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«Was wiederum beweist, daß er nicht die Absicht hatte, bummeln zu gehen. Er blieb im Hotel, wollte ja früh ins Bett.«

«Und hat das Bett nicht erreicht! Zum Verrücktwerden ist das!«

«Dann muß er nach dem Gesetz der Logik noch im Hotel sein!«

«Logik! Im Hotel kann doch keiner verschwinden! Jetzt sag bloß noch, der große Unbekannte hat ihn versteckt.«

«Die Zimmermädchen?«

«Kannst du dir vorstellen, daß Hartung zwei Tage in der Kammer eines Zimmermädchens bleibt und alles um sich herum vergißt? Es sei denn, er ist verrückt geworden. Außerdem hat Labois schon längst alle Angestelltenzimmer kontrolliert. Diese blöde Idee hatte er nämlich auch. «Fallersfeld schob plötzlich die Mütze korrekt zurecht und straffte sich. Verwundert folgte Winkler seinem Blick. Ein knallroter Sportwagen fuhr langsam zum Abreiteplatz. Ein breiter weißer Hut leuchtete hinter der Windschutzscheibe.

«Oha!«sagte Winkler und lächelte breit.»Besuch.«

«Eine Gräfin. «Fallersfeld fuhr sich schnell mit beiden Zeigefingern über die Augenbrauen.»Hartung hat zuletzt mit ihr gesprochen.«

«Sieh an, sieh an!«

«Keine dummen Bemerkungen, Hans-Günther. Ein Autogramm wollte sie. Du hast es doch selbst beobachtet.«

«Ach, die ist das?«Winkler blinzelte Fallersfeld zu.»Ich gehe zu Angela.«

«Mein Gott, Angela! Wo ist sie? Wie trägt sie es?«

«Tapfer. Sie sitzt im Stall und wartet.«

«Und weint.«

«Keine Träne. So wenig sie sich leiden mögen, im Grunde sind sie sich ähnlich, Laska und Angela. Sie haben unerschütterliches Vertrauen zu ihrem Herrn. Sie glauben einfach an kein Verbrechen. Und Romanowski, das ist der reine Holzklotz.«

Es war, als habe Romanowski das gehört. Er ritt auf Laska im leichten Trab heran, hielt und nahm seine Sportmütze ab, als bedanke er sich auf dem Parcours bei den Zuschauern. Fallersfeld schielte zu ihm hoch.»Na, Pedro?«

«Kann ick mit ihnen reden, Herr Baron?«

«Immer.«

«Lassen Sie mir reiten, Herr Baron.«

«Das tust du doch.«

«Für Herrchen auf dem Parcours.«

«Wohl durchgedreht, was?«

«Laska pariert mir und sonst keenem. Und wie se loofen kann, det haben Sie ja jesehen. Wenn ick mir in 'n roten Rock zwänge, ick jlobe, heute schaff ick es ooch. Det wäre die beste Lösung.«

«Und in Pulvermanns Graben liegste im Dreck, was?«

Romanowski ritt beleidigt weiter. Pulvermanns Graben — das war ein dunkler Punkt in seinem Reiterleben. Ein einziges Mal hatte er mit Laska eine Übungsrunde ganz durchgesprungen. In Ludwigsburg. Bei Pulvermanns Graben schoß er über Laskas Hals hinaus in den Sand und brach sich zwei Rippen an. Das Beschämendste aber war, daß Laska stehenblieb, umkehrte, ihn mit der Schnauze anstieß und triumphierend wieherte.

Der rote Sportwagen hielt mit leise quietschenden Bremsen. Fallersfeld riß die Mütze herunter, ließ seine weißen Haare im Wind wehen — er wußte, wie attraktiv das auf Frauen wirkte — und ging mit festen Reiterschritten auf den Wagen zu. Elise de Bericourt winkte mit beiden Händen und zeigte dann auf die Pferde im Abreite-viereck.

«Wo ist Laska?«rief sie. Ihre dunkle Stimme kam Fallersfeld wie Samt vor. Schwarzer Samt, nein, roter Samt, tiefroter Samt.

«Dort. Das goldrote Pferd. Pedro, das ist Hartungs Bereiter, steigt gerade ab. «Fallersfeld beugte sich über eine lange, kräftige Hand und küßte sie. Elise nahm es gar nicht wahr, sie blickte hinüber zu Laska. Ihre Lippen schoben sich vor.

«Wer ist das Mädchen, das jetzt bei ihr steht?«

Fallersfeld war es eine Freude, darauf zu antworten.»Angela Die-pholt, die Verlobte Hartungs.«

«Ach, er ist verlobt?«

«Seit Jahren. Nur vor der Heirat reitet er immer davon. «Fallersfeld lachte ausgiebig über dieses Bonmot.»Vor zwei Jahren war es fast soweit, wir putzten uns schon die Stiefel für die Kirche, da entdeckte er Laska. Bums, war alles wieder vorbei. Kein Ehrenspalier. Jetzt hat er nur noch Zeit für Laska.«

«Kann ich mir das Pferd näher ansehen?«

«Aber ja, Gräfin.«

«Ganz nah?«

«Warum nicht?«Fallersfeld führte Elise hinüber zu den Stallungen. Es waren Zelte, die man auf dem Rasen des Parks von Saint-Cloud für das Turnier aufgeschlagen hatte.

Das also ist sie, dachte Elise, je näher sie Angela und Laska kamen. Laska und Angela, meine großen Rivalen. So schön wie ich bist du nicht, Angela. Derber, bäuerlicher, germanisch. Dir fehlt das Fluidum, der südliche Himmel, die Sonne. Meine Haut ist gepflegter, meine Brüste voller, meine Beine schlanker. Sieh dir meine Fesseln an. Mein Gang, meine Haltung, mein Temperament, meine Lebenslust. - Was hast du dagegen? Einen seelenvollen Blick. Wollen Männer so etwas? Du hast verloren, meine kleine Angela. Männer sind Eroberer, Forscher, Abenteurer — ich kann ihnen alles geben: Neuland, Wildnis und Kampf.

Und du, Laska? Von Pferden verstehe ich nicht viel, nur, daß man sie reiten kann und daß sie einen Sattel tragen. Bist du ein schönes Pferd? Ich weiß es nicht. Bist du ein kluges Pferd? Gibt es das? Pferde sind dumm, sagt man. Ihr Kopf ist größer als ihr Verstand. Wie kann man eine Frau wie mich gegen dich eintauschen? Gegen ein Tier! Sie hob die Hand und streichelte Laska über die weichen Nüstern. Fallersfeld kam zu spät, das zu verhindern. Er riß ihr den Arm zurück, als sie Laska schon berührt hatte.

Laskas Kopf zuckte hoch. Die großen Augen wurden starr, die Ohren legten sich an, als seien sie plötzlich mit dem Fell verwachsen.

«Festhalten!«brüllte Romanowski, der mit dem Halfter aus dem Zelt kam.»Zur Seite! Weg!«

Elise de Bericourt spürte, wie Fallersfeld sie packte und wegriß. Im gleichen Augenblick stieg Laska hoch und schlug mit den Vorderhufen zu. Hätte Elise noch auf ihrem Platz gestanden, wäre der Huftritt ihr Ende gewesen.

Pedro war noch zu weit entfernt, um einzugreifen, Fallersfeld zerrte die Gräfin zum Auto, die deutschen Reiter waren verteilt über den Abreiteplatz. Grell wiehernd, den Kopf hochgereckt, setzte Laska zum Lauf an.»Olles Aas!«brüllte Romanowski.»Biste varrückt geworden?«

Ein Ruf, der bisher immer gewirkt hatte. Sagte Pedro >olles Aas<, blieb Laska stehen und wartete erst einmal ab. Aber heute war etwas stärker — ein Geruch, eine Ahnung, eine geheimnisvolle, unerklärliche Kraft. Laska riß sich aus den Zügeln, die Angela umklammerte, los und galoppierte auf den kleinen Wagen zu.

Fallersfeld, mit Pferden aufgewachsen, überblickte sofort die heranbrausende Katastrophe. Niemand hielt Laska mehr auf, es sei denn, man mußte sie erschießen. Aber selbst dazu war keine Zeit mehr. Er warf Elise fast in ihren offenen Wagen und schrie ihr zu:»Starten Sie! Weg! Sie sind schneller!«

Elise de Bericourt zögerte eine Sekunde, und diese Sekunde fehlte ihr. Laska erreichte den roten Wagen, als er anfuhr, aber es genügte noch zu einem Zusammenprall. Er war so heftig, daß das Heck herumschleuderte. Elise gab Vollgas und raste davon. In ihrem Gesicht stand panisches Entsetzen.

Fallersfeld lag auf dem Boden und hielt die Arme schützend über den Kopf gelegt. Aber um Fallersfeld kümmerte sich Laska nicht, sie starrte dem roten Wagen nach, den Kopf hochgeworfen und schnuppernd, jeder Nerv vibrierte. Angela erreichte sie im letzten Moment. Sie konnte noch aufspringen, klammerte sich am Sattel fest und wurde dann mitgerissen in einem Galopp, wie ihn Laska noch nie gelaufen war.

«Seit wann wird sie denn bei Rot wild?«brüllte Fallersfeld, noch immer auf der Erde liegend.»Ist sie mit einem Bullen gekreuzt? Ihr nach! Fangt sie ein! Angela wird sich den Hals brechen!«

Laska galoppierte. Aus dem anfänglichen harten Schritt wurde ein weiches, kräftesparendes Vorwärtsschnellen. Unter ihren Hufen wirbelte der Sand hoch, später ganze Ballen Grasnarben, als sie quer durch den Park raste, gelenkt von Angela, die damit dem roten Wagen den Weg abschneiden wollte.