Angela nickte verlegen und sah sich dann um. Die beiden Frauen hatten sie in ihre Mitte genommen.»Woher kennen Sie mich? Was wollen Sie von mir?«
«Baron Fallersfeld sagte uns, daß Sie mit dieser Maschine in Moskau landen.«
Der Name Fallersfeld beruhigte sie.»Er wollte mich abholen.«
«Leider ist er verhindert. Darum stehe ich Ihnen zur Verfügung. Bitte, gospoda, zunächst in diesen Raum. Gleich kommt Ihr Gepäck, dann sehen wir weiter.«
Ein sowjetischer Polizist kam nach fünf langen, schweigenden Minuten, in denen Angela spürte, daß irgend etwas nicht stimmte, mit den beiden Koffern. Borolenko betrachtete sie und tippte dann mit dem Zeigefinger darauf.
«Sie haben die Schlüssel. Bitte, öffnen Sie.«»Sind Sie vom Zoll?«
«Nein. Vom MWD, falls Sie wissen, was das ist, gospoda.«
Gehorsam schloß Angela beide Koffer auf und klappte die Deckel hoch.
«Bitte!«
«Wenn ich Sie bitten darf, sie auszupacken. Alles bitte hierher auf den Tisch!«
Angela packte die Koffer aus. Jedes Stück, das sie herausholte, wurde von den beiden Frauen genau untersucht, abgetastet, gegen das Licht der starken Deckenlampe gehalten. Als die Koffer leer waren, klopfte Borolenko sie ab, riß das Futter ab, schnitt mit einem Taschenmesser die Böden auf. Fassungslos sah Angela ihm zu. Bo-rolenko klappte sein Messer zusammen und hob zufrieden lächelnd die Schulter.
«Und was nun?«fragte Angela mit belegter Stimme.»Soll ich meine Wäsche unter dem Arm durch Moskau tragen?«
«Wir besorgen Ihnen selbstverständlich die besten Koffer, die wir auftreiben können. «Borolenko ging zu einem Telefon und sprach ein paar Worte.»Es freut mich, Sie persönlich zum >Ukraina< bringen zu können. Die Koffer sind sofort da.«
«Was suchen Sie eigentlich?«
«Darüber unterhalten wir uns auf der Fahrt in die Stadt. Nur noch eine Formsache, gospoda. Ich werde den Raum verlassen, und die beiden Mädchen werden Ihre Kleider untersuchen. Bitte, ziehen Sie sich aus.«
Angela wich zur Wand zurück.»Ich denke nicht daran, mich auszuziehen!«
Borolenko schüttelte den Kopf wie ein Vater, der sich über sein Kind ärgert.»Bitte, machen Sie keine Schwierigkeiten. Es handelt sich ja bloß um eine Routinesache — ich erkläre Ihnen nachher die Gründe dafür.«
Angela Diepholt gehorchte. Sie zog sich aus, die beiden Beamtinnen untersuchten die Kleidungsstücke, tasteten die Nähte ab und legten dann alles auf den Tisch zurück.
«Gut! Ziehen Sie sich wieder an!«sagte die eine. Dann verließen sie den Raum.
Nach fünf Minuten klopfte es. Angela knöpfte gerade ihre Bluse zu.
«Sind Sie fertig?«rief Borolenko vor der Tür.
«Ja.«
«Ihre neuen Koffer.«
«Kommen Sie herein.«
Borolenko wuchtete zwei schöne schweinslederne Koffer auf den Tisch und half Angela beim Packen.»Es freut mich, daß das Ergebnis negativ ist«, sagte er dabei.»Aber wenn Sie erst wissen, worum es geht, geben Sie mir recht. Man kann nicht vorsichtig genug sein und soll sich auch von der schönsten Frau nicht beeinflussen lassen. Fertig. «Er schloß den Koffer und hob ihn vom Tisch.»Wir haben für Sie im >Ukraina< ein schönes Zimmer reserviert. Neben Herrn Hartung.«
«Er weiß, daß ich in Moskau bin?«
«Sollte er das nicht? Eine Überraschung? Wer konnte das ahnen?«Borolenko zog jetzt auch den zweiten Koffer vom Tisch.
«Ich verstehe das alles nicht. «Angela folgte ihm hinaus in die Halle. Dort nahmen zwei Uniformierte die Koffer, die beiden Beamtinnen waren verschwunden.»Was hat das alles zu bedeuten?«
Borolenko führte Angela aus der Halle. Ein großer schwarzer Wagen wartete vor dem Eingang.»Sie sind Gast in unserem Land, und wir bemühen uns, unsere Gäste zu beschützen.«
«Vor was zu beschützen?«
«Das wissen wir selbst noch nicht. «Borolenko verbeugte sich leicht, die Autotür in der Hand.»Steigen Sie bitte ein, gospoda. Moskau wird Ihnen gefallen.«
Das war vor vier Stunden gewesen.
Jetzt saß Angela in ihrem Zimmer, ein weiblicher Leutnant hockte auf einer Couch und hörte Tanzmusik, die aus dem Radio ertönte, rauchte eine Zigarette und trank himbeerrote Limonade. Sie sprach kein Wort und tat, als sei sie allein im Zimmer.
Borolenko erschien gegen neun Uhr abends, gleich hinter dem Etagenkellner, der ein vorzügliches Abendessen brachte. Geräucherter Stör mit Sahnemeerrettich, Piroggen mit Hühnerleber und Rahmsoße, Walderdbeereis mit Vanillecreme. Dazu eine Flasche goldgelben grusinischen Weins von den Hängen bei Telawi.
«Towaritsch Hartung läßt Sie grüßen«, sagte Borolenko.»Er ist ungeduldig. Kann man ihn nicht verstehen, wenn man von einer so hübschen Braut nur durch eine Wand getrennt ist und kann sie doch nicht erreichen?«
Mehr war aus Borolenko nicht herauszuholen — keine Erklärungen, keine Begründungen.
Bei den Pferdeställen am Dynamo-Stadion waren mittlerweile die deutschen Transporter eingetroffen. Von außen sahen sie völlig unversehrt aus, und auch innen waren sie wieder so hergerichtet, daß nur ein geübtes Auge die Zerstörungen entdecken konnte. Dr. Rolle glaubte richtig zu handeln, indem er sofort Einspruch erhob.
Major Borolenko, der überall zu sein schien und ein ungeheures Fahrpensum bewältigte, denn er tauchte am Flughafen auf, im Hotel, im Dynamo-Stadion bei den Pferden, dann wieder im Hotel, in seiner Dienststelle, im Laboratorium und erneut bei den Ställen, hob beschwichtigend beide Hände, als Dr. Rölle auf ihn zustürzte.
«Wir verlangen keine billigen Reparaturen, wir verlangen die Rückgabe unserer Wagen in einwandfreiem Zustand, so wie sie angekommen sind. Ich lehne die Übernahme ab!«
«Sie werden alles bekommen, Doktor. «Borolenko strich sich über seinen runden Kopf. Er schien jetzt nervös zu sein, auch wenn er sich ungemein beherrschte.»Wir haben die Wagen noch gar nicht übergeben, wir haben sie nur hierhergefahren und abgestellt. Kümmern Sie sich nicht um sie, kümmern Sie sich um die Pferde. Ist alles gesund?«
«Alles!«Dr. Rölle schluckte vor Aufregung.»Und was machen die
Reiter?«
«Sie essen geräucherten Stör. Gute Nacht, Doktor.«
«Gute Nacht, Herr Major.«
Dr. Rölle starrte ihm nach. Wie alle anderen verstand auch er überhaupt nichts mehr.
Borolenko tat das Ganze keineswegs aus Geheimniskrämerei. Seine Sorgen waren größer und vor allem für ihn gefährlicher als die der deutschen Equipe. Da war von einem V-Mann über Funk eine Meldung gekommen:»In den Wagen der deutschen Pferde befindet sich Rauschgift. Ende. «Die Wagen trafen in Moskau ein, und was findet man? Kokain.
Kokain für fünfzehntausend Rubel.
Was soll Borolenko tun? Die deutschen Reiter verhören? Die in der ganzen Welt berühmten deutschen Reiterstars? Ein absurder Gedanke. Den Baron Fallersfeld? Noch absurder! Den Tierarzt? Den Futtermeister? Ausgeschlossen. Die Pferdepfleger — die schon eher. Und sie wurden verhört, stundenlang, nach der bewährten Methode, daß der Fragende jede Stunde wechselt. Die eine Seite ermüdet nie, die andere muß einmal zusammenbrechen.
Aber man kannte Romanowski nicht. Er antwortete einmal auf alle Fragen, und als sie immer wiederkehrten, sagte er nur:»Ick bin doch keen kaputtes Grammophon! Ick wiedahole nischt zehnmal. Leckt mich am Arsch!«
Borolenko brach die Verhöre ab.
Er befahl, die Transporter zum Stadion zu bringen und so abzustellen, daß sie mühelos und unbemerkt zu erreichen waren.
«Wer eine Ware bringt, muß sie auch loswerden«, sagte Borolen-ko zu Leutnant Stupkin.»Durch die Nachrichtensperre weiß niemand, was geschehen ist. Für den, der die Ware abholen will, ist also nichts passiert. Setzen wir ihm die Ware vor die Nase, wie er es erwartet. Es gibt nun zwei Möglichkeiten — entweder ist dieser Romanowski ein ganz raffinierter Knabe, der selbst das Kokain aus dem Wagen holt und irgendwohin bringt. Dann wird niemand kommen. Oder das Geschäft findet bei den Wagen statt, dann muß der hiesige Abholer irgendwann erscheinen. Wann wird das sein?«