Hartung zog seine Kappe und verneigte sich kurz. Applaus klang auf, aber gedämpfter als sonst. Die Spannung hielt auch die Zuschauer wie in einem Schraubstock fest.
Elegant wendete Hartung auf der Hinterhand und trabte leicht zum Start. Dann fiel Laska in einen leichten Aufgalopp und passierte die Startfahne.
Es gab kein Zurück mehr. Der alte Reiterspruch wurde wieder Wahrheit: Wirf erst das Herz hinüber — der Reiter folgt dann nach!
Fallersfeld lehnte sich an das weißlackierte Gitter und strich die weißen Haare von den Augen. Neben ihm standen Romanowski und Platzwart Fritz Schmitz.
«Der Galopp ist gut«, sagte Schmitz.
Und Romanowski knurrte:»Ach Gott, halt doch die Klappe, Mensch.«
Laska galoppierte weich und elegant. Hartung spürte sie kaum, und das war ihm selbst neu. Ganz schnell klopfte er ihren Hals und beugte sich etwas vor.
«Brav, mein Mädchen«, sagte er.»Zeig es ihnen allen! Nach diesem Turnier sollen sie an uns glauben wie die Astrologen an die Sterne.«
Das erste Hindernis — ein Gatter. 1 Meter 50 hoch.
Es war, als gäbe es dieses Hindernis gar nicht. Laska flog darüber, ein langgestreckter golden leuchtender Pfeil.
«Bravo!«sagte Fallersfeld und begann heftig zu schwitzen.»Aber dieses Gatter springen noch blinde Urgroßmütter.«
Es war eine Wonne, dieses Pferd über den Parcours fliegen zu sehen. Mit einer Weichheit, als sei sie aus Gummi, sprang Laska ab, kam sie wieder auf und setzte ihren Galopp fort.
Der Wassergraben.
Kein Problem. Hartung hatte mit Laska schon breitere Bäche über-sprungen, bei der Ausbildung im Geländeritt, Bäche, deren Ufer mit Holzstangen erhöht worden waren.
Aber genau hier passierte es.
Als Hartung das Hindernis anritt, kam er nahe an den Zuschauern vorbei. Irgendjemand — es war eine Männerstimme — brüllte plötzlich vor Begeisterung» Hurra! Hurra!«und klatschte in die Hände.
Laskas Ohren fuhren zurück. Hartung spürte, wie ihr Rücken sofort bretthart wurde, wie sie aus dem Takt kam, ausbrechen wollte, sich verkrampfte unter seinem zwingenden Zügelzug und seinem Schenkeldruck.
Der Absprung.
Zu früh, dachte Hartung sofort, als Laska gegen seinen Willen hochflog. Mein Mädchen, viel zu früh, das schaffst du nicht. Und ausgerechnet der Wassergraben!
Es war, als strecke sich Laska noch einmal in der Luft, als spüre sie jetzt selbst, daß sie sich verschätzt hatte. Aber es nützte nichts, sie trat mit den Hinterhänden ins Wasser und kassierte dafür vier Punkte.
«Aus!«sagte Fallersfeld und setzte seine Mütze auf.»Ich hab's gewußt! Die Dreierkombination schafft sie nie! Leute, der Sieg ist im Eimer! Den Großen Preis kassiert Italien.«
«Schnauze halten!«sagte Romanowski dunkel.»Noch hat sie vier Sprünge vor sich.«
Hartung wendete auf die letzte Bahn ein.»Ruhig, mein Mädchen«, sagte er dabei.»Ganz ruhig. Ja, es hat gebumst, aber kümmere dich nicht darum.«
Verstand Laska ihn? Sie kam wieder in den richtigen Rhythmus, weich und schwerelos. Tausende von Menschen hielten den Atem an, als sie auf die Mauer zugaloppierte. Graf Hellberg preßte sein durchnäßtes Taschentuch gegen die Stirn.
«Die geht mitten durch«, stöhnte er.»Leute, ich mach die Augen zu, wenn's kracht.«
Aber es krachte nicht. Kurz vor der Mauer zog Hartung das Pferd hoch. Wie abgeschossen schnellte Laska über die Mauer, zog die
Hinterbeine an und schleifte nur ganz leicht mit den Sprungglocken über die Mauerkrone. Nichts fiel herunter, es verschob sich sogar nichts. Ein glatter Sprung.
Ein vieltausendfaches Seufzen klang auf. Fallersfeld griff sich ans Herz.
«Die nächste Kur bezahlt Hartung«, sagte er mit zitternder Stimme.»Das hält kein Herz aus.«
Ein hoher Buschoxer — hinüber.
Die Dreierkombination.
«Betet, Leute«, sagte Fallersfeld aufgeregt.»Mein Gott, betet doch!«
Hartung hatte Laska fest in der Hand. Er hielt sie zurück, er wußte, wie eng die Sprünge waren. Und er spürte auch, wie Laska ausbrechen wollte, daß sie dieses Hindernis als ein Ganzes ansah und damit unweigerlich wie eine Granate mitten drin landen würde.
Der erste Oxer — hinüber.
Nummer zwei hinüber.
Der letzte Dreiersprung.
Hartung riß an den Zügeln. Zu weit aufgekommen, Laska, viel zu weit. Wir haben keinen Platz mehr für den dritten Absprung. Mädchen, acht Fehler, jetzt werden sie uns auseinandernehmen.
Obwohl er nicht mehr daran glaubte, dieses Hindernis zu überwinden, drückte Hartung zum dritten Sprung ab. Und Laska folgte seinem Befehl. Fast senkrecht stieg sie empor, stieß sich mit ihren kräftigen Hinterhänden ab, zog sie dann eng unter den Bauch und wälzte sich über die lose liegenden Stangen. Es war die Sekunde, in der Tausenden das Herz stillstand. Dann aber brach ein Jubel los, in der der letzte Sprung und das Ausreiten völlig untergingen.
Graf Hellberg sank auf seinen Korbsessel zurück. Man mußte ihn daraufhinweisen, daß er vor dem Mikrophon saß und die Ansage machen mußte.
«Nummer 13, Horst Hartung auf Laska, vier Fehler«, sagte er erschöpft.»Der nächste Reiter mit der Nummer 14: Nelson Pessoa auf >White Star<, Brasilien.«
Dann stand er auf, winkte einem anderen Herrn der Turnierlei-tung und verließ den Glaskasten der Schiedsrichter.
Fallersfeld hatte die Mütze schief auf dem Kopf, als Hartung absprang und die Zügel Romanowski zuwarf.
«Nun sind Sie aber stolz, was?«brüllte er.»Aber nun kommt das Stechen! Da reiten Sie >Parade<.«
«Das geht nach den Regeln ja gar nicht.«
«Wollen Sie mich ins Grab reiten? Ihre Mauer und der Dreier, ich habe keine Luft mehr gekriegt.«
Hartung reagierte nicht und ließ Fallersfeld stehen. Er rannte Romanowski nach, der Laska zum Warteplatz führte.»Wo ist Angela?«rief er.»Hast du sie gesehen?«
«Ja, sie sitzt in der Turnierleitung und will nischt von Herrchen wissen.«
«Und Luisa?«
«Die Verrückte sitzt auf der Tribüne und zerknüllt Taschentücher.«
«Ich muß Angela sprechen.«
«Geht nich, Herrchen. Da kommt der Graf.«
Hellberg stürzte auf Hartung zu und umarmte ihn.»Eine Meisterleistung«, rief er verzückt.»Ein Wunderpferd. Springt aus dem Stand!«
«Ich habe es selbst nicht geglaubt, es war also nicht mein Verdienst. «Hartung griff in die Tasche und zog ein Stück Papier heraus.»Haben Sie etwas zu schreiben?«
«Bitte. «Hellberg gab Hartung seinen Kugelschreiber, und Hartung warf schnell ein paar Zeilen auf das Papier. Er faltete es zusammen und reichte es Hellberg hin.»Graf, tun Sie mir den Gefallen und geben diesen Brief Angela. Ich weiß, daß sie bei Ihnen im Turm hockt.«
«Dicke Luft, Hartung?«
«Dick wie Erbsensuppe. Aber alles nur Irrtümer.«
«Das sagte die Maus auch und liebte den Elefanten. Geben Sie her, und viel Glück beim Stechen.«
Graf Hellberg lief zum Turnierturm zurück.
Bis zum Beginn des Stechens wartete Hartung auf eine Antwort
Angelas. Vergebens. Romanowski, den er losschickte, kam zurück wie ein geprügelter Hund.
«Sauer wie Jurken aus Jroßmuttas Topf«, sagte er und putzte Laska die schaumigen Nüstern aus.»Ick jloobe sojar, die hat jeheult.«
Das erste Stechen begann.
Es war, als habe Laska den Verstand eines Menschen, so wenigstens kam Hartung die Reaktion des Pferdes vor, als sie beim zweiten Umlauf wieder ein Hindernis riß, und zwar einen leichten Plankenoxer. Fallersfeld stöhnte auf und ließ sich einen Kognak reichen. Er sparte sich dabei das Glas und trank direkt aus der Taschenflasche.
«Noch'n Stechen«, sagte er.»Wenn Pessoa auch vier Fehler macht.«
Und Pessoa riß den letzten Oxer der Dreierkombination.
Dritter Umlauf. Umbau der Hindernisse, Erhöhung aller Stangen und der Mauer.