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Mit ausgebreiteten Armen rannten Hartung, Angela und Romanowski ihr entgegen. Laska warf den Kopf hoch und wieherte triumphierend. In diesem Moment, als sie in Sicherheit war, brüllte Juan Socorro sein Kommando:

«Hacerfuego!«

Von allen Seiten dröhnten die Schüsse. Das Maschinengewehr ratterte. Handgranaten explodierten auf der Weide. Es war ein imposanter Feuerzauber, aber niemand wurde verletzt. Alle Schüsse wurden bewußt vorbeigezielt, denn die vier Banditen standen mit hocherhobenen Armen an der Mauer und dachten gar nicht an Widerstand.

PolizeichefSocorro war zufrieden. Als stürme er eine Festung, rannte er mit seinen Polizisten hinunter in den Talkessel. Von allen Seiten kamen sie, stolz über diesen Sieg.

«Ihr räudigen Hunde!«schrie unten Socorro die zitternden Banditen an.»Ich verspreche euch, daß ihr vor Hunger noch die Wanzen in eurer Zelle freßt!«

Am Abend berichteten der mexikanische Rundfunk und das Fernsehen über die Festnahme der Bande. Socorro gab eine dramatische Schilderung seines Kampfes auf Leben und Tod mit den Räubern und warf sich stolz in die Brust, als der Oberbürgermeister von Mexiko City ihm ein Geschenk überreichte, eine goldene Medaille, die man ihm an die Uniform heftete, vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern. Fernandez y Laredo saß in seinem palastähnlichen Haus, trank Orangensaft und hatte die Hände gegeneinander gelegt.

Hinter ihm stand der lange, dürre Pedro Calabozo. Er hatte ängstliche Augen.

«Wie konnte das passieren?«fragte Laredo.

«Madonna, ich weiß es nicht, Caballero. Es war der sicherste Ort. Jemand muß ihn verraten haben.«

«Kennen die Verhafteten meinen Namen?«

«Gar keine Rede. Sie haben nur mit mir zu tun. Sie sehen in mir den Chef. Aber ich habe ihnen einen falschen Namen genannt. Und bar bezahlt.«

«Also keine Gefahr für uns?«

«Gar keine, Caballero.«

«Dein Glück, Pedro. Der Weg zurück ist kurz.«

«Ich denke immer daran, Caballero. Ich lebe ganz von Ihrer Güte. «Calabozo schluckte. Die Armut, dachte er. Madre de Dios, ich will nie wieder so arm sein wie damals, als ich Schlangen fraß und irgendwo auf der Erde schlief. Und wenn ich dem Herrn die Füße lecken müßte — ich täte es.

«Stell ab«, sagte Laredo, als Laska und Hartung ins Fernsehbild kamen. Calabozo drehte den Knopf, das Bild zerrann.»Ich will mir den Genuß, Laska zu sehen, aufheben. Wir werden morgen beim Springen dabeisein.«

Am nächsten Tag saß der ehrenwerte Fernandez y Laredo auf der Tribüne des Azteken-Stadions neben dem Oberbürgermeister und dem Minister des Inneren. Er war umgeben von der Elite Mexikos, lauter einflußreichen Männern, deren Namen jeder kannte. Polizeichef Socorra musterte sie alle und seufzte ergeben. Einer von ihnen ist der Erzgauner, dachte er, aber es wird nie herauskommen. Mit ihren Millionen decken sie alles, und das Gesetz ist machtlos.

Er steckte sich einen Zigarillo an, verzichtete darauf, die hohen Herren weiter zu mustern, und widmete sich dem Turnier auf dem wunderbaren grünen, aber harten Rasen.

Um 17 Uhr 16 gewann Hartung auf Laska den >Großen Preis von Mexiko< und 50.000 Dollar.

Siebzigtausend Mexikaner jubelten sich die Kehlen wund, unter ihnen auch Fernandez y Laredo. Wie nach einem Stierkampf schleuderte er seinen weißen Hut in das Stadion. Hartung und Laska ritten rund um die Ränge und Tausende von Papierschnipseln regneten auf sie hinunter. Es war der größte Triumph, den je ein Reiter und sein Pferd erlebt hatten.

«Und die beiden wollen aufhören«, sagte Dr. Rölle und klatschte dabei so heftig, daß seine Hände rot anschwollen.»Wer's glaubt, wird selig!«

Das Mörderturnier

Seit drei Tagen lag etwas in der Luft. Niemand konnte sagen, was so bedrückend war. Die Sonne schien mit jenem fast schon afrikanischen Glanz, der auch über dem sizilianischen Land lag. Von den Bergen und manchmal sogar vom Meer wehte ein warmer Wind. Das Training im Gelände und auf der Rennbahn von Syrakus hatte die Pferde in Hochform gebracht. Das Hotel, in dem die deutsche Equipe wohnte, lag auf einer Landzunge, die ins tiefblaue, nur schwach bewegte Meer ragte, ein Park umgab den im maurischen Stil gebauten Komplex, ein riesiger Swimming-pool mit Sonnensegeln und Liegestühlen verschaffte Abkühlung, die Verpflegung war vorzüglich — kurzum, man lebte in einem kleinen Paradies. Der >Po-kal des hl. Stephanus<, der >Hauspreis< der Sizilianer, war den deutschen Reitern so gut wie sicher. Was man beim Training bisher gesehen hatte, reichte allein schon, um die Deutschen zu haushohen Favoriten zu machen.

Aber diese Favoritenrolle war es nicht, was unmerklich bedrückte. Fallersfeld war aus Warendorfnach Syrakus gekommen, um nach der langen Weltreise der deutschen Mannschaft seine >Söhne<, wie er die Reiter nannte, wieder ans Herz zu drücken. Sogar Laska, sein gehaßtes Lieblingspferd, begrüßte er. Prompt trat sie nach ihm aus, als er ihrer Box zu nahe kam, und schob die Nüstern von den kräftigen Zähnen.

«Nur der Tod versöhnt uns!«sagte Fallersfeld resignierend.»Was habe ich dem Aas eigentlich getan?«

«Vielleicht gefällt ihr der Geruch Ihres Rasierwassers nicht?«lachte Hartung.»Oder Ihr Monokel. Es gibt da Allergien, die.«

«Seien Sie still, Horst!«Fallersfeld lehnte sich an die Stallwand.»Sie haben es mit Laska geschafft, schon zu Lebzeiten eine Legende zu werden, wissen Sie das?«

«Leider ist es so.«

«Wieso leider?«

«Es gibt kaum noch ein Turnier, wo nicht etwas passiert. Gehen Sie mal nachts hierher zu den Boxen. Bis auf hundert Meter kommen Sie heran, dann hat die Polizei Sie am Schlafittchen. Wir werden bewacht wie das Gold in Fort Knox. Es ist zum Kotzen.«

«Denken Sie an Mexiko, Horst.«

«Und ob ich daran denke. Ich reite die letzte Saison.«

«Blödsinn!«Fallersfeld ließ sein Monokel in die linke hohle Hand fallen und putzte es dann mit einem weichen Wildlederlappen.»Das können Sie dem deutschen Reitsport nicht antun. Das bringen Sie ja auch gar nicht fertig. Zu Hause auf seinem Kotten sitzen, Las-ka wie ein Schäfchen grasen lassen, die Daumen drehen und in die Wolken gucken! Sie nicht, Horst. Wenn Sie ein Pferd sehen, kribbelt es Ihnen in den Fingern und unter dem Hintern.«

«Ich werde älter, Baron.«

«Älter! Sechsunddreißig ist der Kerl! Ich bin über sechzig und klemme mich noch auf einen Gaul. Ein Reiter wird erst alt, wenn er aus dem Sattel rutscht bei stehendem Pferd!«

«Trotzdem, ich höre auf. Immer die Angst, daß Laska etwas geschieht.«

«In Mexiko! Aber hier in Europa.«

«Denken Sie an Rom.«

«Eine Ausnahme. Oder fühlen Sie sich etwa wieder bedroht?«Fallersfeld blickte Hartung scharf an.»'raus mit der Sprache.«

«Nein. Noch nicht.«

«Was heißt — noch nicht?«

«Es liegt was in der Luft.«

«Ja, hoffentlich Regen, sonst ist der Parcours knochenhart!«

«Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl.«

«Ist Ihre Verdauung in Ordnung?«

Hartung verzog das Gesicht. Fallersfeld war wieder einmal sehr humorvoll.»Mit Witzchen ist da nichts zu machen«, sagte er.»Sie kennen die Sizilianer. Der >Pokal des hl. Stephanus< muß im Lande bleiben, wandert er ab, ist es ein nationales Unglück. Zum erstenmal sind ausländische Reiter zugelassen, wir wurden zu Favoriten gestempelt — und keine Reaktion erfolgt. Das ist irgendwie unheimlich.«

«Sie sind verwöhnt mit Attentaten, Horst, das ist es. Ein normales Leben können Sie sich nicht mehr vorstellen.«

«Kaum.«

Sie verließen den Stall, bummelten durch die Sonne zum Abreiteplatz und kauften bei einem Eisverkäufer zwei Eis am Stiel. Der kleine, schwarzlockige Italiener wühlte in seinem Wagen herum, der vor ein Fahrrad montiert war, bis er die Stange Fruchteis, die Hartung verlangte, gefunden hatte. Dann klappte er den Deckel zu und fuhr davon, als müsse er sein Eis vor einem Überfall retten.