Gespräch zu kommen.
«Wissen Sie, wer das ist?«fragte der Zahlmeister.
«Miß Walkering.«
«Sonst nichts?«
«Nein. Offensichtlich liebt sie Rot.«
«Ihr Vater besitzt in Australien und hier in Afrika Goldminen. Ein Mädchen aus Gold gewissermaßen. «Vom Schiff, irgendwoher aus dem Gewühl, ertönte eine Sirene. Dumpf, durchdringend. Der Zahlmeister nickte.»Sie sind dran. Wollen Sie die Wagen getrennt von den Pferden hochhieven lassen oder mit den Pferden?«
«Lieber getrennt.«
«Okay! Sie können mit den Pferden hinten über Fallreep III an Bord. Die Wagen kurbeln wir hier hoch. Bis nachher, Mr. Hartung.«
Der Zahlmeister grüßte, wandte sich um und rannte wieder an Bord.
«Pferde ausladen!«rief Hartung.
Die jungen Nachwuchsreiter der deutschen Equipe rannten zu den Transportern. Romanowski öffnete die Falltür seines Wagens. Las-kas Kopf erschien, edel und schön wie immer, mit großen, sprechenden, klugen Augen, aber dann folgte ein Körper mit einem so zerstörten Fell, daß nicht einmal ein blinder Zigeuner zehn Mark für sie in die offene Hand gelegt hätte.
Laskas erster Blick suchte Hartung. Als sie ihn gefunden hatte, wieherte sie leise, voll Zärtlichkeit.
«Et jeht los, Olle«, sagte Romanowski und führte sie aus dem Transporter.»Und vornehm jehn wir an Bord — zu Fuß.«
Hartung trat an Laska heran. Ihre weichen Nüstern tasteten nach ihm. Er umarmte ihren Kopf und streichelte über ihren gebogenen Hals.
«Wie geht's dir, mein Mädchen?«fragte er leise.
Und ebenso leise schnaufte Laska an seiner Schulter und zwickte ihn ganz leicht in den Rock.
«Wie ein Liebespaar«, sagte oben an der Reling Eve Walkering.»Man könnte eifersüchtig werden!«
«Ich bin es seit vier Jahren«, antwortete Angela Diepholt.
So lernten sie sich kennen, zwei Frauen wie Feuer und Wasser. Und sie mußten jetzt zusammenleben, über eine Strecke von sechstausend Seemeilen, drei Wochen lang Seite an Seite, und zwischen ihnen der Mann, den die eine erobern und die andere behalten wollte.
Aber daran dachten sie hier oben an der Reling noch nicht, sie beobachteten gemeinsam, wie Romanowski Laska zu dem schrägen, breiten Fallreep führte und wie Laska plötzlich unruhig wurde, den Kopf hochwarf, die Ohren zurücknahm und zu tänzeln begann. Elegant sah das aus, aber wer Pferde kennt, weiß, daß es keine Lebenslust, sondern Abwehr, Angst, Widerstand ist. Vor dem Holzsteg gehorchte Laska der Führung Romanowskis nicht mehr, sie warfden Kopfmit einem heftigen Ruck hoch, Romanowski fluchte, schüttelte seine aus dem Halfter gerissene Hand und sprang zur Seite. Laska machte einen Satz und blieb dann mit zitternden Flanken vor dem Fallreep stehen.
«Dämliches Luder!«schrie Romanowski.»Biste noch nie uffn Schiff jeklettert? Benimm dir bloß nich wie von 'ner Wespe jestochen! Los, ruff uffn Kahn!«
Aber Laska blieb stehen. Als Romanowski zu ihr trat, zog sie die Nüstern hoch und bleckte das Gebiß. Ihre Beine stemmten sich gegen den Betonboden, als wolle sie sich darin verankern. Romanowski unternahm keinen Gewaltakt, er versuchte nicht einmal mehr, auf Laska einzureden. Resignierend schob er die Mütze ins Genick und winkte ab.
«Denn also nich! Wirst sehn, wat se mit dir machen! Schnallen dir 'nen Jurt um 'n Bauch und ruff geht's in de Luft. Da kannste quieken, det stört die nich.«
Von den Wagen kam Hartung. Hinter ihm klapperten die Hufe der deutschen Springpferde. Neun edle, wie Schmuckstücke bewachte Pferde wurden von ihren Pflegern und begleitet von ihren Reitern zum Fallreep geführt.
«Was ist denn los?«rief Hartung schon von weitem.
«Se will nich, Herrchen!«brüllte Romanowski zurück.»Sehn Se sich det an. Ick jeh nich mehr ran!«
Oben an der Reling erläuterte Dr. Rölle Name und Rasse der einzelnen Pferde. Interessiert hörte Eve Walkering zu. Aber ihre Augen verfolgten Hartung. Forderung und Leidenschaft lagen in diesem Blick.
«Was jetzt?«fragte sie plötzlich.
«Ich verstehe Sie nicht, Gnädigste«, sagte Dr. Rölle, aus seinem Vortrag gerissen.
«Was macht Hartung jetzt, wenn Laska nicht aufs Schiff will?«
«Das gibt es gar nicht. Laska tut alles, was Hartung will.«
«Heute scheint es umgekehrt zu laufen.«
«Warten Sie ab.«
Hartung war vor Laska hingetreten. Sie hatte den Kopf erhoben, ihre großen, klaren Augen hatten einen furchtsamen Ausdruck. Die Ohren spielten unruhig. Sie stand wie ein Denkmal, zitterte nur ab und zu in den Flanken.
«Stell dich nicht an«, sagte Hartung leise.»Mein Mädchen, du tust so, als hättest du noch nie ein Schiff betreten. Was sollen die anderen von uns denken? Alle sehen uns zu. Komm, Laska!«
Laska rührte sich nicht. Ihre Nüstern schoben sich ein wenig über die Zähne.»So 'n hysterisches Weibsstück!«schnaubte Romanowski.»Det hat se noch nie jetan! Die beißt, wenn Se ihr anpacken. Ooch bei Ihnen, Herrchen.«
Hartung sah Laska ruhig in die schreckgeweiteten Augen. Er gab zu — so hatte er sie noch nie gesehen. Es war das erstemal, daß selbst er nicht mehr ihre Absicht erkannte, daß ihm ihr Verhalten fremd war. Irgend etwas stimmt hier nicht, dachte er. Laskas Instinkt ist ein Wunderwerk der Natur, wir haben es oft genug erlebt.
«Komm«, sagte er noch einmal und winkte.
Laska stand wie ein brauner Marmorblock.
«Es ist gut«, sagte Hartung laut.»Dann bleibst du in Afrika zurück, und wir fahren allein nach Sydney. Es gibt nicht nur eine Las-ka auf der Welt.«
Er drehte sich um und ging den schrägen Laufsteg hinauf zum unteren Deck. Von den Kränen her rollten bereits die Transportwagen der Turnierpferde, wurden vertäut und mit Planen überspannt.
Laska blickte ihrem Herrn nach. Sie schnaubte, wieherte dann leise, schließlich lauter, immer heller, bis ihr Wiehern wie ein Schrei war. Sie warf den Kopf hoch und stieß einen so grellen Ton aus, daß Hartung zusammenzuckte und Romanowski die Mütze vom Kopf riß.
Hartung zögerte, ging aber dann weiter, langsamer, doch ohne sich umzublicken.
Laska durchfuhr ein heftiges Zittern. Mit einem tiefen Schnaufen senkte sie den Kopf, zögernd hob sich der rechte Fuß, sie scharrte ein paarmal, blickte dann Romanowski mit tieftraurigen Augen an und setzte sich in Bewegung. Allein, ohne Führung, folgte sie Hartung langsam, mit hängendem Kopf, ihre Hufe klapperten über die Holzplanken, und Hartung, der es hörte, ging weiter, aber sein Herz schlug plötzlich schneller. Erst oben an Deck drehte er sich um und erwartete Laska, die sich jeden Schritt abrang. Man sah es, ihre Füße verharrten in der Luft, ehe sich die Hufe wieder senkten.
«Bist ein dummes Mädchen«, sagte Hartung, als sie endlich an Deck war. Er umarmte ihren Kopf und küßte sie auf die Nüstern.»Ich hätte dich unten stehen und in Afrika zurückgelassen.«
Es gab niemanden, der Hartung das glaubte. Auch Laska nicht.
Nach vier Stunden legte die >Seemaid< ab.
Ohne Bordkapelle, ohne große Feierlichkeiten, das Schiff war ein Riesentransporter mit einem Passagierteil, der als weißer Klotz hinter der Brücke, dem Kapitänsraum, den Navigations- und Funkkabinen angebaut war. Allerdings ein feudaler Teil mit fünfundzwanzig Erster-Klasse-Kabinen, einem Speisesaal, einer kleinen Bar, einer Bibliothek, einer gedeckten und verglasten Wandelhalle, einem Zwischendeck mit Liegeterrasse und einem kleinen Schwimmbad, alles verbunden durch Treppen und Treppchen, die immer neue Winkel des Schiffes erschlossen. Dann wurde das Schiff flach, die Ladebäume über riesigen Luken beherrschten das Bild, ein langes Deck, auf dem sich in genau berechneten Blocks riesige Kisten und Behälter aus Aluminium stapelten, durch Taue gesichert gegen alle Gefahren, die ein unruhiges Meer für ein Schiff bereithielt. Noch weiter zum Bug standen die Transporter der deutschen Equipe, der Luxuswagen Eve Walkerings und Maschinen in Bretterverschlägen. Fast vorn am Bug hatte man eine Art Stall aufgebaut. Ein langes und breites hölzernes Dach, unter dem die Boxen lagen, enge Holzkäfige, damit die Pferde bei grobem Seegang nicht ausrutschten und hinfielen. Der Boden war hoch mit Stroh bedeckt, darunter, als >Sau-boden<, eine Schicht Sägemehl. Vor dem >Stall< hatte man einen Auslauf abgegrenzt mit einer mittelhohen Bretterwand. Hier konnten die Pferdeknechte die Tiere tagsüber bewegen, ganz vorsichtig, denn die Bohlen des Decks waren für die empfindlichen Turnierpferde glatt wie Eis, und jedes Ausrutschen konnte einen Bruch bedeuten, eine Verstauchung, eine innere Verletzung, das Aus für den Einsatz in Sydney. Standen die Pferde in den Boxen, waren sie angebunden. Sie blickten nur auf die Bretter vor sich, das Meer, die Wellen, die Schaumkronen sahen sie nicht. Es wurde alles vermieden, was sie nervös machen könnte.