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Eine Weile lang sagte keiner von ihnen ein Wort, während Grimma weiter Bollis’ Bein massierte und Styrmir nachdenklich seine blutige Axt betrachtete. Plötzlich schaute er auf.

»Hört ihr das?«

Grimma sah ihn alarmiert an und horchte ins Dunkel.

»Schritte, von Norden«, sagte Styrmir.

»Das müssen Dutzende sein.« Bollis versuchte vergeblich, aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen.

Grimma sprang auf und starrte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Tunnelschlund schien ihren Blick gleichgültig zu erwidern, ein gewaltiges, finsteres Auge. Da waren keine Fackeln, keine Spur von Feuerschein. Sie begriff schlagartig, was das bedeuten mußte.

»Zwerge!«

Schweigend hoben sie Bollis vom Boden und machten sich auf den Weg nach Süden.

»Es waren glorreiche Tage, damals, und glorreich waren Grimmas Taten«, schwärmte Alberich. »Es gibt ein Lied über sie. Vielleicht sollte ich -«

»Nein«, brummte Löwenzahn. »Solltest du nicht.«

Auch Mütterchen meinte: »Das ist wirklich nicht nötig.«

Nur Geist sagte: »Ich würde es gerne hören. Du hast eine so schöne Stimme, Alberich.«

»Ein andermal«, verlangte Mütterchen hastig.

Löwenzahn wuchtete seinen Zweihänder von einer Schulter auf die andere. »Erzähl uns lieber, was in der Zwergenstadt geschehen ist.«

»War es wirklich eine Arena?« fragte Mütterchen.

»Was ist eine Arena?« wollte Geist wissen, die sich nach all ihren Jahren im Wald nichts darunter vorstellen konnte.

Löwenzahn machte ein ernstes Gesicht. Er war froh, daß er dem Moosfräulein etwas erklären konnte, und hatte es eilig, den anderen zuvorzukommen. »Man schlägt darin einem anderen den Schädel ein und wird dafür mit Blumen beworfen.«

Geist ließ eine Nelke an ihrem Hinterkopf erblühen. »Mit solchen Blumen?«

Der Halbhunne nickte. »Und mit Münzen.«

Alberich warf einen grimmigen Blick nach hinten. »Wenn du dabei noch einmal derart gierig auf meinen Hort schielst, Hunne, drehen wir sofort um.«

»Deinen Hort?« Löwenzahn lachte. »Wenn das so ist, sollten wir allmählich über Besoldung sprechen.«

Ihr Abstieg die Treppe hinunter war beschwerlicher, als Mütterchen angenommen hatte. Die Stufen schienen kein Ende zu nehmen. Zudem waren die Absätze für Zwergenfüße geschaffen und viel zu kurz und niedrig für menschliche Schritte; das verdoppelte die Anstrengung. Am schlimmsten aber war, daß sie bislang nicht einmal ein Viertel der Strecke bis zum Boden der Horthalle bewältigt hatten.

Mütterchen klopfte Alberich im Gehen auf die Schulter. »Nun sag schon, was weiter geschah. Zumindest vergeht dabei die Zeit schneller.«

»Hm«, meinte der Zwerg und kratzte sich unter seiner Mütze. »Wo war ich stehengeblieben?«

Löwenzahn beugte sich vor und roch an der Nelkenblüte auf Geists Kopf. »Grimma und die anderen hatten den Tunnel verlassen und lagen auf dem Rand der Arena«, sagte er. »Von dort aus schauten sie über die Ruinen dieser Stadt und -«

»Jetzt weiß ich!« unterbrach ihn Alberich. »Ich wollte ein Lied über Grimma singen.«

»Du wolltest erzählen, wie es weiterging«, ermahnte ihn Mütterchen.

Alberich grummelte etwas in seinen Bart und meinte schließlich: »Nun denn, hört gut zu!« Er straffte seinen Rücken. »Nach langen Monden des Marsches also kamen Grimma und ihre Gefährten im Nordland an. Sie stiegen aus dem Tunnel, fanden die Arena und entdeckten, daß die alte Stadt der Zwerge in Ruinen lag. Vielleicht war diese Stadt der Ursprung meines Volkes, vielleicht nur eine abgelegene Kolonie, das weiß heute keiner mehr. Auch was die Höhlendecke zum Einsturz gebracht hat, ist längst vergessen. Ich vermute, es war irgendeine Teufelei der Nordlinge, wie immer sie es bewerkstelligt haben mögen.

Nun, auf jeden Fall betraten Grimma und die anderen kühn die Stadt und erforschten jeden Winkel. Oft stießen sie dabei auf die verfluchten Nordlandkrieger und erschlugen ihrer Hunderte. All die Schmach, all das Verderben, das die Nordlinge mit ihrem Angriff auf den Hohlen Berg über das Zwergenvolk gebracht hatten, wurde ihnen jetzt dutzendfach heimgezahlt. Immer mehr dieser Barbaren verließen ihre stinkenden Unterschlüpfe in den Ruinen, und sie liefen Grimma und ihren Freunden geradewegs in die Klingen. Schrecklich war die Schlacht und ruhmreich der Sieg, denn bald schon war die Stadt von diesem Ungeziefer bereinigt.«

Löwenzahn runzelte ungläubig die Stirn. »Du meinst, ein paar Zwerge haben das ganze Volk der Nordlinge ausgerottet?«

Alberich hielt es nicht einmal für nötig, sich angesichts solch frevlerischen Zweifels umzudrehen. »Genauso war es«, erklärte er mit triumphaler Gebärde, »jedes Wort ist wahr! Die Zwerge waren immer ein Volk, das viele mächtige Krieger hervorgebracht hat.«

Mütterchen entging keineswegs, daß Alberich sich damit selbst widersprach; vorhin hatte er noch behauptet, in den Jahrhunderten des Frondienstes im Hohlen Berg hätten die Zwerge den Kampf verlernt. Sie schmunzelte still vor sich hin, verzichtete aber auf einen Einwand.

Der Horthüter fuhr fort: »Nachdem die Ruinenstadt von allen Feinden befreit war, machten Grimma und die Ihren sich daran, nach Spuren der hehren Vergangenheit der Zwerge zu suchen. Vielerlei fanden sie, Zeugnisse der großen Taten und Erfindungen ihrer Ahnen, und als sie alles zusammengetragen und geordnet hatten, machten sie sich auf den Rückweg. Mit lautem Gesang und in bester Stimmung stiegen sie hinab in den Tunnel und fühlten sich dort sogleich wie zu Hause. Die Mühen des Hinweges waren durch ihre glorreichen Taten von ihnen abgefallen, und sie konnten es kaum mehr erwarten, jene, die in der Heimat ungeduldig auf ihre Rückkehr warteten, mit den Schilderungen ihrer Entdeckung zu verblüffen.«

»Sie kommen näher.«

Es hätte Styrmirs Worte nicht bedurft, um Grimma den ausweglosen Ernst ihrer Lage zu verdeutlichen. Auch sie konnte es hören: das Scharren zahlloser Stiefel auf dem nassen Felsboden, das Murmeln ferner Stimmen, das metallische Klirren von Rüstzeug und scharfen Klingen. Ihre Gegner holten auf, daran bestand kein Zweifel, ebensowenig wie an der Tatsache, daß das Glück der drei Flüchtigen allmählich aufgebraucht sein mußte.

Der Schmerz in Bollis’ Bein schien nachzulassen, er lief jetzt schneller, obgleich er ebenso erschöpft sein mußte wie Styrmir und Grimma. Seine Selbstbeherrschung war außerordentlich, und Grimma fragte sich besorgt, ob dies vielleicht das letzte große Aufwallen von Kraft vor dem Ende war. Doch ein Blick in Bollis’ Gesicht beschwichtigte ihre Sorgen; er wirkte ausgezehrt und müde, gewiß, doch keineswegs wie ein Mann an der Schwelle zum Tod. Nein, Bollis würde leben, vorausgesetzt es gelang ihnen, die feindlichen Zwerge von ihren Fersen zu schütteln.

Das aber, darüber machte Grimma sich keine Illusionen, schien derzeit äußerst unwahrscheinlich.

»Was sollen wir tun?« fragte Styrmir leise. Er klang nicht ängstlich oder gar panisch, ganz im Gegenteiclass="underline" Grimma fragte sich, woher er die Ruhe nahm, mit der er Dinge aussprach, die jeden anderen zur Verzweiflung getrieben hätten. Sie kommen näher, hatte er gesagt, aber mit einer Gelassenheit, als ginge es um eine aufziehende Regenwolke. Was sollen wir tun? fragte er jetzt; es klang, als wüßte er sehr genau, daß es darauf keine überzeugende Antwort gab. Er sagte so etwas, weil er glaubte, dies sei der Augenblick, in dem dergleichen gesagt werden müsse. In seinen Augen gehörte das zum großen Abenteuer, zur Legende der Nordlandreise, die fraglos in seinem Kopf Gestalt annahm, um später - falls es ein Später geben würde - von der Feder auf das Papier seines Büchleins zu fließen.