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Er schwankte über die Straße in Richtung San Franzisko. Neun Wagen überholten ihn, der zehnte hielt an, und ein junger Mann mit Beatlemähne sah aus dem Fenster.

«Trainieren für Marathonlauf?«fragte er.

«Nein. Ausgesetztes Waisenkind.«

«Dann steigen Sie ein, Mister. Ich habe auch keinen Papa und keine Mama mehr.«

So kam Hartung nach San Franzisko zurück. Der junge Mann, er war Graphiker bei einer Werbefirma, setzte ihn am Bahnhof ab.

Mit aufheulendem Motor brauste er weiter.

Hartung nahm ein Taxi, fuhr zum Hotel und stellte sich unter die kalte Brause. Dann trank er ein Kännchen Mokka, rasierte sich, zog seine Turnierkleidung an und fuhr mit dem Lift hinunter in die Halle. Dort stand — immer zur unrechten Zeit — Fallersfeld und unterhielt sich mit einem älteren Herrn, der sehr vornehm aussah.

«Oh, Hartung!«rief der Herr begeistert, und Fallersfeld fuhr herum. Sein Blick auf die Hoteluhr sagte alles.

«Passen Ihnen die Stiefel noch, Horst, oder fallen sie 'raus?«knurrte er.»Nicht, daß Ihnen beim ersten Sprung der Puder aus den Ohren fliegt.«

Hartung schwieg. Er machte eine kleine Verbeugung vor dem vornehmen Herrn, rannte aus dem Hotel und fuhr mit dem Taxi zum Parcours. Romanowski arbeitete Laska durch, der gute, treue Pedro.

Er hielt sofort an, als er Hartung sah.»Herrchen«, riefer und rieb sich die Hände,»det war'n Erlebnis. Ick schlafe bei dem ollen Luder hier, und plötzlich steht eener im Stall. Vor meener Box. Ick raus wie'n geölter Furz, keene Frage, knall ihm eene in de Fresse, der Kerl schlägt 'nen Purzelbaum, und weg is er. Ick habe darauf det Licht anjelassen und mit mich selber Skat jespielt bis zum Morgen. Die Halunken. Wollen det so machen wie in Rom! Nich mit Romanowski!«

«Schon gut, Pedro. Red nicht drüber.«

«Tu ick ooch nicht. Wollen Herrchen jetzt aufsitzen?«

«Nein. Reite du Laska ab. «Hartung lehnte sich an einen Baum. Trotz kalter Dusche und Mokka war die Müdigkeit noch in ihm. Er streichelte Laska die Rammsnase, küßte sie auf die weichen Nüstern und sagte:»Guten Morgen, mein Mädchen!«

Laska schnaubte, rieb den Kopf an seiner Brust und leckte ihm die Hand. Es war eine Liebe zwischen den beiden, wie es sie selten gab.

Nach dem Abreiten blieb Hartung in der Nähe Laskas. Fallersfeld suchte ihn, fand ihn natürlich und fragte knapp:

«Alles weg aus dem Kreuz?«

«Alles drin, Baron.«

«Horst, kein Weibsbild?«

«Keins.«

«In Ordnung. «Fallersfeld lächelte.»Es gibt für Laska nur einen Gegner. >White Star<.«

«Ich weiß.«

«Er springt wie ein Gummiball.«

«Der Parcours wird's zeigen.«»Dann Hals- und Beinbruch, Horst. Die Auslosung hat ergeben, daß du immer nach >White Star< reitest.«

Auf dem riesigen Platz, in typisch amerikanischen Ausmaßen, saßen bereits Tausende von Menschen. Eine Militärkapelle spielte Märsche. Dazu paradierte eine Kompanie bunt uniformierter Mädchen und exerzierte mit goldlackierten Stäben.

Auf der Haupttribüne, in seiner Loge, trat Bruno Salti ein. Joe Brollio und Betty folgten ihm. Waldon Harris, der Turnierleiter, begrüßte ihn von weitem mit Handzeichen, die nur er und Salti verstanden.

Alles okay. Die Hindernisse sind präpariert. Die Nylonschnürchen baumeln. Die achtundzwanzig Jungen sind auf dem Posten.

«Er hat die doppelte Dosis bekommen«, sagte Joe leise zu Salti.»Betty, das Schaf, hat ein großes Glas gemixt. Hartung wird bis morgen mittag schlafen, wenn er überhaupt wieder aufwacht. Weiß man, wie stark sein Herz ist?«

«Das ist euer Problem. «Salti setzte sich und winkte einer Eisverkäuferin.»Mich interessiert jetzt nur noch >White Star<.«

Die ersten Umläufe waren vorbei. Acht Fehler, zwölf Fehler, ein Ausscheiden wegen zweimaliger Verweigerung, acht Fehler, vier Fehler. Salti notierte sich das sofort. Roger Delange, Frankreich. Beim zweiten Umlauf bekam er unter Garantie zwölf Fehler.

«White Star.«

Er sprang wie ein weißer Blitz. Der Reiter, James Hucheby, führte den Wallach vorzüglich. Das Publikum jubelte, schrie bei jedem genommenen Hindernis auf, klatschte wie verrückt, als >White Star< mit null Fehlern aus der Bahn trabte.

«Jetzt kommt die große Pleite«, flüsterte Salti. Er schwitzte wie in der Sauna.»Jetzt gehen die Deutschen baden.«

Im Turnierturm versuchte Waldon Harris vergeblich, Kontakt mit Salti zu bekommen. Für einen Boten war es zu spät, selbst zu laufen war zu auffällig, die Summergeräte in den Taschen übermittel-ten nur Befehle, die Stangen fallen zu lassen.

O Himmel, dachte Harris. Wenn jetzt die Ansage kommt — Salti wird verrückt.

Die Stimme im Lautsprecher klang klar und nüchtern.

«Als nächster Reiter mit der Nummer 15: Horst Hartung auf Las-ka.«

Salti saß unbeweglich, starr, wie versteinert. Er wurde nicht verrückt, er tobte nicht. Dafür erbleichte Joe und kniff Betty in den Oberschenkel.

«Was ist da los?«zischte er.

Betty schossen die Tränen in die Augen.»Weiß ich es? Vielleicht ist es ein Bluff.«

Es war kein Bluff. Hartung ritt ein. Laska tänzelte.

«Fünftausend Dollar im Eimer«, sagte Salti trocken.»Joe, du wirst doch alt. Ich hatte wieder mal recht. Verlaß dich nie auf Weiber! Jetzt bin ich am Zug.«

Überflüssig zu sagen, wie Laska sprang, wie Hartung sie führte. Es war ein Augenschmaus. Sie nahm die Hindernisse, als seien sie gar nicht vorhanden das war ein federnder Galopp, ein Schweben in der Luft, ein zierliches Aufsetzen, daß die vierzigtausend Zuschauer zu trampeln begannen.

Der Oxer. Das Holsteiner Tor. Die Steinmauer. Wassergraben. Hochweitsprung. Buschoxer. Doppelrick. Der Wall. Die Ziegelmauer. Der Zaun.

Null Fehler. Und in der Zeit >White Star< auch voraus.

Salti drückte auf eine Stelle an seinem Jackett. Irgendwo da unten auf dem Parcours brummte in der Tasche eines Burschen der Summer.

Nylonfädchen ziehen.

Die Dreierkombination. Laska überflog sie unter vieltausendstimmigen Jubelschreien. Und da — beim letzten Oxer fiel die Stange. Totenstille senkte sich über das Stadion. Hartung blickte zurück, begriff das nicht. Tatsächlich, die Stange lag auf dem Rasen und wurde gerade wieder aufgelegt. Auch Laska wackelte mit den Ohren.

Ich war es nicht, nein, ich war es nicht.

«Ruhe, Mädchen, Ruhe«, sagte Hartung zu ihr.»Kann ja vorkommen. Wir haben noch einen Umlauf.«

Noch vier Hindernisse. Ein Steilsprung von 1 Meter 75.

Genaue Berechnung der Schritte, jetzt, Laska, jetzt, Absprung! Ein Strecken des Körpers, das Gefühl der Schwerelosigkeit — hinüber.

Und die oberste Stange fiel.

«Er hat se nich berührt!«brüllte Romanowski an der Sperre.»Die nich und die erste ooch nich. Ick hab's jenau jesehen! Laska is drüber, ick hätt die Hand drunter halten können. Da is'n Trick jelaufen! Protest, Protest!«

Acht Fehler für Hartung mit Laska.

Es gab keinen Zweifel, die Stangen lagen unten. Das allein gilt, nichts anderes. Nicht, was einer gesehen hat, sondern was herunterfiel.

Acht Fehler.

Hartung stieg ab und sprang fast in die Arme Fallersfelds.

«Also doch Weiber!«knirschte er.»Keine Kraft mehr, den Gaul 'rüberzudrücken. Der Sieg ist weg, retten wir den zweiten Platz!«

Bruno Salti war zufrieden. Sein System funktionierte vorzüglich. Kein Pferd hatte null Fehler, nur >White Star<.

«Das laß ich mir durch die Cosa Nostra patentieren«, sagte er fröhlich zu Joe Brollio.»Damit kann man Millionen machen!«

Der zweite Umlauf.

>White Star< sprang acht Fehler — eine Katastrophe, die Salti gelassen hinnahm. Von jetzt an summte es rundherum an allen Hindernissen, die Stangen fielen wie reife Birnen, die Rundfunk- und Fernsehreporter sprachen von einem mörderisch schweren Parcours, der den Pferden alles abverlangte, und als Laska erschien, senkte sich wieder gespanntes Schweigen über die Menschen.