Выбрать главу

Ein dumpfes Gefühl machte sich in Beckers Magengrube breit. »Aber wer hat ihn dann?«

Cloucharde schaute Becker ungnädig an. »Na, der Deutsche! Der Deutsche hat ihn!«

Becker glaubte, der Boden würde unter seinen Füßen nachgeben. »Der Deutsche? Welcher Deutsche?«

»Der Deutsche im Park! Ich habe es dem Polizisten doch genau erklärt! Ich habe den Ring nicht gewollt, aber dieses Schwein hat

sofort zugegriffen.«

Becker legte Stift und Schreibblock beiseite. Die Schmierenkomödie war vorbei. Jetzt begann der Ärger. »Den Ring hat

also ein Deutscher.« »So ist es.«

»Wo ist er hingegangen?«

»Keine Ahnung. Ich bin fortgeeilt, um den Krankenwagen zu rufen. Als ich wiederkam, war er weg.«

»Wissen Sie, wer der Mann war?«

»Ein Tourist.«

»Sind Sie sicher?«

»Tourismus ist mein Beruf«, sagte Cloucharde ungnädig. »Ich rieche Touristen tausend Meter gegen den Wind. Der Mann und seine

Begleiterin sind in dem Park spazieren gegangen.«

Die Geschichte wurde mit jedem Augenblick unübersichtlicher. »Seine Begleiterin? Der Deutsche hatte jemand dabei?«

Cloucharde nickte begeistert. »Eine Rothaarige. Großartiges Geschöpf, sage ich Ihnen. Mon Dieu! Eine begnadete Schönheit!«

Becker war platt. »Der Deutsche hatte eine... Prostituierte dabei?«

Cloucharde verzog das Gesicht. »Wenn Ihnen diese vulgäre Bezeichnung angemessen erscheint...«

»Aber davon hat der Polizist doch überhaupt nichts...«

»Natürlich nicht! Ihm gegenüber habe ich die Begleiterin ja auch bewusst nicht erwähnt.« Cloucharde bedachte Beckers Irritation mit einer väterlichen Geste. »Diese Frauen sind doch keine Kriminellen. Es ist absurd, dass man sie verfolgt, als wären sie Diebe und

Einbrecher.«

Becker hatte sich von dem Schock immer noch nicht ganz erholt. »War sonst noch jemand da?«

»Nein, nur wir drei. Es war ja schon heiß.«

»Und Sie sind sicher, dass die Frau eine Prostituierte war?«

»Absolut. Eine gut aussehende Frau würde sich doch niemals mit einem solchen Kerl zeigen, es sei denn, sie wird gut dafür bezahlt. Mon Dieu, was war das für ein fettes Schwein! Ein unangenehmer, übergewichtiger, penetranter Kotzbrocken.« Cloucharde verlagerte sein Gewicht. Die Bewegung schien ihm Beschwerden zu machen. Er zuckte zusammen, was ihn aber nicht davon abhielt, seinem Ärger weiterhin Luft zu machen. »Ein Mann wie ein Mastochse – mindestens dreihundert Pfund Lebendgewicht. Er hielt das arme Wesen umklammert, als ob sie ihm davonrennen wolle – was ihr keiner hätte verübeln können! Er hat sie überall mit seinen fetten Pfoten betatscht und geprahlt, für dreihundert Dollar hätte er sie das ganze Wochenende. Der hätte tot umfallen sollen, nicht der arme

Asiat!«

Cloucharde holte tief Luft. Becker nahm die günstige Gelegenheit wahr.

»Haben Sie zufällig seinen Namen mitbekommen?«

Cloucharde dachte nach, dann schüttelte er den Kopf. »Leider nicht.«

Becker seufzte. Der Ring hatte sich soeben vor seinen Augen in nichts aufgelöst. Commander Strathmore würde nicht begeistert sein.

Cloucharde tupfte sich die Stirn. Mit einer schmerzhaften Grimasse zuckte er zusammen und sank in die Kissen zurück. Er sah

auf einmal elend aus.

Becker versuchte es auf anderem Wege. »Mr Cloucharde, ich hätte gerne eine Erklärung des Deutschen und seiner Begleiterin. Haben Sie

eine Ahnung, wo er logiert?«

Cloucharde schloss die Augen. Die Kraft hatte ihn verlassen. Sein Atem wurde flacher.

»Fällt Ihnen zu den beiden noch irgendetwas ein?«, bohrte Becker eindringlich. »Der Name der Begleiterin vielleicht?«

Langes Schweigen.

Cloucharde rieb sich die rechte Schläfe. Er war auf einmal sehr blass. »Äh... nein. Ich glaube nicht...« Seine Stimme schwankte.

Becker beugte sich zu ihm. »Geht es Ihnen gut?«

Cloucharde nickte schwach. »Ja... gewiss... ich bin nur ein bisschen... vermutlich die Aufregung...« Er sackte weg.

»Mr Cloucharde, denken Sie nach!«, sagte Becker ruhig, aber bestimmt. »Es ist sehr wichtig.«

Cloucharde rappelte sich hoch. »Ich weiß nicht... die Frau... hat der Kerl sie nicht ein paar Mal... ?« Er stöhnte auf und schloss die Augen.

»Wie hieß die Frau?«

»Ich bekomme es wirklich nicht mehr zusammen...« Cloucharde baute zusehends ab.

»Denken Sie doch nach«, beharrte Becker. »Es ist schließlich wichtig, dass das Konsulat möglichst vollständige Angaben machen kann. Ich muss Ihre Geschichte durch zusätzliche Zeugenaussagen erhärten können. Jede Information, durch die ich die Zeugen ausfindig

machen kann... »

Aber Cloucharde hörte nicht mehr zu. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Es tut mir Leid... morgen vielleicht...«

Die Erschöpfung war ihm anzusehen.

»Mr Cloucharde, es ist unerlässlich, dass Sie sich, jetzt an den Namen erinnern.« Becker merkte, dass er fast schrie. Ringsum saßen die Leute aufrecht in ihren Feldbetten und verfolgten neugierig das Geschehen. In der Schwingtür auf der anderen Seite der Turnhalle

erschien eine Krankenschwester und kam eilends herbeigeschritten.

»Mr Cloucharde, versuchen Sie sich zu erinnern!«, drängte Becker. »An irgendetwas!«

»Der Deutsche nannte die Frau...«

Becker schüttelte Cloucharde ein bisschen, damit er nicht vollends einschlief. »Sie hieß...«

Nicht abnippein, alter Knabe!

»Dew...« Die Augen fielen Cloucharde wieder zu. Die Krankenschwester kam wütend näher.

»Dew?« Becker rüttelte Cloucharde heftig am Arm.

Der Kanadier stöhnte auf. »Er nannte sie...«, murmelte er kaum noch vernehmbar.

Die Krankenschwester war keine drei Meter mehr entfernt. Sie schrie Becker wütend auf Spanisch an, aber er hörte sie gar nicht. Sein Blick lag wie gebannt auf den Lippen des alten Mannes. Er schüttelte

ihn ein letztes Mal.

Die Krankenschwester packte Becker an der Schulter und zerrte ihn hoch. In diesem Augenblick teilten sich Clouchardes Lippen. Aus seinem Mund kam weniger ein Wort als ein leiser Seufzer... wie eine

ferne sinnliche Erinnerung. »Dewdrop...«

Becker wurde unbarmherzig fortgerissen.

Dewdrop? Tautropfen? Das ist aber ein komischer Name! Becker machte sich aus dem Griff der Krankenschwester los und drehte sich ein letztes Mal zu Cloucharde um. »Dewdrop?«, rief er. »Sind Sie

sicher?«

Aber Pierre Cloucharde war bereits eingeschlafen.

KAPITEL 23

Susan saß allein im üppigen Ambiente von Node 3, nuckelte an einem Zitronen-Kräutertee herum und wartete auf die Rückmeldung

ihres Tracers.

Als ranghöchster Kryptographin stand ihr das bestplatzierte Terminal zu: der Platz auf der Rückseite des Terminal-Rings, mit Blick hinaus in die Cryptokuppel. Von hier aus konnte sie ungehindert das Geschehen in Node 3 überblicken und den TRANSLTR beobachten, der jenseits der Einwegverglasung mitten aus dem Boden

ragte.

Susan sah auf die Uhr. Sie hatte jetzt schon fast eine Stunde gewartet. American Retailers ließ sich mit der Weiterleitung der E­Mail an North Dakota offensichtlich mächtig Zeit. Sie seufzte. Ungeachtet ihres Bemühens, nicht an das frühmorgendliche Gespräch mit David zu denken, liefen die Worte wie eine Endlosschleife in ihrem Kopf. Sie hatte zu unwirsch reagiert. Hoffentlich stieß David in

Spanien nichts zu.

Das Zischen der gläsernen Tür riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah auf und stöhnte. Greg Hale! Der Kryptograph stand in der Türöffnung.

Greg Hale war groß und muskulös, mit dichtem blondem Haar und einem tiefen Grübchen im Kinn. Er war aufdringlich, völlig immun gegen kritische Untertöne und stets übertrieben gekleidet. Seine Kollegen hatten ihm den Spitznamen »Halit« verpasst – wie das Sedimentmineral. Hale war der Meinung, es handele sich um einen seltenen Edelstein – in Anspielung auf seinen stählernen Körper und seinen brillanten Intellekt. Da ihn seine Überheblichkeit daran hinderte, in einem Lexikon nachzuschlagen, konnte er nicht wissen, dass Halit ein ordinärer salziger Rückstand war, der beim