Выбрать главу

Alberich wartete nicht ab, bis sie sich angekleidet und bewaffnet hatte. Statt dessen lief er hinaus auf den Gang, rief über die Schulter ein knappes »Danke!« und eilte von der Plattform aus eine zweite Treppe hinab, die tiefer ins Herz des alten Zwergenreiches führte.

Er durchquerte mehrere Ebenen, die zum Teil so wirr miteinander verschachtelt waren, daß nur ein Zwerg die Grenzen zwischen den Stockwerken ausmachen konnte. Alberich lief achtlos durch die Große Halle der Schnitzwerke, ein hoher Saal, in dem hölzerne Skulpturen eines verrückten Zwergenkünstlers vermoderten. Gleich daran schloß sich eine Halle an, in der Statuen aus Stein über reichverzierte Wände wachten, Werke begabter Steinmetze, deren Arbeiten den felsverliebten Zwergen viel näher waren als der verhaßte Umgang mit Holz.

Weitere Treppen, weitere Kammern und Säle, und immer noch hatte Alberich nicht einmal das obere Drittel des Zwergenreiches hinter sich gelassen. Im magischen Zwielicht des Felslabyrinths sah er so deutlich wie ein Mensch bei Tageslicht, und doch erfüllte ihn die Weite und Leere der endlosen Flure und Hallen zum erstenmal mit Schaudern. Er stellte sich vor, wie es einst gewesen war, als hier ein gnadenloser Krieg getobt hatte. Ein Krieg, der sich durch fernes Trommeln angekündigt hatte.

Atemlos, mit rasendem Herzen, blieb er einen Augenblick stehen, am Grunde einer künstlichen Schlucht aus behauenen Felswänden, die übersät waren mit einer Heerschar grinsender Wasserspeier. Hoch über ihm wölbte sich ein Himmel aus Granit, so weit entfernt wie Gewitterwolken über dem Rhein. Die stumme Majestät dieses Anblicks hätte Alberich zu jedem anderen Zeitpunkt vor Ehrfurcht erstarren lassen, schwärmend im Angesicht solcher Pracht. Doch jetzt hatte er für solche Dinge keine Zeit.

Er horchte. Beinahe hoffte er, das unheimliche Trommeln möge sich noch einmal wiederholen, nur damit er Gewißheit hatte, daß er sich nicht täuschte. Doch jetzt herrschte Stille im verlassenen Zwergenreich, abgesehen vom Brausen unterirdischer Luftströme und dem leisen Plätschern der Wasserrinnen. Kein Trommeln mehr und auch kein anderer Laut, den man dafür hätte halten können.

Alberich wickelte die Ketten der Goldgeißel mit einer beiläufigen Handbewegung um den Griff. Schlimm genug, daß sein Atem so raste und sein Herz laut genug schlug, um selbst Löwenzahn aus seinem Schlummer zu reißen. Er mußte seine Anwesenheit nicht auch noch durch das Klingen der Stachelkugeln verraten.

Er verharrte noch einen Augenblick, dann setzte er seinen Weg fort. Das Trommeln konnte von überall hergekommen sein, aus jedem Winkel der Zwergenstadt, und doch sagte ihm eine innere Stimme, daß sein Ursprung in den unteren Ebenen zu finden war, in den alten Minenschächten oder, schlimmer noch, in der Horthalle.

Im Grunde aber sprach alles für ein Hirngespinst. Warum sollte jemand, dem es wider Erwarten gelungen war, in den Berg einzudringen, eine Trommel schlagen? Würde er nicht so leise wie möglich einstecken, was es einzustecken gab, und sich ohne viel Aufhebens davonmachen? Alberich war kein Dieb, doch er verstand genug von der Räuberei, daß ihm die Geräusche einige Rätsel aufgaben. Wenn er ehrlich zu sich war, konnte es nur eine Lösung geben: In Wahrheit hatte es gar keine Geräusche gegeben, ganz gewiß kein Trommeln. Sollte er nicht genug Ehrgefühl aufbringen, sich seinen Fehler - schlimmer: seine Panik - einzugestehen?

Doch so einfach war das nicht. Er war der Horthüter, der Wächter vom Hohlen Berg. Und es war seine Aufgabe, ungewöhnlichen Lauten nachzugehen, noch dazu, wenn sie wie das Dröhnen fremder Kriegstrommeln klangen.

Unter den feindseligen Blicken der Wasserspeier durchquerte er die Schlucht, stieg an ihrem Ende eine enorme Freitreppe hinab und machte sich auf zum nächstbesten Schacht, der ihn auf geradem Weg in die Minen führen würde.

Er hatte gerade den Zugang zum höchstgelegenen Minenstollen erreicht, als das Trommeln von neuem begann.

Und diesmal klang es nah!

Die Stollen waren nur grob aus dem Fels gehauen, kein Vergleich zu den reliefgeschmückten Fluren und Hallen des Wohnbereichs. Decken und Wände der Minen waren durch Balken abgestützt. Wasserrinnen gab es hier nicht. Alberich mochte sich täuschen, aber er hatte das Gefühl, als sei das Licht hier unten schwächer, trotz der größeren Nähe zum Hort. Fast, als würde der magische Glanz des Goldes von den kantigen, häßlichen Wänden der Minenstollen abgestoßen; eine Flucht der Anmut vor dem Unvollkommenen. Ein weiterer Beweis dafür, daß der Hortglanz einen eigenen Willen, ein eigenes Leben besaß. Alberich war sicher, daß der ganze Berg in Finsternis versinken würde, wenn der verfluchte Xantener seine Drohung wahrmachen und den Schatz von hier fortbringen würde. Alberich würde lieber sterben, als diesen Tag mitzuerleben.

Das Trommeln ging weiter, dumpfes, träges Dröhnen. Alberich lockerte die Ketten der Goldgeißel und stieg tiefer in das Labyrinth der Stollen. Nach einigen hundert Schritten gelangte er an eine Stelle, an der die Arbeiter auf eine Blase im Fels gestoßen waren, ein natürlicher Hohlraum, in dessen oberen Teil der Stollen mündete. Der Weg endete an einer Steilwand, und jenseits davon lag nichts als Schwärze. Weder Wände noch Boden waren zu erkennen. Das undurchdringliche Dunkel schien sogar das Trommeln aufzusaugen wie ein Schwamm; die Laute klangen hier weniger hallend, fast stumpf.

Alberich wußte, daß vor vielen Jahren einige Zwerge in diese Schwärze hinabgestiegen waren und nach tagelangem Klettern und Abseilen den Grund erreicht hatten, eine finstere, unbewegte Wasseroberfläche, unterhalb derer nichts zu leben schien, gewiß keine Fische. Sicher war nur, daß es keinen unterseeischen Zugang zu dem Gewässer geben konnte, denn da sich die Minen unterhalb des Rheins befanden, hätte eine Verbindung zwischen dem Fluß und dem See unwillkürlich die unteren Ebenen überflutet. Die Zwerge waren zurückgekehrt, kaum klüger als zuvor; sie hatten mehrere ihrer Kameraden verloren, die während des Abstiegs abgestürzt waren, und auch am Ufer des unterirdischen Gewässers hatte es keine Spur mehr von ihnen gegeben. Der schwarze See hatte sie einfach verschluckt.

Alberich hatte vermutet, daß die Quelle des Trommelns hier zu finden sei, nur eine Ahnung, die sich jetzt jedoch als falsch erwies. Während er an der Kante stand und in die lichtlose Finsternis blickte, ertönte das Trommeln ganz eindeutig in seinem Rücken.

Er wollte umkehren, hatte schon den ersten Schritt gemacht, als er sah, daß er nicht mehr allein im Stollen war.

Etwas, jemand, kam auf ihn zu, jagte heran, blitzschnell, und in seinen Händen funkelte Stahl.

Alberich sprang zur Seite, konnte dem Schlag der Axt gerade noch ausweichen. Er war geübt im Kampf und hatte in Dutzenden, in Hunderten solcher Duelle gesiegt. Jetzt aber lähmte ihn der Anblick seines Gegners bis ins Mark. Es war kein Mensch, der ihm da entgegentrat, auch keine Ausgeburt dämonischer Felsenschlünde.

Es war ein Zwerg.

Und das war vollkommen unmöglich.

Alberich blieb keine Zeit, sich zu wundern oder gar Fragen zu stellen. Der nächste Angriff seines Gegners kam schneller, als er erwartet hatte, und mit mörderischer Präzision.

Die feindliche Axt sauste auf ihn zu, Alberich riß seine Goldgeißel empor und wehrte den Hieb mit dem stählernen Griff seiner Waffe ab. Noch in derselben Bewegung holte er mit den Stachelkugeln Schwung und ließ sie in die Richtung seines Gegners wirbeln, geradewegs auf dessen Gesicht zu. Der andere warf sich zur Seite, doch eine der Kugeln streifte seine Schulter und schlug eine tiefe Kerbe in seinen Lederharnisch. Blut drang aus der Wunde. Die Züge des Verwundeten verzerrten sich, er fletschte die Zähne wie ein wildes Tier.

Die kurze Kampfpause gab Alberich Zeit, seinen Feind genauer zu betrachten. Es war ein Zwerg, daran bestand kein Zweifel. Er war eine Handbreit größer als er selbst und um einiges jünger, fast noch ein Frischling, vielleicht vierzig, fünfzig Jahre alt. Sein lederner Panzer wies kaum Kerben oder Kratzer auf, so als hätte sein Träger ihn noch nie in einem echten Kampf erprobt. Langes braunes Haar wucherte unter einem halbrunden Helm hervor, der Bart des Zwerges war kurzgeschnitten. Sein Gesicht war eingefallen und grau, er wirkte ausgehungert wie nach einem langen Marsch, bei dem ihm die Verpflegung ausgegangen war.