, und selbst Styrmir gesellte sich zu ihnen, ohne daß jemand Anstoß daran nahm.

Nach einer Weile zogen sie weiter, und da war nicht einer, der das zusätzliche Gewicht auf seinem Rücken bejammerte. Sie all dankten den Göttern für ihr Glück, das sie zu dem Karrenwrack geführt hatte, und die Laune der meisten hob sich beträchtlich. Die Zwerge faßten neuen Mut, und ihr Ziel, das Nordland, gewann für sie nach den ernüchternden letzten Tagen neue Reize. Sie erzählten einander, was sie dort als erstes tun würden - tief durchatmen, schlafen, Met trinken -, und plötzlich stimmte jemand eines der alten Lieder ihrer Vorfahren an. Es war Styrmir, und er sang hell und schön und mit ansteckender Begeisterung. Es dauerte nicht lange, da war auch der letzte in den frohen Gesang miteingefallen, und die uralten Melodien hallten herrlich von den Felswänden wider und verscheuchten die bedrohlichen Schatten des dunklen Höhlengangs. Grimma sang aus vollem Halse, und sie schob jeden Gedanken an die Gefahren von sich, die der Lärm heraufbeschwören mochte. Wenn der Gesang den angeschlagenen Mut ihrer Männer hob, war sie bereit, das Risiko dafür in Kauf zu nehmen.