«Du weißt, wo Herrchen ist«, sagte Angela und umklammerte den Hals des Pferdes. Sie beugte sich zu den anliegenden Ohren und küßte sie.»Hast du ihn gerochen? Nein, du bist kein Hund, ein Pferd hat keine Witterung, sagt man. Aber du hast Herrchen entdeckt. Lauf, mein Mädchen, lauf, sie entkommt uns nicht!«
Es war, als strecke Laska sich. Erwachte die Erinnerung an die Zigeuner? Weite Koppeln, ein unendlicher Himmel, man flog mit den Schwalben um die Wette.
Im Rückspiegel sah Elise, wie das Pferd sie verfolgte. Eine wilde Angst überfiel sie. Das ist nicht möglich. Ein Pferd kann nicht riechen. Ein Pferd hat keinen Verstand. Aber es verfolgt mich.
Sie trat den Gashebel durch, schleuderte auf die Chaussee von Sevres, der Wind riß ihr den Hut vom Kopf, sie beugte sich tief über das Steuerrad und lachte hysterisch.
170 km. Kann ein Pferd so schnell laufen? Bevor es das Schloß erreichte, war Hartung längst abtransportiert. Nach Verrieres, in ein stilles, mitten im Wald gelegenes Jagdhaus.
Der rote Punkt auf der Chaussee wurde immer kleiner. Laska rannte mit donnernden Hufen, Funken sprühten aus dem Asphalt. Vergeblich versuchte Angela, sie zu zügeln. Ihre Beine, dachte sie, ihre wertvollen Beine. Nach dieser wahnsinnigen Jagd über die Chaussee wird sie nie wieder springen können. Ihre Gelenke werden anschwellen wie Ballons. Auf dieser Chaussee stirbt das Wunderpferd Laska.
Elise atmete auf. Sie war allein auf der Straße. Laska war abgehängt, mit jeder Minute vergrößerte sich der Abstand, gewann Elise das ungleiche Rennen. Sie machte schon wieder Pläne. Antibes — die kleine weiße Villa am Mittelmeer. Ererbt von ihrer Mutter, das war ein Liebesnest, wo niemand sie aufstöbern würde. Ein Adlerhorst in den Felsen mit einem Schwimmbecken, in das jeden Tag frisches Meerwasser gepumpt wurde.
Lastwagen kamen ihr entgegen, flogen an ihr vorbei wie Schemen. Schneller, schneller — es geht um Minuten. Hartung muß fort sein, wenn sie das Schloß erreicht. Keiner hat ihn gesehen, keiner. Sie hat nur ein Pferd — ich habe 180 unter der Motorhaube.
Aber Elise blieb nicht lange allein. Eine große schwarze Limousine überholte sie, rauschte an ihr vorbei und verschwand langsam vor ihr im welligen Gelände. Drei unbekannte Männer saßen darin, der vierte, den Elise kennen mußte, hatte den Kopf eingezogen und sich hinter der breiten Schulter seines Nebenmannes versteckt. Wie erwartet warf sie den Kopf herum, als der schwere Wagen sie überholte, aber da es keine Personen vom Turnierplatz waren — die waren anders gekleidet —, wandte sie sich wieder der Straße zu.
Labois setzte sich wieder hoch, als sie Elise aus dem Rückspiegel verloren hatten.»Wer hätte das gedacht?«sagte er kopfschüttelnd.»Man soll die Dame nicht vor dem nächsten Morgen loben!«
Es war alles ziemlich schnell gegangen. Labois hatte mit seinen Leuten gerade den Turnierplatz erreicht, als Laska auf den kleinen roten Wagen sprang und Elise de Bericourt flüchtete. Einer Eingebung folgend, hatte Labois gerufen:»Dem roten Bonbon nach! Lassen Sie das Pferd in Ruhe, das ist mein bester Detektiv!«Dann war die wilde Jagd in vollem Gange, und Labois hielt dabei einen Vortrag über das Seelenleben der Pferde. Es war erstaunlich, was er darüber wußte, denn er hatte nie eine Stunde geritten und außerdem Angst vor Pferden.
Der kleine rote Wagen schleuderte in die Auffahrt von Schloß Be-ricourt, durchraste den Weg bis zur großen Freitreppe und stoppte dort mit kreischenden Bremsen.
Die große schwarze Limousine wartete bereits. Vier Männer standen davor und zogen höflich die Hüte wie bei einem Begräbnis, wenn der Sarg herankommt. Elise erkannte Inspektor Labois sofort.
«Madame«, sagte er mit allem pariserischen Charme,»es gibt ein Pferd, 180 Pferdestärken und 240. Wir hatten 240 und haben gewonnen. Das Recht des Stärkeren. Wo finden wir Monsieur Hartung?«
Wortlos reichte ihm Elise den Schlüssel. Dann wandte sie sich ab, sprang wieder in ihren Wagen und brauste davon. Labois blickte ihr mit geneigtem Kopf nach.»Wem wird es je gelingen, eine Frau zu begreifen?«sagte er langsam. -»Oder ist das gerade das Besondere an den Frauen?«
Um vierzehn Uhr neunzehn ritt Horst Hartung auf Laska zum ersten Umlauf auf dem Parcours. Laska ging etwas steifbeinig — die Chaussee mit ihrer Asphaltdecke lag ihr noch in den Gelenken.
«Oje«, sagte Fallersfeld und griff sich mit seiner typischen Geste an den Kopf.»Die ist hin! Ave, Laska!«
Sie trabte an, fiel in den Aufgalopp — steif, ganz steif, als sei sie aus Holz geschnitzt.»Ich mache die Augen zu«, stöhnte Fallersfeld.»Wer hält mir die Ohren zu?«Das erste Hindernis, ein Birkenoxer, 1 Meter 50 hoch. Laska sprang ab, streckte sich in der Luft und flog hinüber, als sei der Boden aus Gummi und habe sie abgeschnellt.
Mit vier Fehlern in 65,7 Sekunden gewann Hartung auf Laska den >Prix Rothschild< von Paris. Im zweiten Stechen, als ihm niemand mehr eine Chance gab.
Erst im Stallzelt begann Laska zu zittern. Die vier Hufgelenke schwollen an. Und Romanowski, der starke, harte, ewig knurrende Riese Romanowski, kniete vor ihr, kühlte die Füße und weinte.
«Mein olles Biest«, schluchzte er.»Du dämliches Aas, wenn se dir jetzt bloß nich schlachten. Springen kannste nich mehr, aba ick stell mir vor dir! Erst müssen se den Romanowski vor de Rübe hauen!«
«Ich sehe schwarz«, sagte Dr. Rölle vor dem Zelt.»Hartung, ich brauche Ihnen nichts über Pferde zu erzählen. Hält das, was Las-ka hinter sich hat, ein Pferd aus?!«
Hartung antwortete nicht. Er wandte sich ab und ging allein um das Zelt herum in die Dunkelheit.
Es wird heute noch behauptet, daß Hartung hinter dem Zelt gebetet hat.
Die >ehrenwerten Männer
Die Deutschen kommen«, sagte Bruno Salti und drückte auf den Knopf, der das Radio zum Schweigen brachte.»Jetzt ist es sicher! Sie landen morgen auf dem Flugplatz, fangen übermorgen ihr Training an und siegen am Sonntag beim >Grand National Cup<. Leute, es muß was geschehen. Die Deutschen werfen unser ganzes Programm durcheinander. Erst hieß es, sie kommen nicht. Dann wieder, sie kommen doch! Vor drei Tagen — die Pferde können sich nicht so schnell akklimatisieren, das harte Turnier in Paris, der Flug, das ist eine Quälerei. Und nun sind sie doch da!«
Bruno Salti blickte aus dem riesigen Panoramafenster. Vor ihm rauschte der Pazifik, seine Wellen brachen sich an den Klippen, schäumten hoch, übergossen die Felsen mit Gischt und zerrannen dann im Geröll. Wenn die Sonne abends versank, war das Meer rot, und oft stand Salti dann an diesem Fenster und genoß mit einem prickelnden Schaudern die Illusion, Blut sprühe gegen sein Haus.
Der Gedanke war gar nicht so abwegig. Mit Blut hatte Salti sein Imperium in San Franzisko aufgebaut. Vor genau vierunddreißig Jahren war er aus Sizilien herübergekommen, ein armseliger Bauarbeiter, der in seinem Dorf Terrasole mehr Staub als Nahrung schluckte, der neun kleine Geschwister miternähren mußte und die Großeltern dazu. Da schrieb ihm Giorgio Brusco aus New York.»Komm 'rüber, Bruno. Hier braucht man Jungs wie Dich. Steine und Mörtel brauchst Du nicht mehr zu schleppen, hier gibt es Möglichkeiten, von denen Du nicht einmal träumst. «Und Bruno Salti war ausgewandert, Giorgio hatte zusammen mit einem Unbekannten namens Jim Brazzer für ihn gebürgt, und plötzlich stand er in der Steinwüste von New York, bewohnte ein Zimmer für sich allein — was bis dahin für ihn unvorstellbar war —, erhielt sofort hundert Dollar Handgeld und lernte einen Haufen Leute kennen, die alle arme Schweine wie er gewesen waren.
Aber das Leben ist hart, ob auf Sizilien oder in New York. Jim Brazzer, so stellte sich heraus, hatte nicht nur aus Menschenfreundlichkeit gebürgt, sondern verlangte Gegendienste. Bruno Salti geriet in die Kolonne, in der auch Giorgio arbeitete: Er verkaufte in den Nachtbars Heroin. Das ging so lange gut, bis Salti sich ausrechnete, daß er erbärmlich bezahlt wurde, während die ande-ren einen fast tausendfachen Gewinn einsackten. Eines Nachts holte er von der >Zentrale< für hunderttausend Dollar >Stoff< ab, fuhr statt zu den Bars zum Flugplatz und verschwand. Jim Brazzer erschoß daraufhin den unschuldigen Giorgio, aber das erfuhr Salti erst viel später und erregte sich nicht sonderlich darüber. Er schickte einen guten Mann nach New York, der Jim Brazzer in den Hafen lockte und mit vier Zentnern Beton an den Füßen versenkte.