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Kein ungewohntes Geräusch ertönte, nur das vertraute Plätschern der Wasserrinne, die jeden Korridor und Flur des Hohlen Berges flankierte. Das schmale Rinnsal, kaum breiter als zwei Finger, zeigte an jedem Ort des Zwergenreiches an, ob der Weg nach oben oder unten führte. Mochten die Böden der meisten Gänge und Hallen noch so ebenerdig erscheinen, sie waren es nicht. Kluge Baumeister hatten einstmals diesen Einfall gehabt, um im Labyrinth der Stollen und Säle die Orientierung zu erleichtern. Sogar hier, in diesem Treppenschacht, wo es keinerlei Zweifel am Oben und Unten geben konnte, verlief zu Grimmas Rechten eine Wasserrinne wie ein silbrig glitzernder Faden.

Gellir, ein rotbärtiger Zwerg mit eiserner Augenklappe, schaute über die Schulter zu Grimma. »Da oben ist nichts«, wisperte er. »Wir sollten weiter -«

»Nein!« widersprach Egil in scharfem Flüsterton. »Ich hab’ einen von ihnen gesehen.«

»Vielleicht eine Ratte«, sagte Kjartan, der jüngste der fünf Krieger. Er hatte drei Frauen, für die ihn mancher seiner Kameraden beneidete. Auch Grimma hatte er einmal beigelegen - vor dreißig, vierzig Jahren -, und sie schätzte ihn noch heute als engen Freund und Kampfgefährten.

»Eine wahrlich große Ratte muß das gewesen sein«, spottete Egil leise. »Sie lief auf den Hinterbeinen, hatte Hörner und ein Breitschwert. Geh, Kjartan, und zieh an ihrem Schwanz!«

Grimma überhörte das Gerede ihrer Krieger. Alle fünf hatten lange und tapfer gekämpft, und sie wollte ihnen jetzt nicht den Mund verbieten. Wenn die Nordlinge wirklich dort oben warteten, wußten sie ohnehin längst, daß ihre Verfolger nahten.

»Nordlinge verstecken sich nicht«, warf Odd ein, dessen Bart so gerstengelb war wie das Bier, das er meist aus eimergroßen Krügen trank.

Dem mußten alle zustimmen. Nordlinge waren zu groß und grob und ungeduldig, um Hinterhalte zu legen. Anderseits waren die Erfahrungen der Zwerge mit diesem Feind erst zwei Wochen alt, und es mochte manches geben, das sie noch nicht über ihn herausgefunden hatten. Und wer weiß, dachte Grimma argwöhnisch, vielleicht sind die drei ja verzweifelt. Oder todesmutig. Oder beides.

»Es hilft nichts«, entschied sie, »wir müssen weiter. Der König wäre gewiß nicht erfreut, wenn wir ohne ihre Hörner zurückkehrten.«

Im selben Augenblick erstarb in der Tiefe der Trommelschlag, und diesmal wurde er nicht wieder aufgenommen. Zugleich ertönte das Echo vielstimmigen Gebrülls. Da wußten die sechs Zwerge auf der Treppe, daß die Schlacht in den Minen entschieden war. Die letzten Nordlinge waren gefallen. Bis auf jene drei, deren Spur sie folgten. Das gab ihnen Auftrieb, und unter lautem Kampfgeschrei stürmten sie die Stufen empor, dem Torbogen und der Halle entgegen.

Sie waren keine zehn Schritte vom oberen Treppenabsatz entfernt, als Grimma plötzlich aufschrie.

»Halt!«

Ihr Blick war noch einmal auf die schmale Wasserrinne neben den Stufen gefallen, und diesmal verriet ihr das Rinnsal weit mehr als nur den offensichtlichen Weg nach oben.

Das Wasser hatte sich rot gefärbt. Rot vom Blut des verwundeten Nordlings, der hinter dem Torbogen lauerte!

Sie wollte Befehle brüllen, doch es war bereits zu spät. Odd behielt recht: Die Nordlinge waren nicht geschaffen für Hinterhalte, und auch jetzt war ihre Ungeduld zu groß. Brüllend sprangen sie hinter den turmhohen Steinpfosten des Portals hervor, die mächtigen Breitschwerter im Anschlag, jedes einzelne so lang wie ein Zwerg.

Grimma stand an der Spitze ihrer Einheit, und so galt ihr der erste Schlag des vorderen Nordlings. Seine Klinge fuhr herab und hätte sie von Kopf bis Fuß gespalten, hätte sie nicht im Reflex ihre Streitaxt emporgerissen und den Hieb damit aufgehalten. Die rohe Gewalt des Angriffs ließ sie schwanken, und schon holte der Nordling zum zweiten Mal aus. Wie die Gesichter seiner beiden Gefährten waren auch seine Züge hinter einem Schleier aus Kettengewebe verborgen. Bei jeder Bewegung verursachten die Eisenglieder ein leises Klingeln.

Abermals sauste das Breitschwert herab, doch diesmal tauchte Grimma mit einem Ächzen darunter hinweg, wirbelte die Axt herum und hieb die schartige Schneide tief in den Beinschutz des Nordlings. Zwergenstahl fraß sich knirschend durch das grobe Eisen, schnitt durch Haut und Knochen. Kreischend fiel der Nordling vornüber, warf mit seinem Gewicht Kjartan nach hinten und riß ihn mit sich die Treppe hinunter. Polternd verschwanden die beiden in der Tiefe.

Grimma schaute sich besorgt um. Die vier übrigen Zwergenkrieger hatten sich geteilt und kämpften nun jeweils zu zweit mit einem der beiden Nordlinge. Egil und Odd hieben gemeinsam mit Äxten auf ihren Gegner ein, der jedoch beider Angriffe mühelos abwehrte. Der Nordling überragte sie fast um das Doppelte, und Grimma sah, daß er derjenige war, der aus einer tiefen Wunde am Oberschenkel Blut verlor. Der Schmerz behinderte ihn nicht; der Nordling schien die Verletzung nicht einmal zu spüren, und das war kein gutes Zeichen. Offenbar stand er kurz davor, in Raserei zu verfallen. Grimma hatte in den vergangenen Wochen mehrfach mitangesehen, wie einige der Feinde vom Berserkerwahn überkommen worden waren, und bei aller Tapferkeit hatte sie ihren Göttern gedankt, in diesen Augenblicken nicht in der Reichweite der tobenden Nordlinge zu stehen.

Mit einem hohen Kriegsschrei stürzte sie sich in den Kampf, gerade als der Nordling Odd mit einem machtvollen Schlag den bärtigen Schädel von den Schultern trennen wollte. Grimma stieß den Zwergenkrieger beiseite und rettete ihm so das Leben, hätte aber ihr eigenes verloren, wenn nicht Egil den Hieb des Nordlings im letzten Moment mit seiner Axt blockiert hätte. Die Wucht des Schlages fegte Egil von den Beinen und warf ihn mehrere Treppenstufen nach unten. Der Nordling ließ sein Schwert ein weiteres Mal rotieren, verfehlte Grimma um Haaresbreite und traf statt dessen Odd, der sich gerade wieder aufrichten wollte. Die Klinge drang in seine Seite, tötete ihn innerhalb eines Wimpernschlages - und blieb in der stählernen Brust- und Rückenpanzerung des Zwerges stecken. Der Nordling zog und zerrte daran. Grimma holte aus und hieb ihm ihre Axt bis zum Schaft in den Unterleib. Der Krieger sackte ohne einen Laut zusammen, sein Blut mischte sich mit dem Odds und sprudelte durch die Wasserrinne hinab in die Tiefen des Berges.

Als Grimma benommen ihre Waffe aus der Leiche löste, taumelte Egil bereits an ihr vorbei, um den beiden anderen Zwergen, Gellir und Bollis, im Kampf gegen den letzten Nordling beizustehen. Grimma folgte ihm, und es dauerte nur wenige Augenblicke, da lag ihr Gegner tot auf den Stufen.

»Wir müssen sehen, was aus Kjartan geworden ist«, rief sie außer Atem, und schon stürmte sie mit Egil und Gellir die Treppe hinunter, während Bollis noch einen Moment zurückblieb, um die Hörner der Nordlinge abzutrennen.

Viele hundert Stufen tiefer kam ihnen Kjartan entgegen, auf seine Axt gestützt wie auf eine Krücke, und die Wunde in seiner Brust verriet ihnen, daß er sterben würde. Er konnte nicht einmal mehr sprechen vor Schmerz und Erschöpfung. Als er in Grimmas Armen zusammenbrach, drang nur noch ein tonloses Murmeln über seine Lippen. Sanft legte sie ihn auf einer Stufe ab und schloß seine Augen, faltete seine Hände über der Brustwunde und legte die blutige Axt obenauf.

»Er hat gewußt, daß er sterben würde«, sagte sie leise, »und dennoch wollte er noch die Treppe hinaufsteigen und uns beistehen.«

Egil und Gellir nahmen ihre Helme ab, um dem toten Gefährten Achtung zu zollen, ebenso Bollis, als er wenig später hinzukam. Grimma sandte ein Gebet an die Götter, in das sie auch den gefallenen Odd einschloß, dann ließen sie Kjartan zurück und machten sich schweigend auf den Weg in die Minen. Unterwegs, am Fuß der Treppe, fanden sie den Leichnam des dritten Nordlings, den Schädel von Kjartans Axt zertrümmert, und diesmal mußte Bollis die beiden Hörner nur noch vom Boden aufsammeln.