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Strathmore war am Ende seines Geduldsfadens angekommen. »Susan!«, explodierte er, »nun hören Sie mir mal gut zu! Ich habe Sie herbestellt, weil ich einen Bundesgenossen brauche und keinen Staatsanwalt! Ich habe einen mörderischen Vormittag hinter mir. Nachdem ich Tankados Datei letzte Nacht heruntergeladen hatte, habe ich stundenlang hier neben dem Drucker auf der Lauer gelegen und gebetet, dass der TRANSLTR sie endlich knackt. Am frühen Morgen habe ich schließlich meinen Stolz heruntergeschluckt und die Nummer unseres Direktors gewählt. Und da, das dürfen Sie mir glauben, hatte ich wieder einmal ein Gespräch von der Sorte vor mir, die ich ganz besonders liebe: ›Guten Morgen, Sir, entschuldigen Sie, dass ich Sie geweckt habe. Weshalb ich anrufe? Ach, wissen Sie, ich habe gerade gemerkt, dass wir den TRANSLTR auf den Müll schmeißen können. Da hat nämlich jemand ein Programm entwickelt, von dem meine Spitzenverdiener im Crypto-Team noch nicht einmal

träumen können!‹« Seine Faust krachte auf die Schreibtischplatte.

Susan stand wie angewurzelt da und gab keinen Ton mehr von sich. In zehn Jahren hatte sie so gut wie nie erlebt, dass Strathmore die

Beherrschung verlor — und schon gar nicht wegen ihr.

Zehn Sekunden vergingen. Keiner sagte ein Wort. Strathmore, der aufgesprungen war, setzte sich wieder hin. Susan hörte, wie sich sein Atem allmählich beruhigte. Als er schließlich wieder das Wort ergriff,

sprach er mit gespenstisch ruhiger, kontrollierter Stimme.

»Es stellte sich jedoch heraus, dass unser Direktor wegen einer Konferenz mit dem Präsidenten von Kolumbien in Südamerika weilt. Da er von dort aus absolut nichts unternehmen kann, hatte ich zwei Optionen – ihn zu bitten, seinen Besuch abzubrechen und herzukommen, oder allein mit der Situation fertig zu werden.« Wieder herrschte ein langes Schweigen, bis Strathmore endlich aufblickte und seinen müden Blick auf Susan richtete. Sein Gesichtsausdruck wurde weich. »Susan, es tut mir Leid. Ich bin total erledigt. Das ist ein Albtraum, wie er im Buche steht. Ich kann verstehen, dass Sie wegen David aufgebracht sind. Es ist mir unangenehm, dass Sie auf diese Weise von seiner Reise erfahren haben. Ich dachte, Sie wüssten Bescheid.«

Susan bekam Gewissensbisse. »Ich habe überreagiert. Es tut mir Leid. David war eine gute Wahl.«

Strathmore nickte abwesend. »Heute Abend ist er wieder zurück.«

Susan führte sich vor Augen, was der Commander alles am Hals hatte: die Verantwortung für den TRANSLTR, den endlosen Dienst und die vielen Konferenzen. Es wurde gemunkelt, dass die Frau, mit der er dreißig Jahre verheiratet war, ihn verlassen wollte. Und zu alldem kam jetzt auch noch Diabolus – für die NSA die größte Bedrohung der nachrichtendienstlichen Arbeit in ihrer ganzen Geschichte. Und der arme Mann musste damit ganz allein fertig werden. Kein Wunder, dass er am Rande des Nervenzusammenbruchs

stand.

»In Anbetracht der Lage bin ich der Meinung, dass Sie vielleicht doch lieber den Direktor anrufen sollten«, riet Susan.

Strathmore schüttelte den Kopf. Ein paar Schweißperlen tropften auf seinen Schreibtisch herab. »Ich bin nicht bereit, mich auf das Risiko eines Informationslecks einzulassen und die Sicherheit unseres Direktors zu gefährden, indem ich ihn in einer Krise anrufe, an der er

ohnehin nichts ändern kann.«

Susan musste zugeben, dass Strathmore Recht hatte. Selbst in Augenblicken wie diesem behielt er einen klaren Kopf. »Haben Sie

schon daran gedacht, den Präsidenten anzurufen?«

Strathmore nickte. »Habe ich, aber ich habe den Gedanken verworfen.«

Susan hatte mit nichts anderem gerechnet. Leitende NSA-Beamte waren befugt, in nachrichtendienstlichen Ausnahmesituationen ohne Benachrichtigung der Exekutive zu handeln. Die NSA war der einzige Geheimdienst der Vereinigten Staaten, der völlige Immunität genoss und sich in keiner Weise vor der Gerichtsbarkeit zu verantworten hatte. Strathmore pflegte dieses Privileg gern in Anspruch zu nehmen.

Er zog es vor, seine Wundertaten in völliger Isolation zu vollbringen.

»Commander, das ist eine Nummer zu groß, um allein damit fertig zu werden«, gab Susan zu bedenken. »Sie brauchen jemand an Ihrer

Seite, der ebenfalls Bescheid weiß.«

»Susan, die Existenz von Diabolus wird sich entscheidend auf die Zukunft unserer Organisation auswirken. Ich habe nicht die Absicht, hinter dem Rücken unseres Direktors den Präsidenten anzurufen. Wir haben eine Krise, und ich werde allein mit ihr fertig werden.« Er sah Susan nachdenklich an. »Ich bin der Vizedirektor dieser Organisation.« Ein müdes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Und außerdem – ich bin nicht allein. Ich habe Susan Fletcher an meiner

Seite.«

Susan wurde bewusst, was sie an Trevor Strathmore so sehr schätzte. Seit zehn Jahren, durch dick und dünn, hatte er sich vor sie gestellt, standhaft und unerschütterlich. Sie bewunderte seine Hingabe und Einsatzbereitschaft, seine bedingungslose Treue zu seinen Grundsätzen, seinen Idealen und seinem Land. Komme, was da wolle, Trevor Strathmore war ein Leitstern in einer Welt der absurden

Entscheidungszwänge.

»Sie sind doch an meiner Seite?«, vergewisserte er sich. Susan lächelte. »Jawohl, Sir, das bin ich. Hundert Prozent.« »Gut. Dann lassen Sie uns an die Arbeit gehen.«

KAPITEL 12

Beerdigungen und die dazugehörigen Leichen waren für David Becker nichts Neues. Aber dieser Leichnam hatte etwas besonders Unheimliches an sich, handelte es sich doch keineswegs um einen schön zurechtgemachten und in einem mit Seide ausgeschlagenen

Sarg ruhenden Verstorbenen.

Es war eine nackte Leiche, die man sang- und klanglos auf einem Aluminiumtisch abgeladen hatte. In den Augen des Toten war noch nicht der leere starre Blick eingekehrt, vielmehr glotzten sie in einem wie durch ein Blitzlicht eingefrorenen Ausdruck des Schreckens und

Bedauerns unverwandt an die Decke.

»lüönde es tán sus cosas?«, erkundigte sich Becker in flüssigem kastilischen Spanisch. »Wo sind seine Sachen?«

»AM«, antwortete der Polizeileutnant, wobei seine gelben Zähne zum Vorschein kamen. Er deutete auf einen Tisch, auf dem ein paar

Kleidungsstücke und persönliche Gegenstände herumlagen. »tEs todo? Ist das alles?«

»Si.«

Becker bat um einen Pappkarton. Der Leutnant machte sich auf die Suche.

Es war Samstagabend. Das Leichenschauhaus von Sevilla war eigentlich schon längst geschlossen. Der junge Polizeileutnant hatte Becker auf unmittelbaren Befehl des Chefs der Guardia Civil von Sevilla eingelassen — der Besucher aus Amerika schien

einflussreiche Freunde zu haben.

Becker betrachtete das Häuflein Kleider. In die Schuhe hatte man Pass, Brieftasche und eine Brille gestopft. Außerdem lag da noch eine kleine Reisetasche, die von der Polizei aus dem Hotel des Toten abgeholt worden war. Becker hatte unmissverständliche Anweisungen: nichts anrühren, nichts lesen, einfach nur die Sachen einsammeln und zurückbringen. Restlos alles. Keinesfalls etwas

liegen lassen.

Becker runzelte die Stirn. Was will die NSA bloß mit diesem Krempel?

Der Leutnant kam mit einem Karton wieder. Becker machte sich daran, die Sachen zu verstauen.

Der Polizist tippte mit dem Finger an das Bein des Toten. »¡Quien es? Wer ist das?«

»Keine Ahnung.«

»Sieht chinesisch aus.«

Japanisch, dachte Becker.

»Armes Schwein. Herzinfarkt, oder?«

Becker nickte vage. »Hat man mir jedenfalls gesagt.«

Der Leutnant seufzte und schüttelte teilnahmsvoll den Kopf. »Die Sonne von Sevilla kann grausam sein. Seien Sie morgen vorsichtig.«

»Danke«, sagte Becker, »aber morgen bin ich schon wieder zu Hause.«

Der Polizist sah ihn erstaunt an. »Sie sind doch gerade erst angekommen!«

»Weiß ich, aber der Mann, der mein Ticket bezahlt hat, wartet ungeduldig auf die Sachen.«