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»Woher sonst?« Mütterchen blickte Alberich an, doch er hüllte sich in Schweigen. Dann fügte sie hinzu: »Nur daß es vielleicht heute keine Ruine mehr ist. Immerhin ist Alberichs Volk ins Nordland gezogen, um sich dort niederzulassen.«

»Aber wenn das wahr ist«, sagt Löwenzahn nachdenklich, »wenn die Nachkommen von Alberichs Vorfahren zurückkehren, um den Hort für sich zu beanspruchen, dann hätten wir es ja -«

»Mit einem ganzen Volk zu tun«, stimmte Mütterchen zu, »und nicht nur mit einer kleinen Bande.«

Geist schaute unglücklich von einem zum anderen, während Löwenzahn entschlossen seinen Zweihänder von der Schulter nahm und vor sich in den Goldboden rammte.

Alberich schüttelte langsam den Kopf. »Es ist nicht das Volk vom Hohlen Berg, das zurückkehrt«, sagte er fest.

»Woher willst du das wissen?« fragte Mütterchen.

»Gestern nacht, als ich dem ersten Zwerg begegnet bin, habe ich Trommeln gehört.«

»Und?«

»Zwerge schlagen keine Trommeln.«

»Vielleicht haben sie in zweihundert Jahren ihre Gewohnheiten geändert«, entgegnete Mütterchen schulterzuckend.

»Nein. Niemals. Zwerge schlagen keine Trommeln«, wiederholte er stur.

»Wer dann?« fragte Geist.

Alberich holte tief Luft. »Nordlinge.«

Mütterchen musterte ihn überrascht. »Du glaubst, Nordlinge sind in der Nähe? Hier, im Hohlen Berg?«

Löwenzahn kratzte sich am Kopf. »Ich dachte, diese Grimma hat alle erschlagen?« Niemand hielt es für nötig, darauf zu antworten.

Mütterchen spann Alberichs Gedanken weiter. »Wenn sich irgendwo dort unten tatsächlich Nordlinge herumtreiben, was hat es dann mit den Zwergen auf sich, die uns angegriffen haben? Ich dachte, sie und die Nordlinge sind Todfeinde?«

Alberichs Gesicht war so grau geworden wie sein Bart. »Sie sind ihre Sklaven. Sie arbeiten und kämpfen für sie.«

»Zwerge als Sklaven?« fragte Löwenzahn erstaunt.

Aus Mütterchens Blick sprach mit einemmal Argwohn. »Alberich«, sagte sie in rüdem Tonfall, »du hast uns doch die Wahrheit versprochen. Bist du uns vielleicht noch etwas schuldig?«

Der Zwerg wand sich unter ihrem strafenden Blick wie ein Kind, das mit dem Finger im Eingemachten ertappt worden war. Er rang sichtlich nach Worten.

Geist trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Kann mir irgendwer erklären, was das alles zu bedeuten hat?«

Alberich schaute auf und sah dem Moosfräulein geradewegs in die hellblauen Augen. »Es bedeutet«, sagte er dumpf, »daß meine Ahnen im Nordland nicht das gefunden haben, was sie sich erhofften.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Oder daß sie niemals dort angekommen sind.«

Das Knirschen begann von neuem, und nun bemerkten alle mit Schrecken, daß es lauter geworden war. Auch die Richtung ließ sich jetzt ausmachen. Besser: die Richtungen. Denn die Laute drangen an zwei entgegengesetzten Stellen aus dem Schatz empor.

»Sie nehmen uns in die Zange«, stieß Löwenzahn aus und schaute sich alarmiert um.

»Nicht uns«, sagte Mütterchen. »Den Hort. Und mit ziemlicher Sicherheit planen sie noch weitere Vorstöße. Um all das Gold von hier fortzubringen, werden sie mehr als nur zwei Wege brauchen.«

Geist nickte. »Die Zwerge, die das Moos getötet haben, drüben in der Wasserhöhle...«

»Nur ein Trupp von vielen«, vermutete Mütterchen. »Wahrscheinlich sind sie schon überall und treiben aus allen Richtungen Stollen hierher. Und sie sind unglaublich schnell!«

»Zwergenwissen«, murmelte Alberich.

Mütterchen sah ihn mit erhobener Braue an. »Was meinst du damit?«

»Sie benutzen nicht einfach nur Hammer, Meißel und Spitzhacke«, erklärte Alberich, »sondern die alten Minenbohrer meines Volkes.«

»Könntest du dich wohl etwas klarer ausdrücken?« verlangte Mütterchen ungeduldig.

»Wir Zwerge graben uns in die Berge, seit die Götter die Welt zur Scheibe formten und dabei die ersten Gebirge schufen. Schon vor unzähligen Generation, als noch die frühen Völker über die Gipfel wandelten, begannen einige unserer klügsten Köpfe mit dem Bau gewisser Hilfsmittel.«

»Magie?« entfuhr es Löwenzahn erschrocken. Dann fiel ihm ein, daß er damit Geist beleidigt haben könnte. Doch das Moosfräulein schaute nur Alberich an und hörte aufmerksam zu.

»Keine Magie«, widersprach der Horthüter kopfschüttelnd. »Uraltes Wissen, zu etwas Neuem geformt. Viele kluge Einfälle, zusammengebracht zu etwas, das es vorher nicht gab.«

»Du sprichst in Rätseln«, sagte Mütterchen unwirsch.

»Bei allem Gold des Nordlandes!« fluchte Alberich. »Wie soll ich es denn sonst erklären?«

»Wie sehen diese Hilfsmittel aus?« fragte Geist.

»Sie sind aus Holz und Stahl. Vor allem aus Stahl, vielfach gehärtet, stärker als die beste Klinge und so scharf, daß schon ein Blick darauf verletzen kann.«

»Dein Stolz auf die Errungenschaften deiner Ahnen ehrt dich«, sagte Mütterchen. Schärfer fügte sie hinzu: »Aber wir haben nicht mehr viel Zeit.«

»Die meisten haben Räder«, erwiderte Alberich säuerlich, »andere riesige Kessel. Vorne sind Spitzen, die sich drehen und den Fels wie Butter durchdringen.«

Noch immer konnte sich keiner vorstellen, wie solch ein Ding aussehen sollte.

Mütterchen horchte auf das unheimliche Knirschen und wandte sich abermals an Alberich: »Haben deine Vorfahren diese seltsamen Hilfsmittel mitgenommen, als sie von hier fortgingen?«

Der Horthüter schüttelte den Kopf. »Sie sind viel zu schwer, um sie einen so langen Weg zu schieben.«

»Also gibt es noch welche davon hier im Berg?«

»Gewiß.«

Mütterchen packte ihn an den Schultern. »Wo genau sind diese Geräte?«

»Einige stehen noch in den alten Minen, dort, wo sie zuletzt eingesetzt wurden. Aber die meisten befinden sich in einem großen Saal in der unteren Ebene.«

»Wie weit ist das von hier?« fragte Mütterchen.

Alberich dachte nach. »Nun, erst einmal ein halber Tag bis hoch zur Plattform. Vom Eingang der Horthalle aus ist es dann nicht mehr allzu weit - zumindest im Vergleich zum Aufstieg.«

»Du willst wirklich dorthin und dir dieses alte Gerümpel ansehen?« fragte Löwenzahn Mütterchen verwundert.

Die alte Räuberin verzog das Gesicht. »Alberich hat gesagt, diese Geräte sind zu schwer, um sie aus dem Nordland hierher zu schaffen. Wenn die Nordlinge und ihre Zwergensklaven sie dennoch einsetzen, muß das bedeuten -«

»Daß sie von hier stammen«, führte Alberich den Satz erschrocken zu Ende. »Hier aus dem Berg!«

Mütterchen nickte grimmig. »Die Nordlinge müssen als erstes diesen Saal aufgesucht haben, von dem du gesprochen hast. Das heißt, daß zumindest einige unter ihnen sind, die sich hervorragend im Hohlen Berg auskennen. Und es heißt weiterhin, daß es von diesem Saal aus höchstwahrscheinlich einen direkten Zugang zur alten Zwergenstraße gibt.«

Alberich legt den Kopf schief. »Das ist nicht der Zugang, den ich kenne.«

»Dann verrat’ uns endlich, wo der Haupteinstieg liegt!« fuhr Mütterchen ihn scharf an.

Alberich zeigte auf seine Fußspitzen. »Ihr steht gerade darauf.« Mütterchen riß die Augen auf, und der Zwerg grinste verlegen. »Der Zugang zum Tunnel liegt unter dem Hort, und niemand wird ihn je von unten öffnen können. Thorhâl ließ einen Weg durch das Gold graben, um sein Volk hindurchzuführen. Anschließend wurden die Stützen zum Einsturz gebracht. Der Schatz hat den Zugang für immer verschüttet.«

»Bis wieder einer kommt und gräbt«, sagte Löwenzahn.

»Es gibt kein Zwergenvolk mehr im Hohlen Berg«, entgegnete Alberich. »Einer allein, selbst eine Schar von fünfzig oder hundert Arbeitern müßte jahrelang graben, um das Tor freizulegen.«

Mütterchen zog scharf die Luft ein. »Also haben die Nordlinge von ihren Zwergensklaven einen neuen Stollen vom Tunnel aus zu diesem Saal graben lassen, in dem die Minenbohrer aufbewahrt werden. Sie wußten, daß sie den Hauptzugang nicht auf normalem Wege öffnen können, darum versuchen sie es nun auf andere Weise. Sie haben die Bohrer hinab in die Zwergenstraße geschafft und treiben sie nun von unten durch die Tunneldecke geradewegs in den Boden der Horthalle. Sie öffnen das Tor mit Gewalt.«