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«Wer ist diese Frau?«fragte Fallersfeld ohne Einleitung. Seine Stimme hatte den zackigen Klang angenommen, von dem alte Kavallerieoffiziere nie loskommen. Hartung atmete auf. Diesmal also nicht Laska, dachte er. Eine Frau. Welche Frau?

«Ist Angela doch gekommen?«fragte er zurück.

«Hartung, spielen Sie nicht den Tugendbold. Mein Gott, ich wünschte, Angela wäre hier. Die Frau dort am Zaun. Sagen Sie bloß nicht, Sie kennen sie nicht. Wer Pferde studiert hat, begreift auch die Frauen. Sie hat den Kopf in den Nacken geworfen, als Sie auf den Platz kamen. Nur gewiehert hat sie noch nicht. Wer ist sie?«»Sie heißt Luisa Gironi. «Hartung schielte hinüber zur Umzäunung. Luisa lehnte daran in der stolzen Haltung einer sizilianischen Rächerin.

«Und weiter?«

«Weiter nichts, Baron.«

«Das soll Ihnen einer glauben? Bin ich ein Trottel?«

«Warum wollen Sie mich zur Beantwortung dieser Frage zwingen, Baron?«

«Sie kennen diese Gironi?«

«Flüchtig.«

«Was heißt bei Ihnen flüchtig?«

«Sie hat mich vorgestern und gestern eingeladen, sie auf ihrem Zimmer im Hotel >Kurpark< zu besuchen.«

«Oha!«Fallersfeld schnaubte wieder durch die Nase.»Und das nennen Sie flüchtig? Wo fängt bei Ihnen massiv an?«

«Ich bin nicht hingegangen, Baron.«

«Warum nicht?«

«Laska war zu nervös.«

«Mein Gott, ja, Laska. Dieses Aas!«Fallersfeld klemmte das Monokel fester ins Auge.»Ich habe beschlossen, Laska heute als Reservepferd…«

«Bevor Sie weitersprechen, Baron, eine Feststellung. «Hartung sagte es leichthin, ohne Nachdruck, aber Fallersfeld kannte ihn zu gut, um die folgenden Worte leichtzunehmen.»Ich reite heute Laska über den Parcours oder überhaupt nicht.«

«Hartung, das ist Auflehnung. Die Anordnungen des Equipenchefs sind…«

«Ich weiß, ich weiß. Baron, Laska hat Sie einmal gebissen. Das war vor einem Jahr.«

«Sie beißt alles und jeden! Sie ist das unverträglichste Luder, das ich kenne. Sie hat keine Disziplin, einen ungeheuren Dickschädel, macht, was sie will, und Sie, Hartung, Sie sind nicht ihr Herr, sondern ihr Sklave geworden. Ihre Liebe zu dem Gaul ist fast schon pathologisch!«

«Ich habe zwei Jahre mit ihr gearbeitet. Zwei Jahre, die ein ständiger Zweikampf waren. Und Sie wissen, was Laska kann. Sie selbst waren es, der sagte: Ich habe solch ein Pferd noch nicht gesehen!«

«Das kann man nach allen Seiten interpretieren!«Fallersfeld drückte das Kinn an den Hemdkragen.»Sehen Sie sich ihren Liebling an. Wenn Romanowski sie jetzt losließe, würde sie über den Platz fegen und alle anderen Pferde vom Rasen verjagen. Wollen Sie heute die große Blamage Ihres Lebens erreiten? Ein Reiterclown beim >Großen Preis< von Aachen? Ihre Laska wird Sie lächerlich machen. Zugegeben, sie springt wie eine Heuschrecke, aber sie benimmt sich wie ein Bock!«

«Lassen wir es darauf ankommen. Versuchen wir es, Baron.«

«Versuchen! Ein Großer Preis ist kein Experiment! Hartung, ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie heute Laska gegen meinen — sagen wir es milde — Vorschlag doch reiten und die deutsche Equipe kommt um den Sieg durch Ihre Laska, wird das eine Suspendierung nach sich ziehen.«

«Einverstanden. «Horst Hartung drehte sich etwas zur Seite und verbeugte sich leicht zu Luisa Gironi hin. Sie antwortete ihm mit einer flüchtigen Handbewegung.»Ich nehme an. Versagt Laska, werde ich aus der Equipe ausscheiden…«

«Hartung!«Fallersfeld ließ das Monokel in die hohle linke Hand fallen. Es sah sehr imposant aus.»Ich wollte, es wäre Nacht oder Angela käme!«

Hartung ging hinüber zu Laska und Romanowski. Sie streckte den Kopf vor, als sie Hartung sah, und ihre schönen Augen glänzten. Aber in ihrem herrlichen goldglänzenden Körper zitterten Unruhe und Spannung. Die Flanken bebten.

«Wir sollten uns 'ne einsame Ecke aussuchen«, sagte Romanowski vorsichtig.»Ick trau ihr nich.«

«Fängst du jetzt auch noch an? Der Baron singt schon Schauerarien.«

«Denken Sie an die neunzehn Vorturniere. «Romanowski warf die Zügel über Laskas Kopf und hielt Hartung den Steigbügel hin. Hartung schwang sich in den Sattel. Laska rührte sich nicht. Sie stand wie ein Denkmal, nur die Ohren zuckten vor und zurück.»Sie hat fünfzehn davon gewonnen«, sagte Hartung.

«Und sieben Pferde gebissen, vier getreten und zweimal 'ne Keilerei im Stallgang anjefangen. Ick hab zwei Rippen anjebrochen, eene Platzwunde an der rechten Hüfte.«

«.und schläfst doch jede Nacht neben ihr in der leeren Box.«

«Sonst wird se noch duller!«schrie Romanowski, als Hartung anritt, zunächst im Schritt, dann im leichten Trab. Romanowski lief noch ein Stück nebenher.»Dat Luder spürt, was heute für'n Tag is.«

Hartung ritt zwei Runden um den Abreiteplatz, leicht, elegant, auf einer Laska, die schwerelos wirkte, völlig entkrampft und ruhig. Nach der zweiten Umrundung hielt er vor Luisa Gironi an. Sie hatte das Kinn auf beide Hände gestützt und sah Hartung von unten herauf an. Hinter den dunklen Gläsern der großen Sonnenbrille konnte man ihre feurigen Augen nur ahnen.

«Sie sind nicht gekommen«, sagte sie in jenem singenden Deutsch, das den Reiz südländischer Frauen noch vermehrt.»Nun komme ich zu Ihnen.«

«Ich habe Ihnen einen Brief geschickt, Signorina.«

«Und ich habe ihn zerrissen, ohne ihn gelesen zu haben.«

«Das war ein Fehler. Er hätte Ihnen Auskunft gegeben.«

«Ich will keine Auskunft«, sagte Luisa ungehemmt,»sondern Sie.«

«Signorina Gironi!«

«Soviel von Pferden verstehen Sie, und so wenig von Frauen?«Sie warf den Kopf hoch, und ihre Hände klammerten sich plötzlich um den Zaun. Ihr schönes Gesicht, geteilt von der Sonnenbrille, war voller Leidenschaft.»Ich habe zweimal auf Sie gewartet, habe auf meinem Bett gelegen, bis es Morgen wurde, habe das Bett und die Kissen und mich selbst geschlagen, bis ich keine Luft mehr bekam. Glauben Sie, daß eine Frau wie ich das erträgt?«

Horst Hartung zog Laskas Kopf zurück. Fast unmerklich hatte sie ihn nach vorn gestreckt und schob jetzt die Nüstern hoch. Bevor sie zubeißen konnte, riß Hartung an der Olivenkopftrense. Lui-sa Gironi bemerkte es nicht, sie achtete nur auf Hartung.

«Wären Sie jetzt auf Sizilien, wären Sie schon tot!«sagte sie gepreßt.»Und ich werde Sie noch töten. Um 14 Uhr beginnt das Turnier, ich warte auf Sie bis 12 Uhr auf meinem Zimmer. Kommen Sie nicht, leben Sie von da an mit dem Tod zusammen.«

Sie drehte sich brüsk um und ging davon. Langsam, wiegend, eine der schönsten Frauen, die Hartung je gesehen hatte. Verblüfft starrte er ihr nach. Dann lachte er vor sich hin und ritt weiter. Mit der Pistole ins Bett, dachte er und schüttelte den Kopf. Verrückt. Schade um so viel Schönheit, wenn dahinter nichts als Exaltiertheit und Launen stecken. Wie ein Kind, das nur diese Puppe haben will. Nur diese eine Puppe!

Hartung trieb Laska in einen vollen Galopp. Mit gestrecktem Körper schoß sie über den Platz. Fallersfeld, der neben Romanowski stand, räusperte sich.

«Beim Zeitspringen gewinnt sie immer«, sagte er unwillig.»Vorausgesetzt, sie kommt über die Hindernisse. Ein schneller Gaul. Sssst!«Er schob die Sportmütze in den Nacken. Laska war über ein Übungs-Doppelriek geflogen, weit über den Stangen, elegant und langgestreckt.»Aber zu unruhig, viel zu unruhig. «Fallersfeld nahm die Mütze ab, er schwitzte plötzlich, wenn er an das Turnier dachte. Ein Windstoß zerzauste seine schneeweißen Haare.»Romanowski, kennen Sie das verdammte Weib da drüben, das eben weggeht?«

«Nee, Herr Baron. Aber wo Herr Hartung is, sind ooch die Weiber.«

«Leider, Pedro, leider. Kommt eigentlich Angela?«

«Ick weeß nich, Herr Baron. Da hat's Krach jejeben. Zwee Jahre nur Arbeit mit der Laska und kaum Zeit für die Liebe, det macht ooch een Engel wie Angela nich mehr mit.«

Hartung probierte Laska durch. Verschiedene Gänge, Gehorsamsübungen, kurze, schnelle Wendungen. Sie gehorchte wie eine gut geölte Maschine. Und Hartung vergaß alle Warnungen und vor allem den sizilianischen Racheschwur: Ab 12 Uhr leben Sie mit dem Tod zusammen!