«Abwarten. Ich habe meine Sicherungen schon eingebaut. «Salti rieb sich die Hände. Manchmal konnte er sich kindlich freuen über etwas, das eigentlich banal war und das er sich ausgedacht hatte.»Waldon Harris steckt bis zu den Haarwurzeln in Schulden. Als ich ihm fünftausend Dollar anbot, hätte er fast ein Hallelujah gesungen. Er ist zu allem bereit, wenn es nur nicht auffällt. Und dafür habe ich gesorgt. Komm mal mit.«
Salti führte Brollio in einen Nebenraum. Dort war das Modell eines Springhindernisses aufgebaut, ein Oxer mit drei Stangen. Joe verzog das faltige Gesicht.
«Springst du da jetzt drüber? Trimm dich, Bruno!«
Salti grinste zurück. Für diese Art von Humor hatte er Verständnis. Er winkte Brollio und dirigierte ihn an die Seite des Hindernisses.
«Siehst du etwas, Joe?«
«Nein. Doch — ja. Wenn ich die obere Stange antippe, fällt sie 'runter. Sie liegt nur lose in der Halterung.«
«Idiot. Das ist normal. Sonst gäbe es ja keine Abwürfe. Aber jetzt nimm einmal an, diese Laska hüpft drüber. Immer ein paar Zentimeter höher als die Stangen, was dann?«
«Null Fehler und Sieg.«
«Normalerweise — ja. Aber hier nicht. Sie kann über die Hindernisse fliegen wie eine Taube, die Stange fällt.«
«Vom Luftzug?«
«Joe, du bist ein Mensch ohne Phantasie. Auf dem Parcours stehen vierzehn Hindernisse. An jedem Hindernis passen zwei Mann auf, daß auch alles in Ordnung ist. Diese achtundzwanzig Burschen hat Waldon Harris engagiert. Jeder von ihnen erhält ein Pflaster von hundert Dollar, dafür sind sie stumm wie Maulwürfe. Sie haben nur eine Aufgabe — immer eine Stange mehr fallen zu lassen als bei den anderen Reitern, wenn Laska auf dem Platz ist. In der Praxis: Macht >White Star< vier Fehler, macht Laska acht. Eine einfache Rechnung. Und bei allen anderen Pferden ist's genauso. Jedes macht mehr Abwürfe als >White Star<.«
«Sollen die Jungs die Stangen anpusten oder >huh-huh< machen, wenn die Pferde drüberspringen?«
«Viel einfacher, Joe. «Salti war sichtlich stolz auf seine Idee. Er zeigte auf einen fast unsichtbaren Nylonfaden, der aus dem Gewirr der Stangen und Büsche heraushing. Wer es nicht wußte, bemerkte ihn nie.
«An diesem Fädchen hängt alles, nämlich die obere Stange. Setzt Laska über das Hindernis und hat einen Abwurf gut, zieht der Bursche am Hindernis ganz kurz am Faden, und die Stange fällt. Da er mit seinem Kollegen die Stange wieder auflegt, ist niemand da, der das merkt. In der Tasche haben alle achtundzwanzig Boys einen Summer, der von mir ferngesteuert wird. Soll das Hindernis fallen, brummt es bei ihnen, und sie wissen: Hundert Dollar, Junge
— zieh an dem Nylonfaden. «Salti führte es vor — ein unsichtbarer Ruck, und die Stange polterte auf den Boden.»Na?«fragte er stolz.
Brollio starrte auf die gefallene Stange, auf die so blödsinnig einfache Konstruktion und schüttelte den Kopf.
«Genial«, sagte er.
«Und was soll das Kopfschütteln?«
«Daß ich nicht darauf gekommen bin!«
Bruno Salti lachte zufrieden, faßte Brollio um die Schulter und schob ihn aus dem Zimmer. Dann tranken sie eiskalten Campari und waren sich sicher, daß >White Star< den >Grand National Cup< gewinnen würde. Das gewettete Geld war unwichtig, es ging nur um den Triumph.
Chinatown ist ein Stadtteil von San Franzisko, durch den am Tage und auch in der Nacht ein Weißer spazieren kann, ohne Gefahr, für immer zu verschwinden oder krankenhausreif geprügelt zu werden. Ganz im Gegensatz zu New Yorks Harlem, wo ein Weißer allein nur ein Selbstmörder sein kann. Die Chinesen sind freundliche Menschen, nur auf ihr Geschäft bedacht, sie wollen verdienen, weiter nichts. Warum auch? Der große Laotse hat gesagt, daß Friedfertigkeit eine Stufe der Glückseligkeit auf Erden ist. Und so duftet Chinatown tagaus, tagein rund um die Uhr nach allen Gerüchen Asiens, nach gebratenem Fisch und Hühnern, Curryreis und Pfefferschoten, gedämpfter Ananas und gesottenem Hammelfleisch.
Horst Hartung bummelte durch diesen bunten Stadtteil, fotografierte, trank bei einem alten Chinesen, der sich ein dutzendmal verbeugte, ein Glas Dortmunder Bier, besuchte ein chinesisches Schattentheater und nahm sich dann vor, in einem der Lokale chinesisch zu Abend zu essen.
Morgen war das Turnier. Es sollte ein kurzer Abend werden. Hartung schlief gern lange vor einem Parcours, um Kraft zu sammeln für die Stunden, in denen Millionen Augen auf ihn gerichtet waren, im Stadion, vor den Fernsehgeräten, in den Illustrierten und Zeitungen.
Horst Hartung auf Laska — vier Worte, die bereits die ganze Welt kannte.
Er hatte gerade das Schattentheater verlassen und ging langsam die Straße hinunter, als ein blondes Mädchen mit flatternden, aufgelösten Haaren um die Ecke lief, mit ausgebreiteten Armen auf ihn zustürzte und sich laut weinend und verzweifelt an ihn klammerte.
«Hilfe!«schrie das Mädchen. In ihren Augen stand Angst.»Hilfe! Bitte helfen Sie mir, Sir. Zwei Männer… sie kommen gleich… sie wollten mich. «Ihre Stimme erstickte in Schluchzen.»In einem Hausflur wollten sie. Ich konnte mich losreißen, aber sie rannten hinterher, zwei Gelbe. Hilfe! Hilfe!«Zitternd preßte sie das Gesicht an seine Brust.
Wie Joe Brollio vorausgesagt hatte, regte sich in Hartung die Ritterlichkeit. Er legte die Arme um das weinende Mädchen und war-tete auf die beiden Verfolger. Aber die kamen nicht. Hartung war darum nicht böse, denn er hatte keine Lust, sich hier in Chinatown mit zwei Chinesen zu prügeln. Weit und breit war kein Polizist zu sehen.
«Es ist alles vorbei«, sagte er. Sein Englisch war so vorzüglich, als sei er irgendwo in den Staaten geboren.»Sie kommen nicht mehr.«
«Sie schneiden uns den Weg ab! Sie kennen die Gelben nicht! Ganz Chinatown ist eine Höhle. Plötzlich stehen sie in irgendeiner Haustür und fallen über uns her. «Das Mädchen zitterte noch stärker.»Ich habe Angst, Sir, Angst. Bitte, bitte bringen Sie mich nach Hause!«Sie hob den Kopf. Ihr tränenüberströmtes Gesicht war puppenhaft. Erst jetzt spürte Hartung ihre vollen, straffen Brüste, die sich gegen ihn preßten.»Ich wohne am Meer. Ein kleiner Bungalow. Bitte, lassen Sie mich nicht allein!«
Es klang so ängstlich, daß Hartung aus voller Überzeugung den Ritter weiterspielte. Er winkte einem Taxi, und beide stiegen ein. Der Fahrer schwieg. Ein heulendes Girl, ein Kavalier — sorry, wen geht das was an? Sie sah nicht so aus, als habe sie gerade die Unschuld verloren.
«Zur Playa da Sole«, sagte das Mädchen. Sie putzte sich die Nase und lächelte Hartung dankbar an. Das Taxi raste zum Meer. Der Fahrer wußte Bescheid. Die weißen Häuschen am Felsstrand — Ruhesitze von Beamten und Liebesnester von teuren Girls. Eine verrückte Mischung. Moralverein und Bordell nebeneinander.
Eine typische Salti-Siedlung.
«Ich heiße Betty Simpson«, sagte sie, als das Schluchzen aufhörte. Es war eine Glanzleistung von Betty, aber Hollywood hatte sie immer noch nicht entdeckt.
«Horst Hartung.«
«Oh!«Sie riß die blauen Augen weit auf.»Sie sind das?«
«Sie kennen mich?«
«Aus der Zeitung, vom Fernsehen. Der Reiter aus Germany, nicht wahr? Sie haben vorgestern ein Interview für die BFC gegeben?«
«Stimmt.«
«Ich bewundere Sie. Ich habe die Trainingssprünge gesehen. Phantastisch. Wissen Sie, ich liebe Pferde, und wenn sie so über die Hindernisse fliegen. Und ausgerechnet Sie — das ist Glück im Unglück, Sir.«
Der Fahrer lächelte still vor sich hin. Die versteht ihr Geschäft. In fünfzehn Minuten säuselt sie ihm die Dollar aus der Tasche. Sie fuhren jetzt auf der Küstenstraße nach Süden. Die ersten Kolonien der weißen Bungalows tauchten schon zwischen den Klippen auf.
Horst Hartung genoß ahnungslos die Fahrt, die Gegenwart des Mädchens, das unverbindliche Abenteuer, wie er dachte. Angela Die-pholt kam nicht nach San Franzisko. Sie hatte ein Telegramm geschickt.»Vater krank. Muß leider hierbleiben. «Zum erstenmal war sie nicht am Rande des Parcours. Hartung kam sich irgendwie verwaist vor, auch wenn er immer geschimpft hatte über diese Verfolgung aus Liebe<. Nun fuhr er mit einer lebendigen Puppe am Pazifik entlang, und er hatte sie vor zwei Wüstlingen gerettet.