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Hartung wurde geröntgt, der Bruch unter dem Bildwandler eingerichtet, aber dann begann die Schwierigkeit. Als man Hartung in den Gipsraum fahren wollte, weigerte er sich.

«Keinen Gips«, sagte er. Der japanische Chefarzt, ein freundlicher Mann mit weißen Haaren und einer dicken Brille, der vor vierzig Jahren in Heidelberg studiert hatte, hielt das Rollbett an.

«Es ist ein komplizierter Bruch. Wir müssen den Arm völlig ruhig stellen und die Schulter dazu. Sie bekommen einen kleinen Brustpanzer.«

«Das befürchte ich. Herr Professor, es muß auch anders gehen.«»Nein.«

«Es muß!«

«Wollen Sie ein schiefes Schlüsselbein behalten?«

«Eine stramme Binde — genügt das nicht?«

«Nein! Jede Bewegung.«

«Ich weiß es! Das rechte Schlüsselbein war auch schon gebrochen.«

«Das hier ist ein komplizierter.«

«Herr Professor, ich muß übermorgen über den Parcours.«

«Unmöglich.«

«Es gibt kein Unmöglich. Ein großer Mann hat einmal gesagt: Es gibt nur eine Entschuldigung — den Tod!«

«Aber Sie sind kein großer Mann, sondern ein ganz kleiner, der sich das Schlüsselbein gebrochen hat. Ich kann Sie bandagieren, und Sie können auf ein Pferd klettern, aber was Sie dort oben erleiden werden, sind Höllenqualen.«

«Dann bandagieren Sie mich.«

«Nein. Ich bin Arzt und habe eine Verantwortung zu tragen. Das kann ich nicht verantworten.«

Hartung tastete nach seiner linken Schulter. Nach dem Einrichten hatte man sie zwischen zwei Schienen gepreßt und umwickelt.

«Lassen Sie mich nach Hause bringen, Herr Professor, bitte«, sagte er leise.

«Was heißt — nach Hause?«

«Zu den Ställen am Stadion.«

«Das ist Wahnsinn, Mr. Hartung! Ich müßte Sie einfach zwingen.«

«Sie können mich nicht zwingen. «Hartung lächelte verzerrt.»Ich bin kein Dickkopf, Herr Professor, auch kein Märtyrer, schon gar nicht ein Held. Aber ein gebrochenes Schlüsselbein ist kein Grund, nicht zu reiten. Ich kann meine Equipe nicht im Stich lassen, es sind junge Reiter, ich bin ihr Rückhalt, verstehen Sie das?«

«Ich verstehe nur, daß Sie verrückt sind. «Der japanische Professor winkte. Ein Pfleger rollte das Bett zurück zum Fahrstuhl.»Wie Sie wollen, Mr. Hartung. Ich lasse Sie zu den Pferden bringen. Aber Sie unterschreiben mir, daß das auf Ihre eigene Verantwortung ge-schieht.«

Eine Stunde später luden zwei Sanitäter Horst Hartung vor den Wohnungen der Reiter aus und trugen ihn auf sein Zimmer. Angela und Dr. Rölle folgten der Trage und schimpften auf Hartung ein. Nomo Fukujachi hing unten beim Hausmeister am Telefon und sprach mit einem der besten Chirurgen Tokios, Professor Hahito Kawaguchi.

Aber auch der berühmte Kawaguchi winkte ab, als Fukujachi ihm die Lage schilderte.

«Soll ich mich mit Mr. Hartung herumschlagen?«fragte er.»Ich bin Chirurg, aber kein Bändiger von Unbelehrbaren, um es höflich auszudrücken. Ich komme nur, wenn Mr. Hartung sich meinen Anordnungen fügt.«

Resigniert legte Fukujachi auf. Es hat keinen Zweck, dachte er und rauchte hastig eine Zigarette. Man kann Horst Hartung doch nicht so lange betäuben, bis das Turnier vorbei ist. Wenn seine Begleitung es nicht schafft, ihn zur Vernunft zu bringen, wie sollen wir das können, ohne ihn zu beleidigen?

Langsam stieg er die Treppen hinauf zu Hartungs Zimmer. Wenn er wirklich übermorgen reitet, dachte er, wird er vom Pferd fallen, beim ersten Hindernis schon, und sich den Hals brechen. Oder die Schulter, den Arm, die Beine, das Rückgrat — auf jeden Fall wird man ihn als Krüppel vom Parcours tragen.

Das darf nicht sein. Man wird mich für alles verantwortlich machen. Ich bin Chef des Turniers.

Wir müssen verhindern, daß Horst Hartung gegen alle Vernunft in den Sattel steigt.

«Nun zeigen Sie, was Sie können«, sagte Hartung. Er lag auf einem Tisch, schwitzte vor Schmerzen, hatte die Fäuste geballt und starrte Dr. Rölle aus tränenden Augen an.»Wenn Sie Pferde bandagieren, werden Sie das doch auch bei mir können.«

«Pferde sind keine Hornochsen! Aber Sie sind einer!«»Schimpfen Sie, so lange Sie Lust haben, nur tun Sie endlich etwas!«Er drehte den Kopf zur Seite und sah hinüber zu Angela. Sie saß in einem Sessel und hatte kapituliert. Alles Zureden hatte nichts geholfen, alles Bitten und Flehen, keine Küsse und kein Streicheln.

«Ich reite!«hatte Hartung erklärt.»Es muß nur jemand da sein, der mir die richtigen Bandagen anlegt. Mit den Zähnen knirschen kann ich dann allein.«

«Hilf du mir wenigstens«, sagte er jetzt. Es klang kläglich.»Sag, daß du mich verstehst.«

«Ich sage kein Wort mehr. Du bist wie ein kleiner ungezogener Junge, der sein Spielzeug nicht bekommt.«

«Wenn ich nicht reite, ist unsere Equipe um eine Chance ärmer.«

«Das weiß jeder! Aber es gibt noch mehr als Reitersiege! Deine Gesundheit ist wichtiger. Ein verkrüppelter Hartung nutzt keinem mehr etwas.«

«Bravo!«Dr. Rölle beugte sich über Hartung.»Man sollte Sie ohrfeigen!«

«Angi, helfen Sie mit!«Dr. Rölle hatte einen Berg Bandagen vor sich liegen. Er drückte Hartung vorsichtig in eine sitzende Stellung und begann dann, wieder die linke Schulter und die Brust mit den festen Leinenbändern zu umwickeln.

Nomo Fukujachi, der keuchend das Zimmer erreicht hatte, stand wortlos neben dem Tisch und sah zu, wie Dr. Rölle aus dem Oberkörper Hartungs eine weiße Rolle machte. Erst als die Bandagen saßen und Hartung vorsichtig vom Tisch glitt, die ersten Schritte machte, den Arm in ein Dreieckstuch schob, sagte er mit einem deutlichen Unterton von Unnachgiebigkeit:

«Als Turnierleiter werde ich Sie nicht reiten lassen. Ich sperre Sie, Mr. Hartung!«

Hartung blieb stehen. Sein Gesicht wurde sehr ernst.

«Das steht in Ihrer Macht, Mr. Fukujachi. Aber dann garantiere ich Ihnen, daß die gesamte deutsche Mannschaft nicht antritt. Hier bin ich der Equipenchef!«

«Wollen Sie einen Skandal?«fragte Fukujachi.

«Ich nicht.«

«Ihr Ritt ist halber Selbstmord.«

«Aber nur ein halber! Solange die Chancen 50:50 stehen, gibt es gar keine Fragen mehr.«

«Es ist sinnlos, Mr. Fukujachi. «Angela schüttelte, den Kopf. Sie kannte Hartung lange genug, um zu wissen, daß jetzt keine Worte mehr halfen.»Entweder er fällt vom Pferd, oder er schafft es — eine andere Alternative gibt es jetzt nicht mehr.«

«Ich werde nach Deutschland telegrafieren.«

«Auch das haben wir schon getan. «Dr. Rölle packte die restlichen Binden in seinen großen Tierarztkoffer.»Baron Fallersfeld ist weit weg, Hartung weigert sich, telefonisch mit ihm zu sprechen — was soll man da noch machen?«

«Dem verdammten Kerl eine Spritze geben!«rief Fukujachi, gar nicht mehr voll asiatischer Höflichkeit.»Damit er achtundvierzig Stunden schläft!«

«Ihr könnt reden, soviel ihr wollt«, sagte Hartung. Er marschierte im Zimmer hin und her und zwang sich, nicht an seinen Arm und die Schmerzen zu denken.»Ich reite doch!«

Zwei Nächte Schmerzen. Zwei Nächte keinen Schlaf. Die geringste Bewegung brannte wie Feuer in der Schulter. Selbst das Gehen, die leichte Erschütterung jedes Schrittes, spürte er als Stiche im Schlüsselbein.

Stundenlang saß er im Bett, gegen die Rückwand gelehnt. Das war die beste Haltung, in der er schmerzfrei war, wenn er ganz ruhig saß und sich kaum bewegte.

Morgen reite ich, sagte er sich immer wieder vor. Ich weiß, daß es Wahnsinn ist, aber die jungen Reiter sind so unsicher, wenn ich ausfalle. Ihnen fehlt die internationale Erfahrung, sie haben noch nicht die Kaltschnäuzigkeit, mit der man über einen Parcours reitet, nicht die Nerven, wenn sie plötzlich allein dastehen und die ganze Last des Wettstreits auf ihren Schultern ruht. Ich muß rei-ten!