In der Funkkabine gingen die Signale hinaus über den Ozean.»Feuer an Bord! Seemaid — Feuer an Bord. Position.«
Hartung zog den Kopf ein. In vollem Lauf stieß er beide Fäuste vor, rammte sie den Matrosen in die Brust, warf sie zur Seite, der Erste Zahlmeister ließ von allein los, als er sah, daß er in die Flammen gezerrt wurde, dann zögerte Hartung einen Wimpernschlag lang, zog den von Nässe triefenden Mantel über den Kopf und warf sich in die Flammen. Das letzte, was man von ihm sah, waren seine vorwärtsschnellenden Beine.
«Ein Irrsinn!«brüllte McClean und warfseine Kapitänsmütze weit weg. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht.»Den sehen wir nicht wieder.«
Dr. Rölle wurde es übel. Er lehnte sich gegen ein Entlüftungsrohr und rang nach Luft. Angela Diepholt schlug beide Hände vors Gesicht.
«Er ist durch!«schrie vom Oberdeck eine helle Stimme. Alles fuhr herum. Dort stand Eve Walkering an der Reling, zusammen mit den anderen fassungslosen Passagieren, und zeigte mit ausgestreckten Armen nach unten.»Er hat den Stall erreicht! Ich kann es sehen! Er ist mitten im Feuer.«
«Auch Mut kann Blödsinn sein!«sagte McClean.»Jetzt verbrennt er mit seinem Pferd.«
Dr. Rölle hatte sich gefangen. Er faltete die Hände hinter seinem Rücken.»Kapitän, wenn ein Schiff untergeht, wer bleibt bis zuletzt an Bord?«
«Ein Pferd ist kein Schiff. «schrie McClean.
«Für Hartung hat es die gleiche Bedeutung wie ein Schiff für Sie!«
«Alle Spritzen in Richtung Stall!«brüllte McClean.»Wir bekommen das Feuer unter Kontrolle, aber für Laska und Hartung ist es zu spät.«
Hartung war durchgebrochen. Die Feuerwand aus Stroh und Heu lag hinter ihm, aber die Flammen hatten schon ihren Weg zum Stall genommen. Die Seitenbretter brannten, das Feuer kroch zum Dach hinauf, lief in die Boxen zu dem Sägemehl. Ein dichter, ätzender Rauchvorhang hing zwischen Laska und ihm. Die Glut benahm ihm den Atem. Er spürte, wie die Hitze seinen Wasserschutz verdunsten ließ, wie der Mantel, sein Anzug austrockneten.
Es blieben ihm nur noch Sekunden, Laska zu retten. Hinter dem Rauchvorhang hörte er sie wiehern, hell, um Hilfe schreiend, mit einem so menschlichen Ton, daß es Hartung trotz der Glut eisig über den Rücken lief.
Er riß den Mantel von sich, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und stürzte vorwärts. Mit dem nassen Mantel um sich schlagend, rannte er in den Stall, der Rauch drang in ihn ein, er hustete, preßte den Mantel vor den Mund und stolperte über brennende Bretter zu Laskas Box. Er konnte sie kaum sehen, so scharf und ätzend biß der Rauch in seine Augen, sie tränten und schwollen zu, und hinter diesem Schleier erkannte er Laska. Sie zerrte an dem festen Lederstrick, ihr Kopf war hochgeworfen, die Beine schlugen nach allen Seiten aus. Sie kämpfte um ihr Leben, das sie durch einen einzigen Lederriemen verlieren würde.
Hartung fiel fast in ihre Box und umklammerte Laskas Hals.»Ich bin da«, keuchte er.»Ruhe! Nur Ruhe! Wir kommen heraus, mein Mädchen, wir schaffen es!«
Laska wurde jetzt ganz ruhig. Ihre schreckgeweiteten Augen starrten Hartung an. Dann fuhr sie ihm mit den Nüstern über das Gesicht, als wollte sie sagen: Ich wußte, daß du mich nicht allein läßt. Sieh, wie ruhig ich bin. Ich habe keine Angst mehr.
Hartung löste mit zitternden Fingern den Strick und führte Las-ka aus der Box. Der beißende Rauch war unerträglich, er rang nach Atem und durfte doch nicht atmen, um nicht den Rauch einzusaugen.
Nur 'raus, dachte er, 'raus aus diesem Stall. Auch draußen ist Feuer, aber da ist wenigstens Luft. Luft! Atmen! Mein Gott, wie wertvoll ist Luft! Man nimmt dieses Atmen einfach so hin, niemand weiß, wie unbezahlbar jeder Atemzug ist.
Nebeneinander laufend drangen sie durch Feuer und Rauch und standen dann draußen vor dem Stall. Vor ihnen loderte die Feuerwand. Nun brannten auch die hohen Bretterzäune des Übungs-platzes. Die großen Planen, die man über das Deck gespannt hatte, um das Ausrutschen der Pferde zu vermeiden, hatten sich in einen Flammenteppich verwandelt. Jenseits der Flammen zischten die Spritzen, Wasserschwälle klatschten auf die Planken, Wolken von Wasserdampf und Rauch hüllten das ganze Vorschiff ein.
Hartung sprang mit einem Satz aufLaskas Rücken. Er deckte seinen Mantel über ihren Hals und beugte sich nach vorn.
«Wir müssen es versuchen, mein Mädchen«, sagte er mit einer plötzlichen Ruhe, die sich auch aufLaska übertrug.»Spring so hoch und weit wie du kannst. Drüber kommst du nicht, mein Schatz, mitten hindurch mußt du. Über die Kisten und durch die Ballen. Es wird dich noch mehr Fell kosten, aber wir werden leben. Und jetzt los, mein Mädchen!«
Er hielt sich an den Trensenriemen fest, beugte sich weit über ihren Hals und stieß Laska die Fersen in die Seiten.
Einen Augenblick reagierte Laska nicht, sie stand wie ein Pflock, starrte in das Feuer und schätzte ihre Sprünge ab. Dann aber dehnte sie sich, ihr Körper wurde wie eine Sehne, angespannt bis zum Zerreißen, und plötzlich schoß sie sich von den Planken ab, ohne Antritt in ein paar Galoppsprünge, hob sich dann ab, mit einem unwahrscheinlichen, noch nie vollführten hohen und weiten Sprung. Sie schwebte über den Flammen, Hartung klammerte sich an ihr fest, duckte sich tief an ihren Hals, verkroch sich auf ihrem Rücken. Sie kommt mitten in den Flammen auf, sie schafft es nicht, die Wand ist zu breit, überall brennt es ja! Der Aufprall, wirklich mitten in einem Stapel lodernder Bretter, Funken stieben hoch, eine Wolke von Glut frißt sich in sie hinein, schlägt über ihnen zusammen. Der zweite Sprung, aus der Funkenwolke heraus, ein verzweifelter Satz in den freien Himmel, ins Leben, in einen Sprühregen aus neun Spritzen.
Hartung rutschte von Laskas Rücken, als er die Kühle spürte, fast eisig nach der Gluthölle, aus der sie kamen. Er konnte die Augen nicht mehr öffnen, sie waren zugeschwollen, er fühlte plötzlich, wie alle Kraft aus ihm wich und Hände ihn hochhoben und wegtrugen.
Er wollte die Augen aufreißen, aber mehr als einen Lichtschimmer sah er nicht.
«Laska!«rief er.»Kümmert euch um Laska! Wie sieht sie aus?«
«Seien Sie ruhig, Sie Narr!«Die Stimme von Kapitän McClean.»Als Sie aus den Flammen heraussprangen, habe ich gelernt, wieder an Wunder zu glauben. Ihrer Laska geht es gut, sie brennt nicht, das ist die Hauptsache.«
Eine kleine, kalte, nasse Hand auf seiner Stirn.
Angela.
Sie lief neben ihm her, als sie Hartung ins Schiffslazarett brachten. Der Schiffsarzt hatte schon alles vorbereitet. Herzspritzen, Sauerstoffmasken, Brandwundensalbe.
«Ich habe es geschafft«, sagte Hartung leise. An dem Schütteln merkte er, daß einige Männer ihn im Laufschritt wegtrugen.»Ich habe es geschafft. Ist Laska schwer verletzt?«
«Pedro kümmert sich um sie und Dr. Rölle. «Die Stimme Angelas. Ein Kuß auf seine zugeschwollenen Augen.»Du mußt tief atmen, Liebling, ganz tief. Ganz tief. Hörst du? Atmen — atmen!«
Hartung nickte. Er lag irgendwo auf einem harten Bett, Sauerstoff zischte über sein Gesicht. Eine Müdigkeit überspülte ihn, die ihn federleicht werden ließ.
Er verlor das Bewußtsein.
Das Feuer wurde unter Kontrolle gebracht und gelöscht. Bis auf die Vernichtung des Stalles, eines Stapels Kisten mit Maschinenteilen, des gesamten Strohs und der Hälfte des Futterheus, der Bodenplanen und dreier Transportwagen hatte die >Seemaid< keine größeren Schäden erlitten. Die Schiffe, die auf die SOS-Rufe von allen Seiten zu Hilfe eilten, konnten wieder abdrehen und ihren alten Kurs aufnehmen.
Kapitän McClean dankte über Funk allen und machte sich dann daran, die Brandursache zu untersuchen.
Er kam zu keinem Ergebnis. Schiffsbrände sind die geheimnis-vollsten und die verheerendsten, obwohl rundum überall Wasser ist. Auch als die >Seemaid< Sydney erreichte und eine Kommission an Bord kam, um den Vorfall zu untersuchen, stieß sie auf lauter Rätsel. Joshua Dunham, der Steward, und Hu-shai, der Koch, wurden erst gar nicht verdächtigt und deshalb auch nur flüchtig verhört.