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Es war ein absolutes Rätsel. Laska blieb liegen, auch als Hartung ihr zuredete, mit der Peitsche drohte, ihr auf die Kruppe schlug, sie anschrie. Das einzige, was sie tat, war ein leises Schnauben, ein Hochstemmen auf die Vorderbeine, dann brach sie wieder ein und rollte sich zur Seite.

«Mein Gott, sie hat irgendeine Schwäche«, sagte Hartung leise.»Du siehst doch, daß sie nicht hoch kann.«

In den Stall kamen jetzt die anderen Pferdepfleger, Fallersfeld, Hartwig Steenken, Winkler und Schockemöhle. Romanowski tanzte um Laska herum, beschimpfte sie, lockte, kniete neben ihrem Kopf und hob ihn in seinen Schoß. Laska blieb ruhig. Aus müden, halbgeschlossenen Augen musterte sie die Welt. Hartung hatte sein Ohr auf ihren Leib gelegt und horchte sie ab.

«Einen Arzt!«schrie Fallersfeld, der sofort die Situation erfaßte.»Wo ist Dr. Rölle? Sofort hierher! Horst, hörst du was?«

«Nichts. «Hartung richtete sich auf. Winkler und Schockemöh-le bemühten sich, Laska an der Trense hochzuziehen, Romanowski gab ihr Schläge auf die Kruppe. Es war, als wollte man einen Klumpen Fleisch das Tanzen lehren. Laska lag da und rührte sich nicht.

«Gehen wir systematisch vor!«sagte Fallersfeld mit bebender Stimme.»Wer hatte Stallwache?«

«Ich!«Romanowski stand stramm wie zum Rapport.

«Und?«

«Keine besonderen Vorkommnisse, Herr Baron.«

«Was machte Laska?«

«Se pennte, Herr Baron.«

«Das wissen Sie genau?«

«Ick hab imma über de Wand jeguckt, Herr Baron. Imma!«

«Und Sie haben nichts bemerkt?«

«Nix, nee, Herr Baron.«

«Der Mann ist nicht nur blöd, sondern auch blind!«schrie Fallersfeld.»Liegt so ein Pferd da?«

«Keen normales, Herr Baron. «Romanowski holte tief Luft. Er dachte an Adriana. Wenn die det wissen, kastrieren se mich, dachte er. Ein Jlück, det ick alles aufjeräumt habe. Den BH hat se verjessen. Den hab ick jetzt in der linken Hosentasche, 'n Fummel aus Spitzen. Wenn die bloß nich det Parfüm riechen!

«Aba is die Laska een normales Pferd?«fragte er treuherzig.

Fallersfeld gab sich geschlagen.»Irgend etwas muß sie ja haben«, sagte er ratlos.»Falsches Futter?«

«Ausjeschlossen, Herr Baron. «Romanowski tat beleidigt.»Ick füt-tere ihr imma selber.«

«Eine Erkältung?«

«Bei der Hitze?«

«Gerade!«

«Dann tät se husten. Tut se det?«

Dr. Rölle stürzte in den Stall. Er war gerade gekommen und sofort zum Stall V gerufen worden. Mit deutlicher Zurückhaltung blieb er vor der Box stehen.

«Ist sie auch wirklich zahm?«fragte er.

«Wenn sogar Hans-Günther neben ihr knien darf, dem sie keinen Sieg verzeiht!«rief Fallersfeld.»Doktor, sie liegt da wie gelähmt! Was kann das sein? Mein Pferdeverstand versagt.«

«Eine Kreislaufschwäche. «Dr. Rölle packte das Stethoskop aus, kniete neben Hartung und Winkler in den Häksel und tastete Las-ka ab.»Das Herz ist nur wenig langsamer, das kann es nicht sein«, sagte er erstaunt.»Aber wenn ich mir die Augen ansehe, das ist überhaupt kein Laska-Blick mehr. So schaut ein müder Esel drein. «Er schob die Nüstern zurück, eine mutige Tat, denn niemand hätte früher gewagt, außer Hartung und Pedro, Laskas Nüstern zu berühren, und starrte in das Maul. Die Zunge glänzte bläulich und dick. Dr. Rölle setzte sich entgeistert an die Wand und zog die Beine an.»Vergiftet«, sagte er langsam.

«Unmöglich!«brüllte Romanowski.»Ick war imma um se!«

«Aber sie ist vergiftet. Eine überstarke Schlafmitteldosis!«Dr. Rolle hob beide Hände, als Romanowski wieder losbrüllen wollte.»Pedro, waren Sie ohne Unterbrechung im Stall?«

«Ja!«schrie Pedro. Das war noch nicht einmal gelogen.

«Sie waren keine Minute draußen? Luft schnappen, pinkeln?«

Romanowski zog das Kinn an. Sein Gesicht fiel auseinander.»Wat der Mensch tun muß, muß er tun«, stotterte er.»Ick kann mir doch nich selbst ertränken.«

«Aha! Wo waren Sie?«

«Hinterm Stall. Aba nur drei Minuten. Sie sind ja Dokta. Rechnen Se mal aus, wie lang so 'ne menschliche Blase entleert werden

kann. Mehr war nich.«

«Drei Minuten!«Fallersfeld fuhr sich erschüttert über die Augen.»Diese drei Minuten muß der Täter abgepaßt haben. In drei Minuten kann man ein Dutzend Spritzen setzen. Doktor, bekommen Sie Laska bis zum Mittag wieder auf die Beine?«

«Auf die Beine vielleicht. Aber für den Parcours fällt sie mit hundertprozentiger Sicherheit aus.«

«Prost, dein Onkel Otto!«rief Fallersfeld.»Horst, du wirst sofort >Fahnenkönig< abreiten. Romanowski!«

Hackenknallen. Stramme Haltung.»Herr Baron!«

«Du wirst ab sofort innerhalb des Stalles an die Wand pinkeln, verdammt noch mal! Los, Jungs, an die Arbeit, um Laska wird sich der Doktor kümmern. In ein paar Stunden müßt ihr siegen.«

Bis zum Mittagessen war Laska durch Injektionen so weit gekräftigt, daß sie auf den Beinen stand. Sie schwankte wie eine Betrunkene, stieß mit dem Kopf überall an, und als sie an die Luft kam, begann sie zu zittern und wollte sich wieder hinlegen. Dann führte Romanowski sie herum, abseits von allen anderen Pferden. Er schämte sich. Da ist man einmal ausgerutscht, und schon hat's solch eine Wirkung. Die Liebe ist eine verflucht gefährliche Sache.

Vom Turnierplatz klang Musik herüber. Hartung ritt >Fahnenkönig< ein, Fallersfeld und die deutschen Reiter schritten die Hindernisse ab. Winkler maß die Distanzen, rechnete sich die Schrittlängen und die besten Anreitewinkel aus. Die große Arena begann sich mit Menschen zu füllen. Eine Farbenpracht, die das Auge blendete. Wolkenlos blau dehnte sich der Himmel darüber mit einer glühenden Sonne.

«Was machste bloß«, klagte Romanowski.»Olles Luder, warum haste dir det Ding verpassen lassen? Ick weeß, ick weeß, meine Schuld is et! Siel mir da mit det rote Aas rum, und dich jeben se die Spritze. Du, det bleibt unter uns, wa? Meen liebes Luder!«Er umfaßte Laskas Hals und weinte in ihre Mähne hinein.

Dr. Rölle traf sie eine Stunde vor dem Turnier in der Nähe des Stalles. Romanowski hatte wie ein todesmutiger Löwenbändiger seinen Kopf halb in das offengehaltene Maul Laskas gesteckt und schnupperte vernehmlich. Es war, als wolle er mit der Nase den Mageninhalt analysieren. Dr. Rölle tippte Romanowski auf die Schulter. Erschrocken fuhr der zurück.

«Na?«sagte Dr. Rölle gemütlich.»Was sehen wir denn? Alles dunkel? Sicherlich Darmverschlingung.«

«Det is 'n uralter Hut, Dokta! Darüber haben schon Adam und Eva jelacht. «Romanowski hielt Laska kurz an der Trense. Sie hatte eine Abneigung gegen Dr. Rölle und tänzelte nervös herum.»Ick habe da so meene Idee.«

«Und die wäre?«

«Ick brauche 'nen jroßen Eimer Milch.«

«Was?«

«Milch!«Romanowski war in Erinnerungen versunken.»Meen Jroß-vater sagte imma: >Milch is det einzige Wunder, det man saufen kann.< Ick will Laska 'nen Eimer Milch geben.«

«Von mir aus. Mehr als auskotzen kann sie ihn nicht. «Dr. Röl-le hob ratlos beide Arme.»Ich weiß nicht mehr weiter, Pedro. Die haben da ein Schlafmittel gespritzt, das allen Gegengiften widersteht. Morgen kann Laska wieder munter sein, bestimmt ist sie das, aber morgen ist es auch zu spät.«

Die deutsche Equipe kam noch einmal zur letzten Besprechung zusammen. Horst Hartung ritt >Fahnenkönig<, die Chancen der deutschen Reiter standen nicht schlecht, aber auch nicht auf Sieg. Was man im Training beobachtet hatte, wurde zur Gewißheit: Die Italiener traten mit einer Mannschaft an, die nicht zu schlagen war. Die Brüder d'Inzeo ritten Pferde, deren Sprungvermögen und Schnelligkeit sagenhaft waren.

Für Fallersfeld ging es jetzt nur darum, den ehrenvollen zweiten Platz zu belegen. Das hieß: Vieles wagen, aber nicht zu viel! Kein Vabanquespiel. Auf Sicherheit reiten. Zeitfehler hinnehmen, aber sauber über die Hindernisse.