Elise de Bericourt war vom Mittagessen in Paris zurückgekommen.
Sie hatte den roten Sportwagen vor die Treppe gefahren, war ins Schloß gelaufen, als werde sie verfolgt, und stürzte nun in eines der großen Schlafzimmer im ersten Stockwerk. Ein Raum mit schweren Portieren, geschnitzten und goldverzierten Decken, einem riesigen Himmelbett auf einem Podest, venezianischen Spiegeln an den seidenbespannten Wänden. Ein erdrückender Prunk.
Elise warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich an das geschnitzte Holz.»Sie suchen dich«, sagte sie triumphierend.»Diese Aufregung! Inspektor Labois will Rundfunk, Fernsehen, Presse und Plakate einsetzen! Ganz Paris wird dich suchen! Aber hierher werden sie nicht kommen. Ich habe mit Labois gesprochen. Eine Bericourt verdächtigt man nicht.«
Horst Hartung saß auf dem prunkvollen Bett, die Beine angezogen, neben sich einen Servierwagen mit Sandwiches und Gebäck und Flaschen mit Mineralwasser, Kognak, Whisky, Wein und Likör. Er hatte nichts angerührt, betrachtete jetzt mit auf die Hand gestütztem Kopf Elise wie einen exotischen Vogel und wartete auf weitere Berichte. Elise lachte dunkel, knöpfte das Kleid auf und begann, sich auszuziehen.
«Sie sind verrückt, Gräfin«, sagte Hartung. Er sprang auf und ging zum Fenster. Wundervolle schmiedeeiserne Gitter verhinderten einen Einbruch — aber auch eine Flucht. Der Blick über den Park war paradiesisch — der Teich mit den Schwänen, die Goldfasane, die Zypressen und Oleanderbüsche. Hartung seufzte und wandte sich wieder um. Elise stand völlig unbekleidet hinter ihm, ein vollendeter Frauenkörper.»Verzeihen Sie, aber ich finde kein anderes Wort dafür. Denken Sie nicht an den Skandal, wenn das alles herauskommt! Eine Frau entführt einen Mann!«
«Weil ich dich liebe!«
«Und das berechtigt Sie, mich einfach zu kidnappen?«
«Du bist sofort ein freier Mensch, wenn du mich geliebt hast. «Sie drehte sich vor ihm. Das Sonnenlicht schimmerte auf ihrer Haut. Ein lautloser Tanz, in dem jeder Schritt, jede Bewegung der Arme, der Beine, des Kopfes und des Rumpfes eine einzige Verlockung dar-stellte. Die großen braunen Augen waren weit geöffnet, glänzten feucht.
«Bin ich so häßlich?«fragte sie. Ihre Stimme klang heiser.
«Ich habe eine ganze Nacht lang versucht, Ihnen zu erklären, warum ein Abenteuer zwischen uns zur Katastrophe werden muß. Sie wollen es nicht einsehen, sperren mich ein, als lebten wir im Mittelalter, was versprechen Sie sich eigentlich davon?«
«Ich lasse mich nicht beleidigen!«
«Beleidigen?«Hartung starrte sie ungläubig an.
«Ich stehe nackt vor dir, und du siehst mich an wie ein Stück Holz. Ohne Regung, ohne Gefühl, ohne ein Blitzen in deinen Augen, als hättest du da drinnen kein Herz, kein Herz, nur einen Klotz — einen widerlichen, verrostenden Eisenklotz!«Sie trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. Ihr nackter Körper war jetzt ganz nahe bei ihm, er brauchte ihn nur zu umfassen, an sich zu drücken, die samtweiche Haut zu streicheln, die bebenden Lippen zu küssen, und wenn er sie auf seine Arme nahm und zum Bett trug, wenn er Liebe heuchelte, ihr Erfüllung schenkte — was folgte dann?
Das Ringen um den Besitz, der Anspruch auf ihn, der Stolz der Siegerin, der Kampfgegen Angela und am Ende das Drama des Auseinandergehens.
Sie preßte sich an ihn. Ihre Brüste waren hart, und als er die Hand auf ihren Rücken legte, spürte er die Spannung ihrer Muskeln.
«Bist du kein Mensch?«flüsterte sie.»Bin ich keine Frau? Fühlst du es nicht?«Plötzlich ergriff sie seine Hand, führte sie über ihre glatte kühle Haut, von den Brüsten bis zum Schoß. Sie dehnte sich wohlig, wand sich, stöhnte.
«Du weißt nicht, wie gemein du bist«, stammelte sie.»Stehst da wie ein Stück Eisen! Ich möchte dich umbringen, hätte ich nur die Kraft, dich zu erwürgen!«
Hartung hob Elise hoch, trug sie zum Bett und ließ sie auf die Decken fallen. Sie zuckte, zerfetzte ein Kissen und warf schreiend die Federn in die Luft. Dann lag sie reglos da und ließ sich von dem Daunenregen zudecken.
«Vorbei?«fragte Hartung, nüchtern wie ein Arzt, der den Anfall einer Patientin beobachtet hat.»Können wir jetzt vernünftig miteinander reden?«
«Nein. Du bleibst bei mir, solange ich will.«
«Das ist doch Wahnsinn!«Hartung schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.»Sie können mich doch nicht tagelang.«
«Tagelang?«Sie hob den Kopf.»Ein ganzes Leben lang!«
«Gräfin — «
«Komm her und liebe mich.«
«Mir ist jetzt endgültig klar, daß alles Reden sinnlos ist. «Hartung blickte sich um. Das Fenster vergittert, die Tür aus schwerem, massivem Holz. Ein Gefängnis aus venezianischen Spiegeln, Marmorboden und einem riesigen Bett. Elise beobachtete ihn und streute spielerisch die Federn über ihren Körper.
«Kein Ausgang«, sagte sie.»Und um uns herum Einsamkeit. Wir sind die einzigen Menschen auf dieser Welt.«
«Morgen um 14 Uhr muß ich auf dem Parcours sein.«
«Du bleibst hier!«
«Ich werde die Tür aufbrechen!«
«Mit bloßen Händen? Bist du Samson?«
«Gräfin, ein letzter Versuch. Ich bitte Sie, vernünftig zu sein.«
«Liebe mich!«
Es hat keinen Zweck, dachte Hartung. Wozu noch reden? Der einzige Weg aus diesem Zimmer führt durch die Tür. Aber sie ist abgeschlossen, den Schlüssel hat sie in der Tasche ihres Kleides.
Mit einem Sprung war er an der Tür, wo auf dem Boden Elises Kleider lagen. Aber sie erkannte seine Absicht, sprang aus dem Bett, erreichte Hartung nicht mehr, warf sich vor die Tür und riß von der Wand ein langes ziseliertes Damaszenerschwert.
«Dieses Schwert hat eine Geschichte«, sagte sie leise.»Jean de Be-ricourt brachte es als Kreuzritter aus dem Orient mit. Der Henker in Caesarea hieb damit allen Christen die Köpfe ab. Die Klinge ist so scharf, daß sie Seidenpapier schneidet! Willst du's sehen?«
Sie schleuderte mit dem Fuß ihr Unterkleid durch die Luft, führte einen Schwertstreich — ein Zischen, und das Hemd fiel in zwei Hälften auf den Marmorboden zurück.
«Was ist dagegen ein Hals«, sagte sie tonlos.
«Sie würden wirklich zuschlagen?«fragte Hartung ungläubig.
«Ohne Zögern! Du beleidigst mich jede Sekunde, in der du ruhig vor mir stehen kannst!«
«Sie werden nicht zuschlagen. Nein, das können Sie nicht. «Hartung schüttelte den Kopf und kam langsam näher. Elise hob wieder das Schwert.»Seien Sie vernünftig, Elise! Schließen Sie die Tür auf!«
«Bleib stehen, mein Gott, bleib stehen!«Elise preßte die Lippen zusammen. In ihren Augen war eine Härte, die Hartung zögern ließ. Noch einen Schritt, dann kam er in den Bereich der Waffe. Ein weiterer Schritt konnte den Tod bedeuten.»Bleib stehen!«schrie Elise. Die Klinge fuhr hoch, jeder Muskel des nackten Körpers war gespannt.
Hartung war nie ein Feigling gewesen. Was das Leben bisher von ihm gefordert hatte, war er angegangen, mutig, seine Chancen abwägend, direkt oder diplomatisch. Er hatte nie gekniffen. Er war nur ausgewichen, wo es die Klugheit befahl, um dann später um so energischer voranzugehen. Ein Gefühl von Angst hatte er nur dreimal erlebt — auf dem großen Treck von Ostpreußen nach dem Westen, verfolgt von sowjetischen Panzerkolonnen, ein kleiner Junge, der zusehen mußte, wie alte Männer und Frauen im Straßengraben erfroren. Zum zweitenmal überfiel ihn die Angst, als er während eines Urlaubes in Dalmatien an der felsigen Küste nach alten Amphoren tauchte und ein scharfer Stein seinen Atemschlauch zerriß. In den Sekunden, bis er die Meeresoberfläche wieder erreichte, hatte er alle Qualen der Verzweiflung durchgemacht. Das drittemal erwischte es ihn mitten in Berlin, auf der Joachimsthalerstraße, an einem trüben Regentag. Ein Lastwagen kam ins Schleudern, rutschte aufihn zu, und er war von dem Anblick des auf ihn zuschlitternden Ungetüms so gelähmt, daß er sich nicht rühren konnte und das Bewußtsein, gleich zermalmt zu werden, jeden Gedanken auslöschte.