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Der Etagenkellner betrat das Zimmer. Nanu, dachte er. Das Bett ist unberührt, aufgeschlagen, wie es das Zimmermädchen abends herrichtet. Der Schlafanzug lag ausgebreitet, aber unbenutzt auf dem Kopfkissen. Monsieur Hartung ist gar nicht nach Hause gekommen. Wer weiß, wohin ihn das Glück verschlagen hat?

Er fuhr den Servierwagen mit dem Frühstück vor das Bett, denn bestellt ist bestellt, deckte den kleinen Tisch am Fenster, stellte eine kleine Vase mit blaßrosa Moosröschen zwischen Marmelade und Schinkenplatte — eine Aufmerksamkeit der Hotelleitung, denn Blumen am Morgen schaffen eine Atmosphäre von Zufriedenheit und Wohlbefinden, blickte dann noch einmal auf das unberührte Bett und verließ so diskret das Appartement, als habe er Hartung in den Armen einer unbekannten Schönen aufgeweckt.

Um neun Uhr rief Fallersfeld bei Hartung an. Er ließ dreimal durchklingeln und legte dann knurrend auf.

«Das gibt es doch nicht«, sagte er.»In einer halben Stunde beginnt das Training. «Er steckte sich eine Zigarre an, rauchte vier Züge und machte sich dann auf den Weg zu Zimmer 245. Es lag auf einem anderen Gang. Fallersfeld spazierte an einer Reihe von Zimmern vorbei, deren Türen offenstanden und aus denen schon das Geräusch der Staubsauger klang, blieb dann vor Hartungs Zimmer stehen und klopfte laut an.

Keine Antwort. Fallersfeld schüttelte den Kopf, hatte weniger Skrupel als der Etagenkellner, betrat ohne weitere Anmeldung das Appartement und sah sofort den Frühstückstisch und das nicht benutzte Bett.

«Das ist neu!«sagte Fallersfeld und setzte sich auf einen der roten Plüschsessel.»Er bummelt vor dem Turnier. Himmel, muß es ihn gepackt haben. Die ganze Nacht! Junge, dich kaufe ich mir!«

Er griff zum Telefon, ließ sich mit Winkler und dann mit Schok-kemöhle verbinden, fragte, ob sie Hartung gesehen hätten, und er-fuhr, daß Hartung über Kopfschmerzen geklagt hätte und bald ins Bett wollte. Winkler sah ihn in der Hotelhalle noch mit einer eleganten Dame sprechen. Es schien, als wollte sie von ihm ein Autogramm haben.

«Aha!«rief Fallersfeld.»Meine Ahnung!«

«Ich glaube es nicht, Baron. «Winklers Stimme klang bestimmt.»Horst war in mieser Laune. Er wollte sich schlafen legen. Der hat sich gestern abend bestimmt nicht für eine Frau interessiert.«

«Aber er liegt nicht in seinem Bett! Hat die ganze Nacht nicht drin gelegen! Das Frühstück steht herum, der Kaffee ist kalt. «Fallersfeld nahm mit spitzen Fingern eine Scheibe rohen Schinken, rollte sie zusammen und schob sie in den Mund.»Ganz zart und mild gesalzen.«

«Was?«fragte Winkler entgeistert.»Die Frau?«

«Der Schinken, Hans-Günther. Solltest du mal probieren.«

«Was ist mit Horst?«

«Weiß ich es? Er ist weg! Irgendwo in diesem schönen Paris wird er in einem nach Parfüm duftenden Weiberbett liegen.«

«Glauben Sie das, Baron?«

«Wo soll er sonst sein? Hier hat er jedenfalls mit Sicherheit nicht geschlafen.«

«Vielleicht ist wieder irgend etwas mit Laska los, und er hat im Stall übernachtet.«

«Das werden wir bald wissen. «Fallersfeld legte auf. Er seufzte, aß noch eine Scheibe Schinken und trank einen Schluck kalten Kaffee.»Laska«, sagte er gedehnt.»Dieser Name ist jedesmal wie ein Hammerschlag auf meinen Kopf. Natürlich ist wieder was mit Laska passiert.«

Aber das war ein Irrtum. Als die deutsche Equipe nach dem Frühstück auf dem für den >Prix Rothschild< hergerichteten neuen Turnierplatz im Park von Saint-Cloud erschien, waren alle Pferde bereits bei der Morgenarbeit. Romanowski ritt Laska wie immer etwas abseits von den anderen Pferden in allen Gangarten durch, lok-kerte sie und übte ein paarmal das Herumreißen während des Galopps. Hartung nannte es schlicht >fliegende Wende<, eine Spezialität von Laska, die beim Stechen immer wertvolle Zehntelsekunden damit herausholte.

Fallersfeld schob die Sportmütze in den Nacken. Sein rundes Gesicht war ratlos.»Fehlanzeige, Jungs«, sagte er. Zum erstenmal klang seine Stimme bedrückt.»Laska ist in Hochform, und Hartung ist verschollen! Mit dem Zug um 10 Uhr 27 trifft Angela auf dem Gare du Nord ein. Ich weiß, ich weiß, ihr habt jede Menge Ausreden parat und könnt Horst mit Alibis eindecken, aber Angela ist hellhörig für Lügen. Sie merkt alles, sie sieht es ihm einfach an. Und wenn er sich dreimal heiß badet, sie riecht das fremde Parfüm. «Fallersfeld winkte mit beiden Armen.»Pedro!«

Romanowski ritt im Arbeitstrab heran und ließ Laska vier Schritte vor Fallersfeld stehen. Die beiden haßten sich, es gab dafür keine Erklärung. Wer kann in eine Pferdeseele blicken? Romanowski hatte die Zügel fest in der Hand, die Ohren Laskas zuckten hin und her.

«Herr Baron?«

«Wo ist Hartung?«

«Weeß ick det? Ick denke, Se bringen ihn mit?«

«War er gestern noch spät abends im Stall?«

«Nee, Herr Baron.«

«Sie haben ihn nicht mehr gesehen?«

«Nich 'n Fatz von ihm.«

«Merkwürdig. «Fallersfeld wandte sich ab. Er schob die Unterlippe vor und dachte angestrengt nach. Es war das erstemal, daß Hartung unpünktlich war. Es würde auch das erstemal sein, daß er einer Frau wegen das Training versäumte. Aber alles passiert irgendwann zum erstenmal.»Wenn er um elfUhr nicht hier ist«, sagte Fallersfeld und sah auf seine Armbanduhr,»haben wir Grund, unruhig zu werden.«

Es wurde elf, es wurde halb zwölf, Horst Hartung tauchte nicht wieder auf. Das Bewegungstraining war längst vorüber, die Pferde wurden gestriegelt und gefüttert, die Reiter standen am Rand des Parcours und sahen dem Aufbau der Hindernisse zu. Bei den Italienern wurde gefeiert, ein Sektkorken knallte, irgend jemand hatte Geburtstag. Die Engländer saßen abseits und hörten sich einen Vortrag ihres Trainers an. Die Schweden waren schon zu ihrem Hotel gefahren. Die Russen standen am Parcours und fotografierten die Hindernisse.

«Es ist etwas passiert«, sagte Fallersfeld. Seine Stimme klang brüchig.»So schön kann eine Frau gar nicht sein, daß Horst nicht mehr an seine Laska denkt. Mein Gott, wenn er doch noch ausgegangen und auf dem Montmartre schweren Jungs oder was weiß ich in die Hände gefallen ist! Jede Nacht werden erlebnishungrige Fremde niedergeschlagen und beraubt. Hamburg, London, New York oder Paris, in dieser Beziehung ist es überall dasselbe!«Fallersfeld sah sich im Kreise seiner Reiter um.»Polizei? Was meint ihr?«

Von den Ställen kam Romanowski gelaufen. Schon von weitem schrie er:»Nischt, Herr Baron. Im Hotel ist er nich! Aba er muß dajewesen sein.«

«Was sagen Sie da?«rief Fallersfeld.»Er war im Hotel?«

«In seinem Zimmer. Ick hab den Etagenkellner am Telefon je-sprochen. >War in Zimmär<, sagt er. >Hat gegessen zwei Scheiben Schinken.< Aba jesehen hat ihn keener.«

Fallersfeld verzog das Gesicht, nickte und wandte sich ab. Über den fehlenden Schinken gab er keine Erklärung ab. Das kann man den Ermittlungsbeamten immer noch stecken, dachte er. Polizei! Es bleibt uns keine andere Wahl. Horst Hartung ist in Paris verschollen.

Inspektor Jacques Labois nahm die Ermittlungen und Verhöre so diskret wie möglich auf. Er betrachtete kurz das unberührte Bett, hörte geduldig zu, wie Fallersfeld seinen Reiterstar Hartung als einen überkorrekten, pflichtbewußten, immer pünktlichen Menschen schilderte, dem es nie in den Sinn käme.

«Bon, tres bien«, sagte Inspektor Labois.»Ein vollkommener Mensch ohne Fehler, den gibt es nicht. «Er sprach französisch mit Fallersfeld, denn der Baron beherrschte die Sprache, als sei er irgendwo an der Loire geboren.»Monsieur le Baron, denken wir zuerst daran, daß Monsieur Hartung einen Parisbummel machte.«

«Er kennt Paris. Er braucht nicht mehr zu bummeln! Und Montmartre interessiert ihn nur kunstgeschichtlich. Paris als Stadt der Liebe ist für ihn nicht existent.«

«Als Mann?«Labois lächelte milde.»Na, na.«

«Nicht na, na, Inspektor. Hartung ist verlobt, glücklich, seine Braut ist jung und hübsch.«