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»Das Leben der anderen ist wichtiger als unser Haß auf die Nordlinge!«

»Das Leben eines anderen! Das meinst du doch, nicht wahr?« Er streifte ihre Hand ab, sein Gesicht war verzerrt. »Geh’ du nur zu Styrmir und dem Rest, wenn du willst! Ich bleibe und räche meine Freunde.«

»Das ist Wahnsinn, und das weißt du!« Auf seine Bemerkung über Styrmir ging sie nicht ein. Es war sein Zorn, der ihm die Worte diktierte, nicht sein Verstand.

»Was für eine Kriegerin ist nur aus dir geworden?« Bollis packte seine Axt mit beiden Händen und hob sie wie eine heilige Reliquie vor seine Brust. »Du warst immer eine von uns, Grimma. Früher hättest du dein Leben für jeden deiner Freunde gegeben - oder für sein Andenken. Und jetzt?« Er schüttelte in bitterer Enttäuschung den Kopf. »Vielleicht bist du doch bloß - «

»Eine Frau wie jede andere?« fuhr sie ihn an, und ihre Stimme war so scharf, daß Grimma vor sich selbst erschrak. Nur mit Mühe hielt sie ihre Wut im Zaum. »Hör mir gut zu, Bollis Erzgräber! Wenn es Blindheit und Dummheit sind, die unsere Geschlechter unterscheiden, dann, glaube mir, bin ich froh, eine Frau zu sein. Was du vorhast, ist dein sicherer Tod, und er wird so schnell kommen, daß es dir nicht mal gelingt, auch nur einen einzigen Nordling mitzunehmen. Das dort draußen sind zwölf von ihnen! Zu zweit hätten wir kaum eine Aussicht, auch nur einen oder zwei von ihnen zu erschlagen. Aber zwölf? Bei den Göttern, Bollis, komm zu dir!«

Er hielt ihrem Blick weiterhin stand, aber sie sah, daß es hinter seiner Stirn arbeitete. Ein Teil seiner alten Vernunft hatte die Oberhand gewonnen, als er schließlich sagte: »Vielleicht hast du recht. Vielleicht -«

Die Entscheidung wurde ihnen abgenommen.

Ein Nordling bog um die Kante des Felsbrockens. Ehe sie sich versahen, stand er neben ihnen, riß sein Schwert aus der Scheide und ließ es in hohem Bogen auf Grimma herabrasen. Bollis schrie auf und gab Grimma einen Stoß, der sie zur Seite und aus der Reichweite des Angreifers taumeln ließ. Er parierte den Hieb mit der Axt. Der Nordling rief etwas in seiner Sprache, und innerhalb weniger Atemzüge stürmten drei weitere Krieger herbei.

Grimma sah, wie Bollis seine Axt in einem tödlichen Halbkreis herumsausen ließ, um sie in die Hüfte des ersten Nordlings zu schlagen. Bollis war ein flinker und geschickter Krieger, doch Zorn dämpfte seine Sinne, und die plumpe Attacke hätte niemals Erfolg gehabt, wären die drei Neuankömmlinge nicht schlagartig stehengeblieben und in übermütiges Gelächter ausgebrochen; offenbar zweifelten sie nicht, daß ihr Gefährte mit den beiden Zwergen allein fertigwerden würde. Spottend warteten sie auf den Ausgang des Kampfes. Den einzelnen Nordling aber irritierte das Zögern der anderen so sehr, daß er einen Moment lang unaufmerksam wurde. Bollis’ Axt grub sich tief in den Hüftknochen des Kriegers. Kreischend brach der Mann zusammen, sein Helm rollte ihm vom Kopf, und keinen Atemzug später hieb Grimmas Axt ihm den Schädel entzwei.

Mehrere Herzschläge lang schien die Zeit stehenzubleiben. Die drei Nordlinge erstarrten, ihr Lachen und Grölen verhallte. Grimma riß ihre Waffe in einem Halbmond aus Blut aus der Wunde und stellte sich breitbeinig an Bollis’ Seite, den feindlichen Kriegern entgegen.

Jetzt winkte einer der drei seinen Kameraden am Feuer zu. Lautes Gebrüll ertönte, als der Anführer Befehle gab.

Bollis kam endlich zur Vernunft.

»Komm, weg hier!« rief er Grimma zu, und noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, warfen sie sich bereits herum und rannten davon, fort aus dem Dunstkreis des Leichenfeuers, fort aus der Reichweite der Nordlingschwerter.

Grimma übernahm die Führung, und obwohl ihr Instinkt sie trieb, den Weg zur Arena einzuschlagen, riet ihr Verstand ihr, in eine andere Richtung zu laufen. Sie durften die Feinde nicht zu den anderen führen. Styrmir und den übrigen neun Zwergen konnte vielleicht die Flucht aus der Stadt gelingen, zurück in den Tunnel, heimwärts nach Süden zum Hohlen Berg. Aber was würden sie Thorhâl sagen? Styrmir und die anderen wußten nicht, was aus Grimma und dem Rest des Spähtrupps geworden war. Würden sie dem König empfehlen, mit seinem ganzen Volk den Berg zu verlassen und über die alte Zwergenstraße ins Nordland zu ziehen? Nein, gewiß nicht. Vielmehr befürchtete sie, daß Styrmir oder einige der anderen Zwergenkrieger gegen ihren Befehl verstoßen und einen zweiten Trupp aufstellen würden, um die Verschollenen zu suchen. Allerdings, und das war Grimmas größte Hoffnung, würden sie dergleichen nicht vor dem Morgengrauen tun; das bedeutete, daß ihr noch die ganze Nacht blieb, um die anderen zu warnen. Wenn sie nur schnell genug vor den Nordlingen fliehen konnten!

Sie nahmen den Weg zurück zum Turm, die einzige Strecke in der Stadt, die ihnen mittlerweile vertraut war. Zumindest drohte ihnen hier nicht die Gefahr, sich überraschend in einer Sackgasse oder Falle wiederzufinden. Sie rutschten und schlitterten auf der vereisten Schneedecke, setzten über Geröll und Mauerreste hinweg, ohne ein einziges Mal nach hinten zu blicken. Die Nordlinge waren keineswegs so behäbig und träge, wie ihre Größe sie erscheinen ließ, und sie hatten die längeren und kräftigeren Beine. Auf Dauer würden Grimma und Bollis nicht vor ihnen davonlaufen können.

Die beiden Zwerge erreichten den Turm und erwogen, sich im Inneren zu verschanzen. Grimma drehte sich um und erwartete, eine ganze Horde von Nordlingen zu sehen, die nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt waren.

Doch der Einschnitt zwischen den Trümmern, durch den sie und Bollis gekommen waren, blieb leer. Niemand verfolgte sie.

»Vielleicht beobachten sie uns«, meinte Bollis verwundert. »Sicher warten sie ab, wohin wir gehen.«

Grimma nickte und kämpfte gegen ihre Erleichterung an. Erleichterung war ein nutzloses Gefühl. Es half niemandem, schwächte nur die Aufmerksamkeit. Und möglicherweise war es gerade das, was die Nordlinge wollten.

»Laß uns hineingehen«, sagte sie und deutete mit der Axt auf den Spalt, der ins Innere des Turmes führte. »Vielleicht können wir an einem der Fenster ein Feuer entzünden, um die anderen zu warnen.«

»Feuer entzünden?« fragte Bollis, ohne seinen wachsamen Blick von der Umgebung des Turmes zu nehmen. »Womit denn?«

Grimma zeigte auf den Beutel an ihrem Gürtel. »Alles dabei.«

Zum ersten Mal löste sich die Anspannung auf Bollis’ Gesicht. »Das, was ich vorhin sagen wollte, tut mir leid.«

»Du hast es ja nicht gesagt.«

»Ich bitte dich trotzdem um Verzeihung.«

Grimma schenkte ihm ein Lächeln. »Ich werde dich dafür zum Zweikampf fordern, wenn wir wieder daheim im Hohlen Berg sind.«

»Klingt gut.« Und auch Bollis verzog die Mundwinkel.

Nach einem letzten Blick in die Schatten der Ruinen und Felsen drückten sie sich durch den Eingangsspalt ins Innere. Drinnen war es noch dunkler als im Freien, der winzige Himmelsausschnitt hoch über ihnen hatte sich nahezu schwarz gefärbt.

Grimma schaute sich angestrengt um. »Siehst du hier irgend etwas Brennbares?«

Bollis scharrte mit seinem Stiefel im Geröll. »Nichts«, meinte er enttäuscht.

Nach kurzem Zögern streifte Grimma ihren Überwurf ab und zog die Weste aus, die sie darunter trug. Sie wickelte sie um die Doppelschneide ihrer Axt, warf sich das Fell wieder um die Schultern und stapfte mit der Waffe in der Hand die Halde hinauf zur Treppe. »Paß du hier unten auf«, wies sie Bollis an. »Es gibt nur den einen Eingang. Wenn sie kommen, müssen sie an dir vorbei. Egal, was geschieht, du mußt sie aufhalten, bis ich das Feuer am Fenster entzündet habe.«

Bollis bezog Stellung vor dem Spalt und starrte hinaus in die Finsternis. Die Nacht hatte sich endgültig auf das Nordland herabgesenkt. Er würde die Gegner erst sehen können, wenn sie direkt vor ihm standen.