Er lächelte breit, hockte sich in Zeitlupe neben Yana, wunderte sich, daß die Bank nicht ächzte und zusammenkrachte, und setzte sich dann richtig hin. Er schlug die Beine elegant übereinander — im Kino und im Fernsehen machen sie das auch so —, musterte die goldenen Enten und sagte plötzlich:
«Jetzt hat se 'n Fisch jeschnappt!«
Yana Michimoko, die schöne >Mandelblüte<, wandte ihm den Kopf zu. Sie sagte etwas, das wie das Zwitschern eines Vogels klang. Romanowski gab es tief in der Brust einen Stich.
«Wenn ick dir vastehen könnte, Puppe«, sagte er und strahlte Mandelblüte an.»Det is det Blöde bei die Menschen — alle sind Menschen, aba vastehen können se sich nich. «Er zeigte auf sich, machte eine Verbeugung im Sitzen und holte tief Luft, weil Yanas zerbrechliche Schönheit ihm den Atem nahm.»Ick — Pedro Romanowski.«
«Yana Michimoko.«
«Det soll eener aussprechen! Lama Mischimuschi.«
Die kleine Japanerin lächelte höflich. Sie hob die zierliche Hand und sagte langsam:
«Yana.«
Aha, dachte Romanowski. Jetzt lern ick japanisch. Jebrauchen kann man det immer, und er sprach gehorsam nach:
«Yana.«
«Michimoko.«
«Michimoko.«
«Well! Yana!«
Das war Englisch. Romanowski verstand plötzlich.»You Yana!«sagte er und rieb sich die Hände.
«I understand. Verdammt nochmal, ick sollte mir mehr um Sprachen kümmern.«
Es war merkwürdig — keiner verstand den anderen, und doch unterhielten sie sich über eine Stunde lang. Romanowski erzählte von Laska und Horst Hartung, von Ostpreußen und Barsfeld, von den Turnieren und Siegen. Und Mandelblüte zwitscherte von ihrer Familie, den sieben kleineren Geschwistern, dem reichen Onkel Boso, von ihrem Beruf — sie malte Miniaturen, die sehr begehrt waren — und von einem Oki Amakusa, der ihr Freund sei, ein starker Mann, Karatemeister. Er wollte sie hier im >Garten der sieben Glückselig-keiten< abholen.
«Ick nehme dir mit nach Barsfeld«, sagte Romanowski nach dieser Stunde und ergriff Yanas Hand. Sie wollte sie ihm entziehen, aber was Romanowski einmal festhielt, das hing wie in einem Schraubstock.»Wirklich. Det is Liebe uffn ersten Blick. Det is so'n Jucken ums Herz, vastehste? Du, Deutschland is ooch schön. Anders schön wie Japan, weeßte? Mein Jott, wie soll ick dir det erklären? Wie soll ick übahaupt wissen, ob de mir ooch liebst? Yanamäuschen, komm mit zum Stall. Dort such ick mir 'n Dolmetscher.«
Er stand auf, zog Yana Michimoko von der Bank hoch und legte den Arm um ihre schmale Schulter. Das Mädchen bekam ängstliche Augen. Sie schob sich von Romanowskis breiter Brust weg und zwitscherte wieder etwas.
«Hast recht, Püppchen«, sagte er.»Aba det jibt sich. Irgendwie vastehen wir uns noch.«
Er legte den Arm um sie und genoß das Glücksgefühl, das ihn durchströmte. So war's noch nie, dachte er. Nicht bei der Erna und auch nicht bei der Marion. Jetzt ist es ernst, verflucht noch mal.
Ich möchte in Japan bleiben.
Es war das erstemal, daß er Laska vergaß. Und er sollte es bereuen.
Yana Michimoko versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. In ihren schwarzen schrägen Augen flackerte die Angst.»Oki«, sagte sie, als Romanowski sich in Bewegung setzte und sie einfach mitzog.»Oki…«
«Weiß der Teufel, was Oki heißt!«brummte er. Er streichelte Yana mit der Zärtlichkeit eines Bären über das Haar und das zuckende Gesicht.»Keene Angst, meen Liebling, ick will ja nur 'n Dolmetscher suchen.«
Sie waren hundert Meter durch den Garten gegangen, als Yana plötzlich stehenblieb. Ihre Augen weiteten sich.
«Oki«, sagte sie wieder. In ihrer Stimme schwang Furcht.
«Verdammt, was is Oki?«knurrte Romanowski.
Über eine der zierlichen gebogenen Brücken kam ein Mann, etwas größer als Yana, aber gegen Romanowski wie ein Zwerg. Er hatte breite Schultern, ein flaches, glattes Gesicht und kurze Beine. Mit einem freundlichen Lächeln stellte er sich Romanowski in den Weg, verbeugte sich und streckte ihm die Hand hin.
Ahnungslos griff Romanowski zu. Das sind höfliche Menschen, dachte er. Keiner kennt den anderen, aber jeder macht einen Diener vor dem anderen. In Europa würde man einen so freundlichen Mann wie einen Idioten ansehen. Es gibt eben zu wenig Höflichkeit auf der Welt.
Der kleine, stämmige Japaner sah Romanowski kurz an. Dann machte er eine kleine Seitenbewegung, hob das kurze Bein und zog. Ehe Romanowski begriff, was mit ihm geschah, wirbelte er durch die Luft, sah den schönen >Garten der sieben Glückseligkeiten aus einer verzerrten, im Flug wechselnden Perspektive und knallte unsanft mit dem Gesicht nach unten auf die Erde. Hinter sich hörte er Yana Michimoko leise aufschreien und aufgeregt zwitschern.
Romanowski sprang auf die Beine. Er warf sich herum, zog den Kopf zwischen die Schultern und schnaufte tief durch die Nase.»Tu det nich noch eenmal!«sagte er.»Un damit det nich noch eenmal
vorkommt, rasier ick dir jetzt!«
Er machte zwei Schritte vorwärts, hob seine schweren Fäuste, ein Goliath vor einem David, blickte schnell zu Mandelblüte, die beide Hände erschrocken vor den Mund gepreßt hatte — aber wie bei Goliath wiederholte sich auch hier, daß Kraft allein nicht genügt. Kaum waren Romanowskis Fäuste vorgestreckt, tauchte der kleine Japaner darunter weg, seine Hand schnellte blitzartig vor, die Handkante traf Romanowski in die Magengrube, und das war, als habe ihn jemand mittendurch geschnitten. Er krümmte sich, brach in die Knie und blieb so hocken. Tränen schossen ihm in die Augen, der Garten drehte sich um ihn wie ein Karussell, und langsam verbreitete sich der Schmerz über seinen ganzen Körper.
Damit nicht genug der kleine Japaner trat an ihn heran, verneigte sich wieder mit großer Höflichkeit vor ihm und warf ihn dann mit einem kaum sichtbaren Schwung flach auf den Boden.
«Oki!«hörte Romanowski die schöne Yana schreien.»Oki.«
Das ist es, dachte er und streckte sich. Oki heißt der Knabe. Wer soll das wissen? Es kann doch nicht jeder Japanisch. Dann umfing ihn eine dunkle Wolke, der >Garten der sieben Glückseligkeiten verschwand in wogenden Nebeln. Romanowski versuchte gar nicht, dagegen anzukämpfen, und versank in tiefe Bewußtlosigkeit.
Oki Amakusa verbeugte sich dreimal vor dem Ohnmächtigen, dann organisierte er den Abtransport Romanowskis. Er holte ein Taxi, man schleppte den schweren Riesen ins Auto, Mandelblüte schimpfte mit ihrem Verlobten, legte Romanowski eine Seerose auf die Brust, dann fuhr man ihn zum nächsten Krankenhaus, in die Unfall-Station, und lieferte ihn dort ab.
Früher als beabsichtigt kehrte Romanowski in die Stallungen zurück. An seinem Hinterkopf prangte eine dicke Beule, die Magenpartie war blau unterlaufen, an der linken Schulter hatte er Prellungen, das rechte Auge wuchs durch eine Schwellung zu. Die japanischen Ärzte, die ihn untersucht hatten, gaben ihm ein Mittel zum Einreiben mit, eine übelriechende Flüssigkeit, die Romanowski sofort in den Rinnstein goß. Das war ein Fehler, denn seine Selbstbe-handlung mit Eisbeutel und Alkoholumschlägen dauerte länger.
«Japan is nischt für uns, Olle«, sagte er am Abend zu Laska.»Jetzt muß ick nur die richtije Ausrede hab'n, die Herrchen ooch jloobt.«
Das war nicht nötig. Horst Hartung kam nicht mehr in die Stallungen. Er besichtigte in Tokio die berühmte Judo-Schule des Meisters aller Klassen, Eno Takajaka.
Zu Tokio gehörten die Ginza, der Fudschijama — der heilige Berg —, das Geisha-Theater mit der stundenlangen Tee-Zeremonie, die Samurai-Oper, eine Besichtigung der neuen Industrie-Giganten, die Gärten und Parks, der Smog, jener Nebel aus Abgasen und Regenwolken, bei dem die Japaner sich weiße Atemmasken vor den Mund binden, der Kaiserpalast mit seinen jahrhundertelang unzugänglichen Gärten und die Judo-Schule von Takajaka.
Dr. Rölle, Hartung, Angela und der Turnierleiter Fukujachi hatten Tokio in stundenlangen Ausflügen kennengelernt. Fukujachi erwies sich dabei als hervorragender Führer, der auch hinter Türen blicken durfte, die sonst Europäern verschlossen bleiben.