unverändert.
Charturkian fröstelte. Als Sys-Sec für die Crypto hatte er vor allem eine Aufgabe: Den TRANSLTR »sauber« zu halten – frei von Viren.
Eine Rechenzeit von fünfzehn Stunden konnte nur eines bedeuten: Verseuchung. Eine verseuchte Datei war in den TRANSLTR gelangt und legte die Programmierung lahm. Charturkians Reflexe setzten ein. Das verlassene Sys-Sec-Lab und der abgeschaltete Bildschirm waren jetzt nebensächlich, nur das anstehende Problem zählte noch – der TRANSLTR. Er rief umgehend die Liste der in den letzten
achtundvierzig Stunden eingegebenen Dateien auf und ging sie durch.
Sollte tatsächlich eine infizierte Datei durchgekommen sein?, rätselte er. Ist den Sicherheitsfiltern etwas entgangen?
Als Vorsichtsmaßnahme musste jede in den TRANSLTR eingegebene Datei zuerst im »Gauntlet«-Filter durch eine Reihe starker Circuit Level Gateways, Paketfilter und Antivirenprogramme sozusagen Spießruten laufen. Gauntlet filzte die ankommenden Dateien auf Computerviren und potenziell gefährliche Subroutinen. Wenn Dateien Programmierungen aufwiesen, die Gauntlet nicht kannte, wurden sie gnadenlos zurückgewiesen und mussten noch einmal von Hand überprüft werden. Wegen unbekannter Programmbefehle hatte Gauntlet auch schon völlig harmlose Dateien zurückgewiesen, die von der Sys-Sec-Abteilung anschließend im Handbetrieb eingehend überprüft und für harmlos befunden worden waren. Erst dann, und nur dann, wenn absolut sichergestellt war, dass
eine Datei »sauber« war, durfte sie unter Umgehung des Filtersystems direkt in den TRANSLTR eingegeben werden.
Computerviren standen in ihrer Vielfalt den natürlichen Viren in nichts nach. Wie ihre physiologischen Brüder kannten sie nur ein Zieclass="underline" in einen Wirt eindringen und sich vermehren. Im vorliegenden Fall
war der Wirt der TRANSLTR.
Charturkian konnte nur darüber staunen, dass die NSA nicht schon längst Probleme mit Viren bekommen hatte. Das Gauntlet-System war bestimmt ein guter Wächter, aber die NSA war sozusagen ein Schlammfresser, der riesige digitale Informationsmengen aus allen möglichen und unmöglichen Quellen der ganzen Welt wahllos in sich hineinschaufelte. Die Datenschnüffelei hatte gewisse Ähnlichkeiten mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr – Schutz hin oder her,
früher oder später fing man sich eben etwas ein.
Als Charturkian am Ende der Auflistung angekommen war, wunderte er sich noch mehr als zuvor. Jede Datei war überprüft
worden. Gauntlet hatte nichts Auffälliges bemerkt. Die Datei im
TRANSLTR war vollkommen sauber.
»Warum zum Teufel dauert es dann so lang?«, rätselte er in den leeren Raum hinein. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Ob er
Strathmore stören sollte?
»Ein Antivirenprogramm«, sagte er laut und bestimmt. »Du musst ein Antivirenprogramm laufen lassen.«
Es wäre ohnehin das Erste gewesen, was Strathmore zu tun verlangt hätte. Mit einem Blick hinaus in die verlassene Crypto-Kuppel entschloss sich Charturkian, das Antivirenprogramm zu laden und in den Rechner zu schicken. Das Ergebnis würde ihm in etwa
einer Viertelstunde vorliegen.
»Komm bloß schön sauber wieder zu Papi zurück!«, flüsterte er beschwörend.
Aber Charturkian fühlte, dass er sich nicht »vertan« hatte. Instinktiv wusste er, dass sich in den Eingeweiden des großen
Dechiffrierungsungetüms etwas Außergewöhnliches tat.
KAPITEL 10
Ensei Tankado ist tot? Man hat ihn also doch umbringen lassen? Ich dachte, Sie hätten gesagt ...« Susan wurde es flau im Magen.
»Wir haben ihn nicht angerührt«, sagte Strathmore beruhigend. »Er ist an einem Herzinfarkt gestorben, COMINT hat sich heute früh telefonisch gemeldet. Ihr Computer ist über Interpol in einem
Verzeichnis der Polizei von Sevilla auf Tankados Namen gestoßen.«
»Herzinfarkt?« Susan sah Strathmore zweifelnd an. »Er war doch erst dreißig.«
»Zweiunddreißig«, verbesserte Strathmore, »und er hatte einen angeborenen Herzfehler.«
»Das habe ich gar nicht gewusst.«
»Es steht in unserem Befund über seinen Gesundheitszustand. Er hat nie viel Aufheben davon gemacht.«
Susan war nicht ganz überzeugt. Der Zeitpunkt von Tankados Tod kam einfach zu gelegen. »Ein Herzfehler soll ihn umgebracht haben –
einfach so?«
Strathmore zuckte die Achseln. »Ein schwaches Herz ... die Hitze in Spanien ... dazu noch der Stress, den er sich mit der Erpressung der NSA eingebrockt hat ...«
Susan schwieg einen Moment. Ungeachtet der Umstände empfand sie den Tod des brillanten Kryptographien und ehemaligen Kollegen als betrüblichen Verlust. Strathmores ernste Stimme riss sie aus ihren
Gedanken.
»Das einzig Tröstliche an diesem ganzen Fiasko ist die Tatsache, dass Tankado allein unterwegs war. Es kann gut sein, dass sein Partner bislang noch gar nicht weiß, dass er tot ist. Die spanischen Behörden haben uns versprochen, die Information so lang wie möglich zurückzuhalten. Wir haben es ja selbst nur erfahren, weil COMINT am Ball war.« Strathmore sah Susan eindringlich an. »Ich muss den Partner finden, bevor er erfährt, dass Tankado tot ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie gebeten habe, zu kommen. Ich
brauche Ihre Hilfe.«
Susan verstand nicht ganz. Mit Tankados Tod schien für sie das Problem gelöst. »Commander«, meinte sie, »die Behörden sagen doch, dass er an einem Herzinfarkt gestorben ist. Damit sind wir aus dem Spiel, und der Partner wird wissen, dass die NSA nicht
verantwortlich ist.«
»Nicht verantwortlich?« Strathmore riss ungläubig die Augen auf. »Da erpresst jemand die NSA und ist ein paar Tage später tot – und wir sind nicht dafür verantwortlich? Ich wette mein letztes Hemd, dass Tankados geheimnisvoller Freund das anders sieht! Egal, was passiert ist, wir werden als die Schuldigen dastehen! Vielleicht war es Gift, oder die Autopsie war getürkt – was weiß ich?« Strathmore hielt inne und sah Susan an. »Was war denn Ihre erste Reaktion, als ich Ihnen
gesagt habe, dass Tankado tot ist?«
Susan runzelte verlegen die Stirn. »Ich habe natürlich gedacht, die NSA hätte ihn umgebracht.«
»Na, sehen Sie! Wenn die NSA fünf Satelliten über dem Nahen Osten in eine geostationäre Umlaufbahn schießen kann, dann dürften wir wohl auch in der Lage sein, ein paar spanische Polizisten zu
bestechen!« Der Commander hätte es nicht klarer ausdrücken können.
Ensei Tankado ist tot. Die NSA steht als Täter da. »Können wir den Partner noch früh genug aufspüren?«, überlegte Susan.
»Ich denke, schon. Wir haben jedenfalls eine gute Spur. Tankado
hat immer wieder öffentlich erklärt, er würde mit einem Partner zusammenarbeiten. Er hat wohl darauf vertraut, dass das die Softwarekonkurrenz davon abhält, ihm ans Leder zu gehen oder seinen Key zu klauen. Er hat gedroht, bei unlauterem Spiel würde sein Partner sofort den Key veröffentlichen, und dann würden natürlich sämtliche Softwarefirmen alt aussehen, denn sie hätten die Konkurrenz einer Gratis-Software am Hals.«
Susan nickte. »Raffiniert!«
»Tankado hat den Namen seines Partners ein paar Mal erwähnt«, setzte Strathmore hinzu. »Er nannte ihn North Dakota.«
»North Dakota? Offenbar ein Tarnname.«
»Ja, aber ich habe sicherheitshalber eine Internet-Recherche mit North Dakota als Suchbegriff durchgeführt. Ich habe selbst nicht geglaubt, dass ich etwas finden würde, aber ich bin auf einen E-Mail-Account gestoßen.« Strathmore hielt inne. »Ich habe natürlich nicht gedacht, dass es der von mir gesuchte North Dakota wäre, aber ich habe mal auf Verdacht in dem Account herumgestöbert, und stellen Sie sich meine Überraschung vor: Er war voll mit E-Mails von Ensei Tankado!« Strathmore hob die Brauen. »Und in den Mails wimmelte es von Bezugnahmen auf Diabolus und Tankados Pläne, die NSA
vorzuführen.«
Susan sah Strathmore skeptisch an. Sie war überrascht, dass der Commander sich so leicht an der Nase herumführen ließ. »Commander«, sagte sie, »Tankado weiß doch ganz genau, dass die NSA in E-Mails herumschnüffelt. Gerade er würde doch niemals Geheiminformationen über das Internet verschicken. Das ist eine Falle! Tankado hat Ihnen mit diesem North Dakota einen Bären aufgebunden. Er zuusste, dass Sie eine Suche starten würden. Er wollte, dass Sie diese Informationen finden. Er hat eine falsche Fährte