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«In Ordnung?«fragte Dr. Rölle.

«Ja. «Hartung lächelte schwach.»Wenn man bei einem Viehdoktor in Behandlung ist…«

Der Parcours war schwer. Die Japaner hatten Schwierigkeiten eingebaut, an denen die meisten Reiter hängenblieben. Selbst die hier so hervorragenden Russen rissen zweimal und gingen mit acht Fehlern vom Platz. Die deutschen Reiter — Hartung ritt als letzter — kamen mit vier Fehlern aus dem Stadion. Um zu gewinnen — es gab hier nur eine Nationenwertung und keinen Einzelsieg —, durfte Hartung nur mit null Fehlern den Parcours verlassen.

«Unmöglich«, sagte Dr. Rölle.»Dieser Ritt ist völlig umsonst.«

«Wo ist Angela?«fragte Hartung, als Romanowski ihn in den Sattel hob.

«Nicht im Stadion. Sie packt ihre Koffer.«

«Das glaube ich nicht. Such sie.«

«Herrchen!«Romanowski klammerte sich an Hartungs Stiefel fest.»Bitte reiten Sie nicht!«

«Nummer 54, Horst Hartung auf Laska«, ertönte es aus den Lautsprechern in vier Sprachen. Die weiße Barriere hob sich. Einreiten! Es gab kein Zurück mehr. Romanowski preßte die Hände vors Gesicht und wandte sich ab.

Langsam, vorsichtig ritt Hartung auf den Parcours. Laska spürte, wie er mehr im Sattel hing als saß. Sein Schenkeldruck war kraftlos, kaum spürbar, die Zügelführung fast eine Farce.

Hartung zog die Kappe und grüßte. Sechzigtausend Menschen klatschten begeistert. Sie sahen, daß er den Arm in der Binde trug, daß er einarmig über diese schwierigsten Hindernisse, die man je in Japan aufgebaut hatte, springen wollte. Der >Preis der aufgehenden Sonne< war die höchste Reitertrophäe Asiens.

Dann wurde es still in dem riesigen Stadion. Hartung ritt an. Nur vier Fehler durfte er machen, um das Stechen zu erreichen. Vier Fehler, einmal abwerfen bei siebenundzwanzig Hindernissen. Ein mörderischer Parcours.

Trab. Angalopp. Das erste Hindernis, ein Birkenoxer, 1 Meter 50 hoch, für Laska eine Kleinigkeit.

Sie sprang ab, ohne auf Hartungs Hilfe zu warten, flog langgestreckt durch die Luft und setzte so weich wie möglich auf.

In Hartungs Gehirn explodierte etwas. Er sah das Stadion in roten und grünen Farben, die auf und ab wogten und schrille Töne von sich gaben. Dann einen Augenblick Klarheit — so klar, als sei alles aus Chrom und auf Hochglanz poliert.

Das zweite Hindernis. Ein weißes Tor. 1 Meter 70 hoch.

Hinüber.

Hartung stöhnte. Er beugte sich nach vorn, biß sich auf die Lippen und spürte, wie sein ganzer Körper wie im Schüttelfrost zitterte.

Noch fünfundzwanzig Hindernisse.

Die Mauer. Der Wassergraben. Der Doppeloxer. Der Wall. Die Dreierkombination, an der die meisten Reiter hängenblieben.

Hinüber. Hinüber. O Laska, Laska, du bist ein himmlisches Pferd.

Der Plankenoxer. Das Amsterdamer Tor. Das große Gatter. Der Bretterplankenzaun, 1 Meter 60 hoch. Die Feldsteinmauer, 1 Meter 60 hoch. Die Palisade. Die Triplebar.

Gerissen. Vier Fehler. Jetzt geht es ins Stechen mit Rußland und Italien. Wenn kein neuer Fehler passiert, wenn Laska die letzten Hindernisse nimmt.

Hartung sah kaum noch etwas. Seine Augen tränten, in seiner Schulter tobte der Schmerz. Er hing im Sattel, hielt sich nur mühsam fest, lenkte Laska zu den einzelnen Hindernissen und ließ sie springen, wie sie wollte.

«Es geht nicht mehr, mein Mädchen«, keuchte er, als noch drei Sprünge übrigblieben.»Mach es allein, ich kann nicht mehr.«

Ein Doppelbirken-Rick. Noch einmal ein Gatter. Dann der Steilsprung, 1 Meter 70 hoch.

Hartung umklammerte mit dem rechten Arm Laskas Hals, als sie in die Höhe schoß und die 1 Meter 70 übersprang, als sei sie aus Gummi. Er schrie laut auf, als sie auf den Boden krachten und blieb über dem Hals Laskas hängen, während sie aus dem Stadion galoppierte.

Sechzigtausend Menschen schrien auf und trampelten, klatschten und schwenkten die Fahnen mit der aufgehenden Sonne. An der Barriere stand Nomo Fukujachi und hob zusammen mit Romanowski Hartung vom Pferd.

«Jetzt weiß ich, wie ein Halbtoter aussieht«, sagte er.»Nach dem Stechen sind Sie ganz tot.«

Die Hindernisse wurden umgebaut. Eine Atempause für Reiter und Pferde. Hartung saß allein unter einem Sonnensegel auf einem Schemel, Laska stand neben ihm und sah ihn an. Niemand wagte, ihn zu stören, anzusprechen oder sich ihm zu nähern. Sein schmerzverzerrtes Gesicht war zur fratzenhaften Maske geworden.

Das Stechen.

Acht Hindernisse. Die Mauer mit 1 Meter 90. Die Dreierkombination mit 1 Meter 80. Achtmal noch die Höllenqual. Achtmal.

Wer hält das aus?

Dr. Rölle kam mit seiner Injektion. Hartung winkte ab.

«Nachher, Doktor. Nachher können Sie mich vollpumpen wie einen Ballon. Ihre Spritzen machen müde.«

«Glauben Sie bloß nicht, daß ich Sie bewundere!«

«Wo ist Angela?«»Keine Ahnung. Nicht bei der Turnierleitung, nicht auf der Tribüne — verschwunden. Wundert Sie das?«

«Ja. Angi gehört zu mir. Sie weiß es. Und irgendwo wartet sie, sieht zu.«

«Wie kann man nur ein Ungeheuer wie Sie lieben?«Dr. Rölle zuckte zusammen. Vom Turnierleiterturm erklang ein Glockenschlag.»Das Stechen beginnt. Horst.«

«Ruhe, Doktor, Ruhe. «Hartung stand ächzend auf. Er ging zu den Warteplätzen, und Laska folgte ihm mit hängenden Zügeln.»Schlucken Sie ein Beruhigungsmittel.«

Das Stechen begann. Fukujachi hatte es so eingeteilt, daß Hartung als letzter sprang. So war zu übersehen, welche Chancen die Deutschen hatten, welche Last auf Hartung liegen würde.

Rußland — sechzehn Fehler.

Italien — acht Fehler.

Deutschland bis auf Hartung vier Fehler.

«Das heißt«, sagte Fukujachi,»daß er null Fehler reiten muß, denn ein zweites Stechen ist menschenunmöglich für ihn.«

Als Hartung einritt, schwiegen die Sechzigtausend. Als er grüßend seine Kappe senkte, klatschte niemand. Es war wie bei einem Trapezartisten, der mit verbundenen Augen an der Zirkuskuppel seinen dreifachen Salto mortale drehen will. Aber einen dreifachen Salto ohne Netz.

«Los, mein Mädchen«, stöhnte Hartung.»Acht Sprünge — was sind für uns acht Sprünge und eine Mauer von 1 Meter 90?«

Acht Sprünge. Achtmal hörte man im Stadion Hartungs Aufschrei, wenn Laska wieder auf den Boden aufsetzte. Die beiden letzten Hindernisse gab es für ihn nicht mehr, er hing kraftlos an Laskas Hals, er spürte keine Schmerzen mehr, er war in einem Dämmerzustand zwischen Leben und Sterben.

Die Mauer, der letzte Sprung, die Entscheidung, der Sieg.

Mit einem Gewicht im Sattel, mehr war Hartung nicht mehr, visierte Laska das hochragende Hindernis an. Dann streckte sie sich, kurz vor der Mauer, in einem Augenblick, in dem alle sich einig waren, daß sie mitten durch das Hindernis fegen würde, streckte sich hoch in den Himmel, stieß sich mit den sprunggewaltigen Hinterläufen ab, schnellte mit einem herrlichen Bogen über die Mauerkrone.

Noch bevor sie aufkam, tobten die Sechzigtausend. Es war ein Schrei wie aus einer Kehle.

Null Fehler.

Der Sieg der deutschen Equipe.

Laska galoppierte aus dem Stadion. An der Barriere standen Dr. Rölle, Angela und Fukujachi. Romanowski warf sich Hartung entgegen, als Laska stehenblieb.

Langsam, ganz langsam rutschte Hartung seitlich aus dem Sattel und fiel in die Arme von Romanowski. Seine Augen waren geschlossen, sein Atem kaum hörbar. Im Augenblick, als sie aus dem Stadion ritten, hatte er das Bewußtsein verloren.

Dr. Rölle, Angela, Romanowski und Fukujachi trugen ihn zur Sanitätsstation, während am Siegermast die deutsche Fahne hochgezogen wurde. Und neben ihnen ging Laska, ihre weichen Nüstern strichen zärtlich über Hartungs bleiches, entspanntes Gesicht.