Das war zwar übertrieben, aber eines stimmte: H.H. war der eisernste Junggeselle zwischen Hamburg und Münster. Warum — darüber sprach er nicht. Im Wirtshaus hatte man versucht, seinen Pferdepfleger und Vertrauten Pedro Romanowski auszuhorchen, aber Romanowski, Ostpreuße, in Berlin aufgewachsen, starrte nur dumpf ins Glas, sagte:»Leckt mich. «und schwieg wieder. Aber soviel bekam man doch heraus: Irgendwann einmal war Horst Hartung verlobt gewesen, eine Komteß soll es sogar gewesen sein, aber die große Liebe zerbrach an den Pferden. Immer unterwegs, immer Turniere, immer nur Pokale sammeln, Ruhm und Anerkennung, das war zuviel gewesen. Eine junge Frau will geliebt werden, aber nicht immer nur ihren Geliebten im Sattel sehen, zwar mit Siegeslorbeeren umkränzt, doch weit von ihrem Bett. Seitdem ging H.H. den Frauen nicht aus dem Weg, aber er umgab sein Herz mit einem undurchdringlichen Panzer.
Das hatte Romanowski nach vielen Wirtshausbesuchen langsam von sich gegeben. Überhaupt Pedro Romanowski — von ihm wird noch eine Menge zu erzählen sein.
Die Zigeunerpferdchen machten eine Pause. Die Reiter, meistens halbwüchsige Jungen, stiegen ab, die schöne, glutäugige Siffa zeigte noch ein Kunststück: Sie sprang auf den Rücken einer goldschimmernden Stute, breitete die Arme aus und ließ sich zweimal um die Manege tragen. Dann sprang sie mit einem einfachen Salto auf den Boden.
Horst Hartung beobachtete mit zusammengekniffenen Augen nicht die verführerische Siffa, bei der man beim Salto ein gut Teil ihrer festen Brüste sehen konnte, sondern die goldschimmernde Stute.
Sie hatte einen schönen, ebenmäßigen Kopf mit einer leichten Rammsnase, große, braune, ausdrucksvolle Augen, einen wunderbaren gebogenen Hals beim Trab, einen selten anmutigen stechenden Schritt und eine so kräftige Hinterhand, daß Hartung dachte: Damit müßte sie über die Hindernisse fliegen, als gäbe es gar keine Höhen und Weiten.
Er stieß sich von der Wohnwagenwand ab, trat näher an das Stall-zelt heran und steckte die Hände in die Taschen seiner Reithosen.
Die goldschimmernde Stute gab eine Sondervorstellung. Sie stellte sich auf die Hinterhand, tanzte nach einer Tonbandmusik durch den Sand und wieherte laut. Aber das war kein einstudiertes Wiehern, sondern ein hoffnungsloser, verzweifelter Protest. Hartung verstand ihn sofort, er sah die Augen der Stute, die Stellung der Ohren, die Haltung des Halses, die Beine stampften im Sand, die Vorderhufe schlugen durch die Nachtluft, die Peitsche Zugan Kaimans knallte, und das Pferd tanzte, um sein Futter zu verdienen, es wieherte seinen Protest hinaus, und alle, die ihn hörten, klatschten Beifall, weil es >so schön< klang.
Dann war die Vorstellung zu Ende. Die Zuschauer gingen zurück nach Barsfeld, die meisten in das Wirtshaus >Zur Eiche<, denn Zuschauen macht durstig. Die Frauen umlagerten die Verkaufsstände, das eigentliche Geschäft begann zu laufen. Nur vier junge Burschen hielten aus, sie drückten sich in der Nähe des Wohnwagens herum, in dem die schöne Siffa wohnte. Erst als Geza Bodvany erschien, ein Bulle von Zigeuner, mit den Händen wedelte und» Weg! Weg!«sagte, verschwanden auch sie in Richtung Barsfeld.
Zugan Kaiman betrachtete nachdenklich den Mann in Reitkleidung, der neben dem Pferdezelt stand und keine Anstalten machte, wegzugehen. Drei Pferde waren schon im Zelt angepflockt, nur die goldschimmernde Stute blieb noch in der Bahn. Sie lief jetzt an einer Longe im Kreis, und es war ein anderes Laufen als während der Zirkusvorstellung. Hier entfaltete sich Temperament, lief sich die ungenützte Kraft müde.
Zugan ließ die Longe fallen und kam auf Hartung zu. Die Stute, befreit von allem Zwang, begann zu galoppieren. Ein herrlicher Galopp, kraftvoll, ein Spiel der Muskeln, eine Lebenslust, die ansteckte.
«Schönes Pferdchen, was?«sagte Zugan und schnalzte mit der Zunge.»Ist echtes Araber.«
«Lügen Sie nicht. «Hartung lächelte breit.»Die Stute ist ein Hannoveraner mit einem Schuß Holsteiner.«
«Oh!«Zugan Kaiman rollte die schwarzen Augen und klemmte die lange Peitsche unter den Arm.»Sie verstehen Zucht von Pferde?«
«Ich züchte selbst. Woher haben Sie die Stute?«
«Ist gekommen aus Spanien von bestes Freund, der ist großes Pferdekenner.«
«Und das soll ich Ihnen glauben?«
«Warum nicht?«Kaiman lächelte. Sein zerknittertes braunes Gesicht mit dem dünnen Bärtchen auf der Oberlippe verzog sich und wurde fast schön.»Wissen Sie anderes?«
«Natürlich nicht. Wie alt ist die Stute?«
«Fünf Jahre. Ehrlich.«
«Das wiederum glaube ich Ihnen unbesehen. Darf ich einmal in die Bahn? Ich möchte sie näher kennenlernen.«
«Sie wird Sie umrennen, Herr!«Zugan legte dramatisch beide Hände an die schwarzen Haare.»Ein wildes Vieh ist sie. Rennt Sie einfach um!«
Hartung schüttelte den Kopf. Er trat aus der Dunkelheit des Zeltes in die kümmerliche Manege und blieb in der Mitte stehen. Er tat nichts, er stand nur da und beobachtete das Pferd, das um ihn herumgaloppierte.
Die Stute blickte zu ihm hin. Ihre großen braunen Augen musterten ihn, während des Galoppierens drehte sie den Kopf nach ihm, als wolle sie sagen: Nun sieh mich an. Bin ich nicht schön? Ist mein Tritt nicht voller Kraft? Und beachte, wie ich meinen Hals halte! Sie wieherte, und diesmal klang es anders, lockender, befreiter.
Die goldschimmernde Stute blieb plötzlich stehen. Ihr Fell dampfte in der Nachtluft, glänzte wie Seide und war wie mit rötlichem Gold überpudert. Hartung streckte die rechte Hand aus. Das Pferd nickte und kam langsam näher. Drei Schritte vor dem fremden Menschen blieb es stehen und sah ihn an, die Ohren weit zurückgelegt.
«Weg!«schrie Zugan Kaiman und hüpfte auf beiden Beinen.»Weg, Herr, ein Teufel ist sie! Gleich kommt sie!«
Und die Stute kam wirklich. Nur galoppierte sie nicht auf den
Mann, sondern machte fast zierlich die letzten drei Schritte vorwärts, hob den herrlichen Kopf und legte ihn Hartung dann auf die Schulter. Die heiße Luft aus ihren Nüstern blies ihm in den Nacken, der Schweiß des goldenen Felles näßte seine Wange.
Hartung griff in die Rocktasche, holte eine Mohrrübe heraus und hielt sie hoch. Mit weichem Maul nahm die Stute den Leckerbissen und begann zu kauen. Ihre Augen sahen dabei Hartung mit fast menschlicher Dankbarkeit an.
«So ein Aas!«schrie Zugan Kaiman vom Zelt.»So ein Schauspieler. Mein Herr, gehen Sie weg! Sie versauen mir mein bestes Pferd.«
Hartung und die Stute blickten sich stumm an. Nur wer Pferde kennt und liebt, wer ihre Seele erforscht hat und weiß, daß auch sie zu Empfindungen fähig sind, nur wer wie die Araber in einem Pferd eine Gnade Allahs sehen und behaupten kann: Aus der Sonne, ihr Götter, habt ihr ein Pferd gemacht! — nur der kann verstehen, was in diesen Sekunden zwischen Hartung und der goldschimmernden Stute vorging.
Es war Liebe auf den ersten Blick, es war ein stummer Bund fürs Leben.
«Was kostet sie?«fragte Hartung und legte beide Hände um die weichen Nüstern. Zärtlich leckte ihm die Stute die Handflächen.
«Kostet?«Zugan Kaiman rannte wie ein Irrer in die Manege.»Unverkäuflich! Mein Broterwerb ist sie. Was soll ich ohne sie?«
«Nennen Sie einen Preis!«
«Sie ist wert soviel wie hundert andere normale Pferde.«
«Sie ist soviel wert wie ein Pferd.«
«Sie kann tanzen, im Walzertakt, Foxtrott, Samba, Cha-Cha-Cha!«
«Sie soll bei mir leben wie ein Pferd.«
Zugan Kaiman verdrehte die Augen, als würge ihn jemand.»Fünftausend«, sagte er heiser.»Und mein Herz bricht dabei.«
«Zweitausend. Und Ihr Herz jubelt.«
«Soll ich mich selbst umbringen?«brüllte Kaiman.»Soll ich mich jedesmal, wenn ich in einen Spiegel schaue, anspucken? Viertausend, und ich weine sechs Wochen lang.«
«Dreitausend! Auf die Hand. Und Sie lachen ein ganzes Jahr.«