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Oh, gewiß versuchte sie, ihn umzustimmen. Sie schilderte die Öde und den klirrenden Frost des Nordlandes, die Trümmerschluchten der untergegangenen Zwergenstadt; sie warnte vor der Mordlust der Nordlinge, die die Ruinen wie ein Rudel Aasfresser beherrschten; sie bat, sie schrie und sie flehte, Thorhâl möge seinen verhängnisvollen Plan aufgeben, er möge daheim bleiben im Hohlen Berg und sich zufriedenzugeben mit dem, was das Schicksal ihnen zugestanden hatte.

Doch Thorhâl schüttelte nur betrübt den Kopf, ein geschlagener Mann, gefesselt an die Marionettenschnüre seines Volkes. Im Hinausgehen befahl er dem Heiler, alles in seinen Kräften stehende für die verwirrte Kriegerin zu tun. Dann war er fort, und Grimma sah ihn niemals wieder.

Die Bemühungen des Heilers schienen für Grimma an einer anderen vorgenommen zu werden, nicht an ihr. Sie verfolgte sie unbeteiligt, wie durch einen Schleier. Dann, als der Mann endlich fort war, zog sie die Tarnkappe über und stahl sich unsichtbar aus dem Schatten der Versorgungskarren, neben denen man ihr Lager errichtet hatte. Mühelos schlich sie an Thorhâls Wachen vorbei zur Rampe. Die steile Schräge wuchs ehrfurchtgebietend vor ihr empor. Auf Grimma wirkte sie wie der Eingang in eine andere Welt.

Die beiden Steinflügel der riesigen Falltür, hoch oben in der Tunneldecke, wurden durch ein gewaltiges Gerüst aus Holz abgestützt. Grimma erkannte Thorhâls Plan: Sobald der Zug weit genug fort war, würde er die Gerüstkonstruktion zerstören lassen. Die Flügel würden zufallen, der Hort darüber zusammenschlagen wie die Wogen eines goldenen Ozeans. Kein Eroberer würde danach noch in der Lage sein, den Hohlen Berg von unten zu betreten.

Unsichtbar erklomm Grimma die Rampe. Sie hatte Bauchschmerzen. Das starke Aufgebot an Wachtposten, die an den Rändern der Falltür postiert waren, verriet ihr, daß das Zwergenreich bereits geräumt, die Kammern und Hallen durchsucht und gesichert waren. Niemand würde zurückbleiben. Niemand außer Grimma.

Sie huschte zwischen zwei Wachen hindurch, kletterte über die Goldwälle der Nibelungenschätze und machte sich daran, die lange Treppe in der Wand der Horthalle hinaufzusteigen.

Sie hatte mehr als drei Viertel des Weges bewältigt - demnach war fast ein halber Tag vergangen -, als tief unter ihr ein scharfes Bersten ertönte, gefolgt von einem Donnern. Thorhâl ließ die Stützpfeiler fällen. Nur Augenblicke später sackte das Gerüst in sich zusammen, die mächtigen Torflügel schlossen sich mit ohrenbetäubendem Krachen. Darüber ergoß sich von allen Seiten die Goldflut des Hortes, verschüttete den geheimen Zugang zum Tunnel innerhalb weniger Atemzüge. Das Zwergenreich vom Hohlen Berg existierte nicht mehr.

Grimma erreicht die Plattform, beherrscht von einem Wirrwarr starker Empfindungen. Schmerzvolle Trauer um all jene Männer, Frauen und Kinder, die ihrem König ins sichere Verderben folgten. Trauer auch um die Freunde, die ihr Leben für ein Ziel gelassen hatten, das von Anfang an eine Illusion gewesen war.

Und sie weinte um Styrmir, der ihr mehr gegeben hatte als nur seine Liebe.

Sie zog sich die Tarnkappe vom Kopf und streichelte das überirdische Schmiedewerk des Kettengewebes, als wäre es der Haarschopf ihres toten Gefährten. Albenmagie, dachte sie verträumt.

Neues Leben, tief in mir. Ich kann es fühlen.

Sie berührte mit der Tarnkappe ihren Bauch, rieb sanft darüber hinweg. Albenmagie, durchfuhr es sie noch einmal. Vielleicht ging ja etwas davon auf die Frucht ihres Leibes über, auf Styrmirs Kind, das unter ihrem Herzen heranwuchs.

Sie wußte schon, welchen Namen sie ihm geben würde.

ENDE

Chronologie

Die Nibelungen

Die große Saga »Die Nibelungen« ist keine Nacherzählung des weltberühmten Nibelungenliedes. Jeder Roman erzählt eine neue, aufregende Geschichte um einen Helden des Epos. Gleichwohl lassen sich die Romane in die Chronologie des Liedes einordnen.

Chronologie

Die Flammenfrau

Der Rabengott

Hagen kommt nach Worms und beginnt seinen Aufstieg zum Berater.

Das Runenschwert

Siegfried tötet Nibelung und Schilbung. Er stiehlt Alberich die Tarnkappe.

Siegfried erschlägt den Drachen.

Das Drachenlied

Der Zwergen-Krieg

König Dankrat von Burgund stirbt. Gunther besteigt den Thron.

Die Hexenkönigin

Das Nachtvolk

Siegfried kommt nach Worms.

Die Helden reisen nach Island und kämpfen um Brunhilds Hand.

Siegfried heiratet Kriemhild, Gunther vermählt sich mit Brunhild.

Hagen tötet Siegfried und versenkt den Nibelungenhort im Rhein.

Kriemhild heiratet den Hunnenkönig Etzel.

Die Burgunden folgen Kriemhilds Einladung zur Hunnenburg.

Kriemhild läßt die Burgunden von den Hunnen ermorden.