Fallersfeld hatte seine Reiter um sich versammelt und wartete auf den Kleinbus, der sie zum Hotel bringen sollte. In der Hitze flimmerten die Santa-Cruz-Berge. Das Wasser der San-Franzisco-Bay schien zu verdampfen. In der Ferne, dort, wo die Riesenstadt lag, schwebte eine Dunstglocke zwischen dem stahlblauen Himmel und den Betonklötzen. Fallersfeld wedelte sich mit einem großen Taschentuch Luft in sein gerötetes Gesicht. Der Wind, der vom Pazifik herüberwehte, brachte kaum Kühlung, nur einen warmen Luftstrom, der den Schweiß aus den Poren trieb.
«Zustand der Pferde?«fragte er knapp.
«Bisher gut. Sie haben den Transport gut überstanden. «Hartung, als Ältester so etwas wie >Sprecher< der Equipe, strahlte Zuversicht aus. Fallersfeld preßte das Taschentuch an die Stirn. In der Ferne hoppelte ein weißes Etwas heran, der Bus, vom Hotel zum Flugplatz geschickt.
«Und Laska? Es ist ihr erster großer Flug, nicht wahr?«
«Pedro war bei ihr, die ganze Zeit.«
«Hat er ihr auch einen Schnuller gegeben?«Fallersfeld dachte an den Abflug in Frankfurt. Wohlwollend hatte er Laska auf die Kruppe geklopft, und sie hatte sich bedankt, indem sie nach ihm schnappte, so schnell, daß sein Ärmel zwischen ihren Zähnen blieb.
«Für mich ist dieses Vieh gestorben!«hatte er geschrien.»Himmel noch mal, warum muß gerade dieses Aas so herrlich springen?«
«Pedro hat ihr Geschichtchen von einem Baron Fallersfeld erzählt«, antwortete Hartung.»Laska hat so gelacht, daß sie den Flug gar nicht gemerkt hat.«
«Sehr witzig. «Fallersfeld atmete auf, als der Bus vor ihnen hielt. >Hotel Sun<, stand in großen roten Buchstaben auf dem weißen Lack. Dazu ein gemaltes Bild von einem Palmengarten mit einem riesigen ovalen Schwimmbecken.»Sehr verlockend!«riefer.»Kühles Was-ser. Ich springe vom Bus direkt in den Swimming-pool! Jungs, ob die Pferde diesen Klimawechsel aushalten?«
Die deutsche Equipe stieg ein, die Türen schlugen zu, das Kühlgebläse rauschte, es wurde angenehm kälter, dann raste der Bus über die Betonpiste zum Seitenausgang des Platzes.
Dort stand im Schatten ein schneeweißer flacher Cadillac. Hinter dem Lenkrad, kaum sichtbar, hockte Joe Brollio, neben ihm saß eine üppige Blondine in einem Minikleid, das eine Provokation darstellte.
«Das ist er, Schatz«, sagte Joe und nickte zum Hotelbus.»Der da am zweiten Fenster. Mit den leicht ergrauten Haaren. Merke dir sein Gesicht gut.«
«Ein interessanter Mann. «Betty Simpson blickte dem Bus nach.»Wenn ein Mann mir gefällt, vergeß ich ihn nicht.«
Der weiße Cadillac bog langsam und lautlos in die Straße ein und folgte dem Hotelbus in weitem Abstand. Vor dem Hotel >Sun< hielt er hinter ihm, und Betty hatte Gelegenheit, Hartung genau zu betrachten. Sie schien auf den ersten Blick verliebt zu sein.
«Er könnte mich schwach machen, Joe«, sagte sie.
«Das ist genau, was er nicht soll. «Brollio stieß Betty mit dem Ellbogen in die Rippen.»Du sollst ihn ausschalten, und dabei mußt du die Stärkere sein. Baby, mach keinen Quatsch. Das kostet mich fünftausend Dollar und dich eine Woche Krankenhaus und ein neues Gesicht.«
«Schon gut. «Betty zog einen Flunsch und lehnte sich zurück.»Fahr ab, Kanaille, ich brauche einen Drink, um ins Gleichgewicht zu kommen.«
Auf der Treppe des Hotels blickte Hubert Ludens dem weißen Cadillac nach und hielt Hartung fest, der an ihm vorbeiging.
«Hast du den Wagen gesehen, Horst?«Ludens war ein Nachwuchsreiter, die neue Generation, die in den Trainingscamps heranwuchs. Seine Pferde >Frühlingswind< und >Edda< galten als die kommenden Favoriten.
«Nein. «Hartung blickte dem schnell davonschießenden Wagen nach.»Eines dieser Riesenschiffe. Gutgeschneidertes Blech.«
«Mensch, Horst, was drin saß! Weißblond! Stromlinie!«
«Gefärbt und Schaumgummi. Junge, du bist zum erstenmal in den Staaten. Hier sind Ersatzteile vier Fünftel des Lebens. Was glaubst du, wie manche Engel aussehen, wenn sie abends abschnallen?«
«Die nicht. Da war alles echt!«Ludens blieb auf der Treppe, bis der Cadillac um die nächste Ecke verschwunden war. Erst dann folgte er Hartung ins Hotel.
Sie sollten Betty noch nahe genug kennenlernen.
Das Training hatte begonnen. Die Stallzelte, die Waldon Harris der deutschen Equipe gegeben hatte, waren unter hohen Bäumen aufgebaut, verhältnismäßig kühl und groß genug, um das gesamte Material aufzunehmen. In einem Nebenzelt wohnten die Stallknechte und Dr. Rölle, der es ablehnte, sein Hotelzimmer zu beziehen.
«Ich bleibe bei den Pferden«, sagte er.»Ich habe von Rom noch die Nase voll. Ein Tierarzt hat bei den Tieren zu sein — daher der Name. «Ein weiser Ausspruch, über den Fallersfeld ein schiefes Gesicht zog und antwortete:
«Sie waren schon mal witziger, Doktor. Aber gut, pennen Sie im Betreuerzelt. Ehrlich — mir ist's auch eine Beruhigung.«
Romanowski richtete sich neben Laska ein. Das war selbstverständlich, und zu den amerikanischen Stallknechten, die wie Cowboys herumliefen, mit Lederhosen, Stetsons, breiten Gürteln, engen Stiefeln und riesigen Radsporen, sagte er, als sie lachten:»Leckt mir am Arsch, ihr nachjemachten Typen, an meene Laska kommt keener ran.«
Aber auch Romanowski akklimatisierte sich. Er kaufte sich am Abend noch einen riesigen weißen Stetson, zerbeulte ihn, als sei er schon zehn Jahre alt, und stolzierte dann im Camp herum, lässig, mit schleppendem Schritt, wie ein alter Texasrancher. Selbst Las-ka lachte — als Pedro mit seinem Cowboyhut in den Stall kam, wieherte sie hell, warf den Kopf hoch und bleckte die Zähne.
«Keen Jeschmack haste!«schrie Romanowski sie an.»Wat kann ma von 'nem Jaul wie dir ooch anders erwarten!«
Das tägliche Üben, die Arbeit an der Longe, an den Cavalettis, den Hindernissen, im Gelände. Die Pflege der Pferde, die Futterzusammenstellung, für die Dr. Rölle maßgebend war, das Gewöhnen an das neue Klima, die Gehorsamsübungen und immer wieder Lockerungstraining, leichte Sprünge, das Entkrampfen der Muskeln — vier Tage lang, morgens und nachmittags, unter den wachsamen Augen Fallersfelds und des Trainers Hein Adams. Am Morgen ritt Hartung selbst seine Laska, am Nachmittag saß Romanowski im Sattel, ein Bild, das jeder der deutschen Equipe filmte, denn Pedro ritt mit seinem großen weißen Cowboyhut und tippte sich vor jedem, der lachte, an die Stirn.
Vier Tage lang beobachteten Joe Brollio und Betty Simpson die deutschen Springreiter aus der Ferne. Schließlich wußten sie die genauen Trainingszeiten und die Stunden, in denen Hartung das pflegte, was er >Privatleben< nannte. Sie fuhren ihm unbemerkt nach und stellten fest, daß Hartung systematisch die Riesenstadt San Franzisko erkundete. Er fuhr mit den an einem Drahtseil gezogenen Straßenbahnen die steilen Straßen hinauf, stand über eine Stunde auf der Golden Gate Bridge und beobachtete den Schiffsverkehr, bummelte durch die verschiedenen Viertel und fotografierte das bunte Menschengewimmel und die oft bizarren Fassaden der Häuser und Lokale.
«Das ist deine Chance, Betty«, sagte Joe Brollio am vierten Tag.»Morgen muß die Sache klappen. Wenn du ihn vierundzwanzig Stunden festhältst, ist dein Näschen um tausend Dollar goldener.«
Bruno Salti war davon nicht so überzeugt.»Wo ist seine Braut?«fragte er, als Joe ihm Bericht erstattete.
«Braut?«Brollio staunte ehrlich.»Nichts gesehen.«
«Aber sie kommt. Sie reist ihm zu jedem Turnier nach. Ich habe genaue Informationen aus Europa. Eine bittersüße Liebesgeschichte. Sie will, er will, aber die Reiterei läßt ihnen keine Zeit. So taucht sie überall auf, wo er ist, um zu zeigen, daß sie zumindest
Zeit hat. Steter Tropfen, der den Stein höhlen soll. Und gerade hier ist sie nicht aufgekreuzt?«
«Wir haben Hartung nur allein gesehen.«
«Sehr verdächtig. Wenn sie heute oder morgen erscheint, ist dein Plan nur ein müdes Lächeln wert.«
«Morgen ist Hartung schon mit Betty zusammen.«