In Adelaide ging Eve Walkering von Bord. Unauffällig, ohne Abschied, aber Hartung fand am Abend eine Karte auf seinem Bett. Blacky hatte sie im Auftrag von Miss Walkering hingelegt.
«Verzeihen Sie mir«, schrieb Eve Walkering,»Sie sind der mutigste Mann, den ich kenne.«
Fünf Tage später schon ritt Hartung die ersten Turniere um den größten Preis Australiens, den >Preis eines Erdteils<. Mit einem dicken Kopfverband trabte er in den Parcours. Der Beifall von vierzigtausend Menschen umbrauste ihn. Auch Laska sah furchtbar lädiert aus, große Hautstellen fehlten, das Fell war an vielen Stellen noch versengt. Aber sie sprang, wie vor ihr noch nie ein Pferd über australische Parcours gesprungen war. Nach jedem genommenen Hindernis schrien die Vierzigtausend im Stadion auf.
Horst Hartung und die deutsche Equipe gewannen den >Preis eines Erdteiles<.
In Deutschland aber sagte Fallersfeld:»Lange machen sie das nicht mehr! Ein Pferd ist ein Pferd und ein Mann auch nur ein Mann. Die beiden sind wie ein Komet, der plötzlich hell am Himmel leuchtet und die Augen blendet. Wann stürzen sie ab?«
Als Fallersfeld das sagte, waren Hartung und Laska schon auf dem Weg nach Tokio.
Der Judo-Meister
Sie hieß Yana Michimoko, aber jeder nannte sie nur >Mandelblüte<. Wenn sie in ihren viel zu engen, hochhackigen weißen Schuhen und einem seidenen, mit großen Blumen bedruckten Kimono durch die Straßen trippelte, die lackschwarzen Haare kurz geschnitten, das runde Puppengesicht nur leicht geschminkt, in den schrägen Augen immer das unergründliche Lächeln Asiens, dann blieben nicht nur die weißen Männer stehen und blickten ihr nach, auch ihre japanischen Landsleute vergaßen, daß ein Mann nie vor einer Frau seine Bewunderung zeigen soll.
Yana Michimoko begegnete Pedro Romanowski im >Garten der sieben Glückseligkeiten<, als sie für die Ahnen eine Räucherkerze auf dem Gedenkaltar anzündete. Sie kniete vor dem großen, aus Gold und Lack gearbeiteten Schrein und dachte an die Toten der Familie, als Romanowski stehenblieb, die Mütze in den Nacken schob und laut sagte:
«Det is 'n Marjellchen. Donnerwetter!«
Romanowski hatte einen freien Tag ausgenützt, um sich die berühmten japanischen Gärten anzusehen. Seit vier Tagen waren sie in Tokio, um an dem großen Turnier um den >Preis der aufgehenden Sonne< teilzunehmen. Pferde und Reiter waren vorzüglich untergebracht, die japanische Organisation klappte hervorragend, wie es die Japaner schon bei den Olympischen Spielen und der Weltausstellung bewiesen hatten. Die Ställe blitzten vor Sauberkeit und waren nach den modernsten Erkenntnissen angelegt. Die Wohnungen der Reiter lagen in einem neuen Wohnblock neben dem Stadion. Für die Pferdeknechte gab es neben den Stallungen kleine Holzhäuser mit verschiebbaren Innenwänden, die Romanowski anregten, jeden Tag den Grundriß zu verändern, indem er immer neue Zimmergrößen zusammenstellte. Um den ganzen Komplex war eine hohe Mauer gezogen, und nachts patrouillierten Polizeidoppelstreifen durch das Gelände.
«Das ist die beste Organisation, die ich je gesehen habe«, sagte Hartung anerkennend zu Nomo Fukujachi, dem Turnierleiter.»Hier kann man ruhig schlafen.«
So gelang es auch Romanowski, einen freien Tag zu erhalten. Bisher war das undenkbar gewesen. Ein Tag ohne Laska — das war unvorstellbar. Auch jetzt kostete es Romanowski eine gewaltige Überwindung, seinen Liebling für einige Stunden seinem Kameraden vom Nebenstall zu überlassen.
«Wann komm ick wieder nach Tokio«, sagte er zu Laska und striegelte ihr Fell. Es war noch ziemlich räudig und hatte große haarlose Flecken, aber die Haut war reizfrei, und es bildeten sich schon wieder kleine Härchen. Er kämmte ihr die Mähne und die Stirnhaare, putzte ihr die Augen aus und streichelte über ihre weichen Nüstern.»Haste wat dajejen, det ick mir Japan ansehe? Nur 'n Nachmittag, Olle, dann bin ick wieda bei dich.«
Romanowski nahm sich vor, in diesen Stunden viel zu sehen. Er mietete ein Taxi und ließ sich durch die Riesenstadt rollen, über die glänzende Ginza, wo sich Tanzpalast an Tanzpalast reihte, Variete neben Variete, Bar neben Bar. Hier gab es keine Pause, hier wurde das Vergnügen rund um die Uhr geboten.
Er ließ sich kreuz und quer durch Tokio fahren, hielt ein paarmal an, stieg aus und besah sich die Bilder in den Schaukästen der Striptease-Lokale.»Doll!«sagte er und kratzte sich den Kopf.»Einfach doll! Fijürchen sind det! Da muß ick ja Angst hab'n det ick se in de Finger zerquetsche!«
Zwei Stunden besichtigte er Tokio, das Herz Japans, trank mit dem höflichen, immer lächelnden und sich vor ihm verbeugenden Chauffeur in einem kleinen Restaurant Sake, den lauwarmen japanischen Reiswein, aß ein Fleischragout mit Safranreis und wurde beim Verlassen des Lokals von einem sich tief verneigenden Japaner auf der Straße angesprochen.
«Do you speak English?«
«Nee. Ick rede deutsch.«
«Ah! Deutsch!«Der kleine, etwas zerknitterte Japaner klatschte in
die Hände, als habe man ihn reich beschenkt.»Ich kenne auch deutsch. Kommen Sie mit.«
«Wohin?«
«Zu Honigmund.«
«Wat soll ick da? Ick hab jejessen.«
«Zwanzig Dollar für Stunde der Glückseligkeit.«
Romanowski verstand. Er dachte an die Bilder in den Schaukästen und rieb sich die Nase. Man ist nur einmal in Japan, dachte er. Und wenn ick zu Hause erzähle, ick hätte mit eener kleenen, zerbrechlichen Japanerin — aber zwanzig Dollar, det is Wucher. Und weiß einer im voraus, wie Honigmund aussieht?
«Morjen, meen Kleener«, sagte er und klopfte dem Japaner auf die Schulter.»Heute mach ick in Kultur.«
Er ließ sich mit dem Taxi bis zu den Gärten außerhalb Tokios fahren. Dort stieg er um in eine Rikscha, gab dem Rikschamann einen Dollar extra und sagte:»Nu zeig mir mal den Zauber Asiens, meen Junge. Ick jloobe, ick kann mir für die Sache erwärmen.«
Wer einmal japanische Parks und Gärten durchstreift hat, der vergißt sie nie wieder. Ein Duft umweht ihn, der ihn ganz durchdringt, paradiesische Stille umgibt ihn, er wandert über zierliche Brücken und sieht in Miniaturteiche, auf denen Seerosen in allen Farben schillern und Schwärme von Goldfischen unter der Wasseroberfläche schwimmen. Geschnitzte und bemalte Holztore, die wie Tempeldächer aussehen und an denen der Wind silberne Glöckchen zum Klingen bringt, erschließen immer neue Gartenteile, bis man sich in diesem Zauberpark verirrt, irgendwo stehenbleibt und sich wünscht, nie mehr in die laute Welt zurückzukehren.
So kam Romanowski auch an den Ahnenschrein und sah Yana Michimoko vor ihren Räucherstäbchen knien. Sie bemerkte ihn aus den Augenwinkeln, aber sie blieb knien, senkte den schönen Kopf und betete.
Romanowski wartete, bis sich Yana aufrichtete. Er verbeugte sich, wie er es von seinem Chauffeur und dem Japaner, der ihm Honigmund angeboten hatte, gesehen hatte und wartete, was nun ge-
schehen würde.
Es geschah nichts. Yana Michimoko lächelte zurück, trippelte an Romanowski vorbei und ging zu dem kleinen See, auf dem goldfarbene Enten zwischen den Seerosen schwammen. Dort war eine zierliche Bank, Yana setzte sich und legte die schmalen Hände in den Schoß. Ihr Kimono leuchtete in der Sonne, als sei er ein Teil des Blütenmeers im Garten.
«Wie Porzellan«, murmelte Romanowski und ging Yana nach. Hinter der Bank blieb er stehen und musterte kritisch die weißlackierten Holzstäbchen. Wenn ick mir setze, bricht se zusammen, dachte er. Aba versuchen will ick et doch. Janz vorsichtig, so mit eener Arschbacke…