Выбрать главу

»Das hat er. Unser guter Ensei Tankado hat sich als der absolut unschlagbare, ultimative Code-Programmierer erwiesen.«

Susan schwieg eine beträchtliche Zeit. »Aber... das bedeutet doch...«

Strathmore sah ihr tief in die Augen. »Jawohl, Susan. Tankado hat unseren TRANSLTR soeben zum alten Eisen gemacht.«

KAPITEL 6

Auch wenn Ensei Tankado zur Zeit des Zweiten Weltkriegs noch nicht geboren war, hatte er sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt – vor allem mit dem Ereignis, in dem der Krieg kulminiert war: die Atombombe, in deren Explosionsblitz hunderttausende seiner

Landsleute zu Asche verbrannt waren.

Hiroschima, sechster August 1945, acht Uhr fünfzehn: ein schändlicher Akt der Zerstörung, die sinnlose Machtdemonstration eines Landes, das den Krieg längst gewonnen hatte. Ensei Tankado hätte sich mit alldem abfinden können, aber nicht damit, dass die Bombe ihn der Möglichkeit beraubt hatte, seine Mutter kennen zu lernen. Sie war bei seiner Geburt gestorben – an einer Komplikation, die der Verstrahlung zuzuschreiben war, die sie sich viele Jahre zuvor

zugezogen hatte.

Im Jahre 1945, Ensei war noch nicht geboren, hatte sich seine Mutter wie viele ihrer Freundinnen und Bekannten bei einem der Hilfszentren für die verbrannten Strahlenopfer von Hiroschima als freiwillige Helferin gemeldet. Dort wurde sie selbst zur Hibakusha, zur Verstrahlten. Neunzehn Jahre später lag die nunmehr Sechsunddreißigjährige mit unstillbaren inneren Blutungen im Kreißsaal. Sie wusste, dass sie dem Tod geweiht war. Aber sie wusste nicht, dass ihr der vorzeitige Tod das ultimative Entsetzen ersparen

würde: Ihr einziges Kind war missgebildet.

Enseis Vater schaute seinen Sohn kein einziges Mal an. Vom

Verlust seiner Frau aus der Fassung gebracht und enttäuscht und beschämt über die Ankunft eines Sohnes, der nach Auskunft der Schwestern missgebildet war und vermutlich die Nacht nicht überleben würde, verschwand er aus der Klinik und ward nie mehr gesehen. Ensei Tankado kam in ein Waisenhaus.

Jede Nacht betrachtete der kleine Ensei seine verkrüppelten Fingerchen, mit denen er mühsam seine Schmusepuppe hielt. Er schwor Rache gegen das Land, das ihm die Mutter geraubt und seinen

Vater dazu getrieben hatte, ihn aus schamvoller Verzweiflung zu verstoßen — ohne zu ahnen, dass das Schicksal in absehbarer Zeit

intervenieren würde.

Im Februar vor Enseis zwölftem Geburtstag meldete sich ein Computerhersteller bei seinen Pflegeeltern und erkundigte sich, ob ihr Pflegekind an einem Test von speziellen Computertastaturen teilnehmen dürfe, die diese Firma für behinderte Kinder entwickelt

hatte. Die Pflegeeltern stimmten zu.

Ensei Tankado hatte noch nie einen Computer gesehen, aber er schien instinktiv zu wissen, wie man mit diesem Gerät umging. Es öffnete ihm den Zugang zu einer Welt, die er sich nie erträumt hatte. Binnen kürzester Zeit wurde der Computer sein Leben. Schon als Heranwachsender verdiente er sich mit Computerunterricht etwas Geld und bekam schließlich ein Stipendium der Doshisha-Universität. Bald war Ensei Tankado in ganz Tokio als fugusha kisai bekannt –

das verkrüppelte Genie.

Im Lauf der Zeit erfuhr Ensei aus seinen Büchern auch vom japanischen Angriff auf Pearl Harbor und den japanischen Kriegsverbrechen. Sein Hass auf Amerika verlor sich allmählich. Er vergaß den Racheschwur seiner Kindheit und wurde überzeugter Buddhist. Der einzige Weg zur Erleuchtung führte über die

Vergebung.

Mit zwanzig war Ensei Tankado in Programmiererkreisen so etwas

wie eine Kultfigur geworden. Die Firma IBM bot ihm eine Stellung in Texas samt dem erforderlichen Arbeitsvisum an. Ensei sagte mit Begeisterung zu. Drei Jahre darauf hatte er bei IBM aufgehört, lebte in New York und entwickelte eigene Software. Von der neuen Welle der Public-Key-Chiffrierung nach oben getragen, verdiente er mit seinen Chiffrierprogrammen ein Vermögen.

Wie viele andere Spitzenprogrammierer von Verschlüsselungs­Algorithmen wurde auch Tankado von der NSA umworben. Die

Ironie der Situation entging ihm nicht, bot man ihm doch an, im Herzen des Staatswesens eben jenes Landes zu arbeiten, dem er einst Rache geschworen hatte. Er beschloss, sich dem Bewerbungsgespräch zu stellen. Seine Zweifel lösten sich in Wohlgefallen auf, als er auf Commander Strathmore traf. Sie unterhielten sich freimütig über Tankados Hintergrund, seine mögliche feindselige Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten und über seine Pläne für die Zukunft. Ensei Tankado unterzog sich einem Lügendetektor-Test und einer rigorosen fünfwöchigen psychologischen Überprüfung. Er nahm alle Hürden. Sein Hass war der Hingabe an Buddha gewichen. Vier Monate später begann er in der kryptographischen Abteilung der National Security

Agency zu arbeiten.

Ungeachtet seines großzügigen Gehalts kam Ensei auf einem klapprigen Moped zum Dienst und nahm mittags am Schreibtisch ein karges Mahl ein, anstatt mit dem Rest der Abteilung die Feinschmeckerküche des Betriebskasinos zu genießen. Seine Kollegen verehrten ihn. Er war brillant – der kreativste Programmierer, den sie je erlebt hatten. Man schätzte ihn als freundlichen, ruhigen und aufrichtigen Mitarbeiter, seine anständige Gesinnung war allseits über jeden Zweifel erhaben. Moralische Integrität war für ihn ein unverzichtbarer Wert. Der Schock, den seine Entlassung aus der NSA

ausgelöst hatte, war enorm gewesen.

Wie alle anderen Mitarbeiter der Crypto-Abteilung hatte auch Ensei Tankado am TRANSLTR – Projekt in dem Glauben mitgewirkt, dass der Großrechner, sollte sein Bau gelingen, nur bei Vorliegen einer Genehmigung durch das Justizministerium zur Dechiffrierung von E-Mails herangezogen werden dürfe. Der Einsatz des TRANSLTR der NSA sollte auf ganz ähnliche Weise reguliert werden wie die Telefon-Abhörpraxis des FBI, das auch in jedem einzelnen Fall die Erlaubnis eines Bundesgerichts einzuholen hatte. Obendrein sollten dem TRANSLTR Passwörter einprogrammiert werden, die unter Verschluss des Bundesschatzamtes und des Justizministeriums zu halten waren, damit bestimmte Dateien ausschließlich durch diese Behörden eingesehen werden konnten. So sollte verhindert werden, dass die NSA unterschiedslos Einblick in vertrauliche Mitteilungen

gesetzestreuer Bürger nehmen konnte.

Als die entsprechenden Programmierschritte vorgenommen werden sollten, hieß es auf einmal, man habe den Plan ändern müssen. Da die NSA in Fällen der Terrorismusbekämpfung häufig unter enormen Zeitdruck geriet, sollte der TRANSLTR ein frei verfügbares Dechiffriergerät bleiben, über dessen täglichen Einsatz einzig und

allein die NSA zu entscheiden hatte.

Ensei Tankado war empört – denn das bedeutete, dass die NSA jedermanns E-Mails öffnen und ohne Wissen des Absenders darin herumschnüffeln konnte. Genauso gut hätte man in jedem Telefon der Welt eine Wanze installieren können. Strathmore versuchte beharrlich, Tankado den TRANSLTR als Instrument der Strafverfolgung schmackhaft zu machen, aber es war zwecklos. Tankado war nicht davon abzubringen, dass hier eine massive Verletzung von Bürger- und Menschenrechten vorlag. Er kündigte fristlos und setzte sich schon innerhalb der nächsten Stunden über den ungeschriebenen Ehrenkodex der NSA hinweg, indem er mit der Electronic Frontier Foundation Kontakt aufzunehmen versuchte. Tankado war im Begriff, die Computernutzer der ganzen Welt mit der Enthüllung aufzurütteln, dass die amerikanische Regierung die Öffentlichkeit mit einer geheimen Dechiffriermaschine auf die niederträchtigste Weise hinters Licht führe. Der NSA blieb keine

andere Wahl, als ihn mundtot zu machen.

Tankados Schicksal fand in Online-Newsgroups ein ausgiebiges Echo. Es wurde für ihn zu einer fatalen öffentlichen Blamage. Die NSA hatte befürchtet, dass es ihm gelingen könnte, die Öffentlichkeit von der Existenz des angeblich gescheiterten TRANSLTR zu überzeugen. Die Schadensbegrenzungs-Experten der NSA hatten entgegen Strathmores ausdrücklichem Wunsch Gerüchte in Umlauf gesetzt, die Tankados Glaubwürdigkeit gründlich erschütterten, worauf er in Fachkreisen kein Bein mehr auf den Boden bekam. Niemand wollte etwas mit einem der Spionage verdächtigten Krüppel zu tun haben, schon gar nicht, wenn er sich mit absurden Behauptungen über eine geheime US-Dechiffriermaschine die Freiheit