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Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

KAPITEL 2

Neuntausend Meter über einem spiegelglatten Ozean starrte David Becker bedrückt aus dem kleinen ovalen Fenster des Learjet 60. Das Bordtelefon sei gestört, hatte man ihm gesagt – und damit war der

Anruf bei Susan gestorben.

Was tust du hier eigentlich?, fragte er sich – aber die Antwort lag auf der Hand. Es gab eben Leute, denen man so leicht nichts

abschlagen konnte.

»Mr Becker?«, knisterte es aus dem Bordlautsprecher. »Wir landen in einer halben Stunde.«

Großartig! Er nickte der unsichtbaren Stimme trübsinnig zu, zog die Jalousie herunter und versuchte, noch ein Nickerchen zu machen.

Doch seine Gedanken kreisten um Susan.

KAPITEL 3

Vor dem drei Meter hohen und von Stacheldrahtrollen gekrönten Stahlzaun ließ Susan den Wagen ausrollen. Der junge Wachmann trat

an ihren Volvo und legte gebieterisch die Hand aufs Autodach.

»Ihren Ausweis, bitte.«

Susan tat wie ihr geheißen und machte sich auf die halbminütige Wartezeit gefasst. Der Wachbeamte zog ihre Ausweiskarte durch das

elektronische Lesesystem. Schließlich sah er auf.

»Danke, Miss Fletcher.« Auf sein kaum wahrnehmbares Nicken schwang das Tor auf.

Einen knappen Kilometer weiter unterzog sich Susan an einem nicht minder abweisenden elektrisch gesicherten Zaun der gleichen Prozedur noch einmal. Nun macht schon, Jungs. Ihr habt mich hier ja erst ein paar Tausend Mal durchkomplimentiert! Sie fuhr am letzten Kontrollpunkt vor. Ein untersetzter Wachmann mit zwei scharfen Hunden und einer Maschinenpistole schaute auf ihr Nummernschild und winkte sie durch. Sie fuhr knapp zweihundertfünfzig Meter auf der Canine Road weiter und bog in den Personalparkplatz C. Nicht zufassen, dachte sie. Sechsundzwanzigtausend Mitarbeiter und ein Etat von zwölf Milliarden Dollar, aber sie schaffen es nicht, ein einziges Wochenende lang ohne dich zurechtzukommen? Mit einem kurzen Tritt aufs Gaspedal ließ sie den Wagen auf ihren reservierten

Parkplatz rollen und stellte den Motor ab.

Nachdem sie den Grünstreifen überquert hatte, betrat sie das Hauptgebäude, passierte zwei weitere Sicherheitskontrollen und gelangte schließlich an den fensterlosen Durchgang, der zu dem neuen

Gebäude hinüberführte. Auf einem Hinweisschild stand zu lesen: NATIONAL SECURITY AGENCY (NSA)

CRYPTO-ABTEILUNG

FÜR UNBEFUGTE KEIN ZUTRITT

Eine Kabine mit einem digitalen Stimmerkennungssystem versperrte den Zugang. Der bewaffnete Wachposten blickte auf. »Tag,

Miss Fletcher.«

Susan lächelte matt. »Hallo John.«

»Ich habe heute gar nicht mit Ihnen gerechnet.«

»Ich auch nicht.« Sie beugte sich zu dem im Brennpunkt einer kleinen Parabolschüssel angebrachten Mikrofon. »Susan Fletcher«, sagte sie klar und deutlich. Der Computer bestätigte das Frequenzspektrum ihrer Stimme, und die Sperrschranke sprang

klickend auf.

Der Wachmann bedachte Susan mit einem bewundernden Blick. Er bemerkte, dass ihre ansonsten so fest dreinblickenden Augen etwas abwesend wirkten, aber ihre Wangen hatten eine rosige Frische, und ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar wirkte frisch geföhnt. Ein zarter Duft von Johnsons Babypuder umwehte sie. Der Blick des Wachmanns glitt an ihrem schlanken Oberkörper herab, registrierte den BH unter ihrer weißen Bluse, den knielangen Khakirock und

schließlich die Beine... Susan Fletchers Beine.

Kaum zu glauben, dass auf diesen Beinen ein IQ von 170 herumläuft, sinnierte er, während er Susan auf ihrem Weg durch die Betonröhre hinterherstarrte, bis sie in der Ferne verschwunden war. Mit einem ungläubigen Kopfschütteln riss er sich von dem Anblick

los.

Als Susan das Ende des Tunnels erreicht hatte, blockierte eine

kreisrunde Portalscheibe ihren Weg, auf der in gewaltigen Lettern CRYPTO angeschrieben stand.

Seufzend streckte sie die Hand nach dem in die Wand eingelassenen Tastenfeld aus und gab ihre PIN-Nummer ein. Sofort setzte sich die zwölf Tonnen schwere stählerne Türscheibe in Bewegung. Susan versuchte, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren,

aber ihre Gedanken glitten zurück zu David.

David Becker. Der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Als jüngster Inhaber einer Vollprofessur an der Georgetown Universität und Spezialist für Fremdsprachen war er in der akademischen Welt kein Unbekannter mehr. Mit seinem angeborenen fotografischen Gedächtnis und seiner Sprachbegabung hatte er sechs asiatische Idiome mühelos zu beherrschen gelernt, dazu noch Spanisch, Französisch und Italienisch. Seine mit Sachkunde und Begeisterung vorgetragenen Etymologie- und Linguistikvorlesungen waren stets überfüllt, wobei er sich hinterher noch weit über das Ende der Veranstaltung hinaus unverdrossen dem Kreuzfeuer der Fragen zu stellen pflegte. Die bewundernden Blicke der weiblichen Hörerschaft

schienen ihm völlig zu entgehen.

Becker war ein eher dunkler, jugendlicher Typ von fünfunddreißig Jahren mit scharf blickenden grünen Augen und nicht minder scharfem Intellekt. Sein markantes Kinn und die straffen Gesichtszüge erinnerten Susan immer an eine antike Marmorstatue. Ungeachtet seiner Größe von weit über eins achtzig flitzte Becker mit einer seinen Kollegen unbegreiflichen Behändigkeit über den Squashcourt. Wenn er dem Gegner eine solide Niederlage verpasst hatte, pflegte er zur Abkühlung den Kopf in einen Trinkwasserspender zu halten, bis das Wasser aus seinem dichten schwarzen Haarschopf troff, um sodann dem geschlagenen Gegner einen Fruchtshake und einen Bagel

auszugeben.

Wie alle Jungakademiker bezog auch David Becker kein besonders üppiges Dozentengehalt. Wenn wieder einmal der Mitgliedsbeitrag zum Squash-Club fällig war oder sein alter Dunlopschläger eine neue

Bespannung mit Natursaiten nötig hatte, pflegte er von Zeit zu Zeit sein Gehalt mit Übersetzungsaufträgen für die Regierungsbehörden in und um Washington aufzubessern. Bei einem dieser Gelegenheitsjobs

war er Susan begegnet.

Als er in den vergangenen Herbstferien an einem frischen Oktobermorgen von seiner regelmäßigen Joggingrunde in sein Dreizimmer-Apartment auf dem Universitätsgelände zurückgekehrt war, hatte der Anrufbeantworter geblinkt. Während er sich den üblichen Liter Orangensaft einverleibte, hatte er den Anruf abgehört. Die Botschaft unterschied sich in nichts von den zahlreichen früheren Anrufen – eine Regierungsbehörde wollte ihn für eine Übersetzungsarbeit im späteren Verlauf des Vormittags ein paar Stunden engagieren. Das einzig Auffallende war, dass Becker noch

nie etwas von dieser Behörde gehört hatte.

»Der Verein heißt National Security Agency«, erläuterte Becker den Kollegen, die er Rat suchend angerufen hatte.

Die Antwort war stets die gleiche gewesen. »Du meinst wohl den National Security Council, den Nationalen Sicherheitsrat?«

Becker hatte sicherheitshalber den Anruf noch einmal abgehört. »Nein, sie haben sich mit National Security Agency gemeldet.«

»Noch nie was davon gehört!«

Becker hatte im Verzeichnis der Regierungsbehörden nachgesehen, aber auch dort war die NSA nicht aufgeführt. Schließlich hatte er einen alten Squash-Kumpel angerufen, einen früheren Politikwissenschaftler, der inzwischen eine Stelle bei der Forschungsabteilung der Kongressbibliothek innehatte. Die

Ausführungen seines Bekannten hatten ihn ziemlich erschüttert. Nicht nur, dass es die NSA tatsächlich gab, sie war sogar eine der

einflussreichsten staatlichen Organisationen der Welt und hatte seit mehr als einem halben Jahrhundert auf elektronischem Wege nachrichtendienstliche Erkenntnisse gesammelt und gleichzeitig das geheimdienstliche Material der USA vor fremder Spionage geschützt. Lediglich zwei Prozent der amerikanischen Bevölkerung wussten,