»Nur ein PR-Manöver, um auf sich aufmerksam zu machen. Wir brauchen uns darüber keine grauen Haare wachsen zu lassen. Die Version im Internet ist verschlüsselt. Die Leute können sie zwar herunterladen, aber nicht aufmachen. Das ist schon raffiniert! Der
Quellcode für Diabolus ist verschlüsselt.«
Susan staunte. »Genial! Jeder kann das Programm haben, aber keiner kann es öffnen.«
»Genau«, sagte Strathmore. »Es ist die Möhre, die Tankado allen vor der Nase baumeln lässt.«
»Haben Sie den Algorithmus schon gesehen?«
Der Commander sah sie überrascht an. »Natürlich nicht. Ich sagte doch, er ist verschlüsselt.«
Susan gab seinen Blick nicht weniger überrascht zurück. »Aber haben wir nicht den TRANSLTR? Warum entschlüsseln wir den Algorithmus nicht einfach?« Ein zweiter Blick in Strathmores Gesicht belehrte sie, dass sich die Spielregeln geändert hatten. »Oh, mein Gott!«, stöhnte sie und hatte auf einmal alles begriffen. »Diabolus ist
mit sich selbst verschlüsselt!«
»Bingo«, sagte Strathmore trocken und nickte.
»Wie bei Biggleman's Safe«, flüsterte Susan beeindruckt.
Strathmore nickte. Biggleman's Safe war ein hypothetisches kryptographisches Szenario, bei dem ein Tresorfabrikant Pläne für einen einbruchsicheren Geldschrank entwirft. Um die Pläne geheim zu halten, baut er den Safe und schließt die Baupläne darin ein. Nichts anderes hatte Tankado mit Diabolus getan. Er hatte die Pläne durch die Verschlüsselung mit der in eben diesen Plänen niedergelegten
Formel jedem Zugriff entzogen.
»Und die Datei ist jetzt im TRANSLTR?«, wollte Susan wissen.
»Wie alle anderen Interessenten habe auch ich sie von Tankados Website heruntergeladen. Die NSA ist jetzt stolze Besitzerin des
Algorithmus von Diabolus, kann aber leider nichts damit anfangen.«
Susan konnte nicht umhin, Tankados Schlauheit zu bewundern. Ohne seinen Algorithmus preiszugeben, hatte er der NSA den Beweis
geliefert, dass er nicht entschlüsselbar war!
Strathmore reichte Susan die Übersetzung eines Zeitungsausschnitts aus der »Nikkei Schinbun«, dem japanischen Äquivalent des »Wall Street Journal«, wo geschrieben stand, der japanische Programmierer Ensei Tankado habe eine mathematische Formel entwickelt, mit der er nach eigenen Angaben unentschlüsselbare Codes schreiben könne. Die Formel trage die Bezeichnung Diabolus und stehe über das Internet jedermann zur Begutachtung zur Verfügung. Sie werde von ihrem Entwickler gegen Höchstgebot versteigert. Im Folgenden wurde noch ausgeführt, in Japan rege sich bereits großes Interesse, einige amerikanische Softwarefirmen hätten ebenfalls von Diabolus Notiz genommen, Tankados Behauptungen jedoch als unseriös abgetan – ähnlich dem Ansinnen, Blei in Gold zu verwandeln. Sie bezeichneten das Gerede von der Formel als eine Ente, die man nicht weiter ernst zu nehmen
brauche.
Susan sah auf. »Eine Versteigerung?«
Strathmore nickte. »Inzwischen hat sich jede japanische SoftwareFirma eine verschlüsselte Kopie von Diabolus heruntergeladen, und alle versuchen, sie aufzubekommen. Mit jeder Sekunde, in der sie es
nicht schaffen, steigt das Gebot.«
»Das ist doch absurd«, wandte Susan heftig ein. »Alle neueren chiffrierten Dateien sind unentschlüsselbar, sofern man keinen TRANSLTR hat. Diese Firmen könnten Diabolus auch dann nicht knacken, wenn es lediglich ein üblicher marktgängiger Algorithmus
wäre.«
»Aber ein brillanter Marketing-Schachzug ist es allemal«, meinte Strathmore. »Sehen Sie: Jedes ordentliche kugelsichere Glas kann eine Kugel aufhalten, egal, wer der Hersteller ist. Aber wenn eine Firma öffentlich dazu auffordert, ein Loch in ihr Glas zu schießen,
will es auf einmal jeder eigenhändig versuchen.«
»Und die Japaner glauben wirklich, dass Diabolus etwas ganz Besonderes ist? Besser als alles, was bisher auf den Markt gekommen
ist?«
»Ensei Tankado mag von allen geschnitten worden sein, aber schließlich weiß jeder, dass er ein Genie ist. In Hackerkreisen ist er praktisch eine Kultfigur. Wenn Tankado sagt, der Algorithmus sei
unentschlüsselbar, dann ist er unentschlüsselbar.«
»Aber soweit die Öffentlichkeit weiß, sind doch alle Algorithmen unentschlüsselbar!«
»Ja, schon...«, sagte Strathmore nachdenklich. »Im Moment jedenfalls.«
»Was soll denn das nun wieder heißen?«
Strathmore seufzte. »Vor zwanzig Jahren hat noch kein Mensch damit gerechnet, dass man jemals verschlüsselte Datenströme von zwölf Bit knacken könnte. Aber vergessen Sie nicht den technischen Fortschritt. Den gibt es immer. Von einem gewissen Punkt ab werden die Softwarehersteller davon ausgehen, dass es Computer wie den TRANSLTR gibt. Die Technologie entwickelt sich exponentiell. Irgendwann werden unsere derzeit auf dem Markt erhältlichen Chiffrierprogramme nicht mehr als sicher gelten. Man wird bessere Algorithmen brauchen, wenn man der Leistung der Computer von
morgen immer eine Nasenlänge voraus sein will.«
»Und Diabolus ist so ein Algorithmus?«
»Genau. Als Algorithmus, dem mit Brute-Force nicht beizukommen ist, kann das Programm nicht veralten, gleichgültig, wie stark die Entschlüsselungscomputer werden. Er würde über Nacht
zum Weltstandard.«
Susan holte tief Luft. »Gott steh uns bei«, flüsterte sie. »Aber können wir nicht mitbieten?«
Strathmore schüttelte den Kopf. »Tankado hat uns unsere Chance gegeben. Das hat er deutlich genug gesagt. Außerdem wäre es zu riskant. Wenn wir dabei erwischt werden, haben wir praktisch zugegeben, dass wir vor seinem Algorithmus Angst haben. Es käme nicht nur dem öffentlichen Eingeständnis gleich, dass wir den TRANSLTR haben, wir würden auch zugeben, dass Diabolus immun
ist.«
»Wie sieht denn unser Zeitrahmen aus?«
Strathmore runzelte die Stirn. »Tankado plant, das höchste Gebot morgen Mittag bekannt zu geben.«
Susan spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. »Und wie
geht es dann weiter?«
»Anschließend soll der Sieger den Private-Key erhalten.«
»Den Private-Key!«.
»Das gehört zu Tankados Spiel. Da inzwischen jeder sein Programm hat, versteigert er den Schlüssel, mit dem man es öffnen
kann.«
»Natürlich«, sagte Susan. Das Ganze war perfekt aufgezogen. Klar und einfach. Tankado hatte Diabolus verschlüsselt und besaß als Einziger den Private-Key, mit dem man das Programm öffnen konnte. Irgendwo da draußen — vielleicht auf einem Zettel in Tankados Hosentasche – befand sich ein vierundsechzigstelliger Schlüssel, der die Datenbeschaffung der amerikanischen Nachrichtendienste für
immer lahm legen konnte. Unfassbar.
Als Susan sich die Lage in allen Einzelheiten ausmalte, wurde ihr fast schlecht. Tankado würde der höchstbietenden Firma den Schlüssel aushändigen, mit dem sie die Diabolus-Datei öffnen konnte. Anschließend würde das Unternehmen den Algorithmus beispielsweise in einem manipulationsgeschützten Chip speichern, und innerhalb von maximal fünf Jahren würde jeder neue Computer bereits mit einem Diabolus-Chip ausgerüstet auf den Markt kommen. Und Diabolus konnte nie veralten. Diesem Programm war wegen seiner rotierenden Klartext-Funktion mit der Brute-Force-Methode nicht beizukommen. Es war der neue Verschlüsselungsstandard, auf immer und ewig. Bankiers, Börsenmakler, Terroristen und Spione: Alle saßen in einem Boot. Eine globalisierte Welt – ein globaler
Algorithmus.
Globale Anarchie.
»Was haben wir für Optionen?«, bohrte Susan. Sie war sich
durchaus im Klaren, dass in einer verzweifelten Lage auch verzweifelte Maßnahmen in Betracht gezogen werden mussten.
»Eliminieren können wir Tankado nicht«, sagte Strathmore, »falls Sie das meinen.«
Genau das hatte Susan gemeint. In den Jahren bei der NSA hatte sie von losen Verbindungen der Behörde zu Profikillern munkeln hören – angeheuerte Spezialisten, die für den Nachrichtendienst die
Schmutzarbeit erledigten.